Schule des Rades

Arnold Keyserling

Alphysik

Einführung

Der Ursprung unserer Welt ist das Vermögen, aus dem Nichts heraus Strukturen zu bilden: das Prinzip des Schöpferischen. Das Nichts wird zum Etwas. Ich bezeichne dieses Nichts, das zum Etwas wird, als das Urwort.

Dieses Urwort steht zwischen zwei Prinzipien, Yang und Yin, Energie und Masse, Urlicht und Urkraft. Ich bezeichne das Urlicht als Gott und die Urkraft als Göttin.

Gott erfahren wir als Vision, Göttin als bergenden Grund und das Urwort als Vollendungsbild jedes einzelnen Wesens. Die Wesen bestehen in drei Welten: Im Makrokosmos der Sternenwelt, im Mikrokosmos der Atomwelt und im Kosmos der Menschenwelt.

Die drei Welten stehen in Entsprechung zueinander: wie oben so unten. Die Mitte, der Kosmos, ist unsere Daseinsebene. Den Mikrokosmos erleben wir über die Erde und die Schwerkraft als kontinuierlich. Den Makrokosmos über die Sonne, den Himmel und das Licht, als diskontinuierlich. Die Erde als Masse und die Sonne als Energie; die Erde als Yin und die Sonne als Yang, die Erde als Ursprung des Raums, die Sonne als Ursprung der Zeit. Zwischen beiden, auf der Oberfläche der Erde, entfaltet sich das Leben.

Die Erde und der Raum sind der Erfahrung, der Empfindung der Sinne zugänglich. Sie lassen sich in ihren Elementen und Verbindungen nachprüfen. Himmel, Sonne und Zeit lassen sich nur in ihrer Bedeutung erschließen, sie sind dem inneren Erleben offen, und verlangen das Durchschreiten der Bewusstseinsschwelle von Traum und Tod zu ihrer Bestimmung; doch stehen sie in Entsprechung zueinander. Daher kann die qualitative Gliederung der Materie der Erde, des Mikrokosmos, uns den Schlüssel zu Kosmos und Makrokosmos und damit zur Menschwerdung verleihen.

Diese Einstellung bedeutet eine Kehrtwendung der Natur- und Religionsphilosophie. Während erstere sich ganz der Erfahrung der Erde und letztere sich ganz den Offenbarungen in ihrer historischen Form zugewandt hatte und sie im Gegensatz standen, gilt es heute ein einheitliches Wissen zu erreichen, das die Entsprechungen der drei Weltbereiche von der analogen auf die kritische Ebene erhebt. Da die Naturwissenschaft den Einstieg ermöglicht, bezeichne ich diese philosophisch neue Disziplin als Alphysik, die die Alchemie einschließt. Historisch bedeutet der Ansatz eine Vereinigung der Erkenntnisse von Asklepios, Hippokrates, Pythagoras und Hahnemann.

Asklepios erkannte, dass der Mensch berufen sei, eine bestimmte Rolle in der Natur zu übernehmen — etwa jene, die die Indianer als Medizin bestimmen. Bei Asklepios wird diese Rolle durch seinen Begleiter Telesphoros vermittelt, der dem Adepten, welcher im Schlaf die Heilung suchte, seine Aufgabe in der Menschheit offenbarte. Hippokrates in Kos hatte die Einsicht, dass diese Bestimmung zwar das Wer des Menschen betrifft, nicht aber das Was.

Als Persönlichkeit ist jeder einem bestimmten Element in der Natur vergleichbar, einem Mineral, und damit einem Medikament; dieses zu finden sei die Aufgabe des Arztes.

Das mineralische Element hat einen bestimmten Ort in Welt und Bewusstsein. Dieser Ort wurde von Pythagoras entdeckt, der aus der Mathematik und Musik das Rad als Urbild allen Verstehens geschaffen hat: es ist die Systemik der Sprache und der Welt, der Zusammenhang dessen, was die Griechen als logos spermatikos bezeichneten.

Doch seine Entdeckung konnte nicht verifiziert werden, da die Erfahrung und experimentelle Nachprüfung noch fehlten. Ich habe auf Grund der neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaft die Systemik des Rades in zweiundvierzig Jahren ergründet und in vielen Büchern analytisch und synthetisch dargestellt. Für das Verständnis der Alphysik sind folgende Strukturen des Rades wesentlich:

  1. Das Rad bestimmt geometrisch und arithmetisch alle Verhältnisse und Gesetze der ebenen Geometrie, von Dreieck, Kreis und rechtem Winkel. Es veranschaulicht vier Zeit- und vier Raumdimensionen.
    Das Rad bestimmt den Zusammenhang der fünf Zahlenarten und Rechnungsarten: die natürlichen Zahlen des Zählens, Zahl als Qualität und Ziffer; die ganzen Zahlen von Addition und Subtraktion, die rationalen Zahlen von Division und Multiplikation, die reellen Zahlen von Proportion und Funktion und die komplexen Zahlen der Longitudinalschwingungen des Schalls und der Transversalschwingungen des Lichts, veranschaulicht im Tonkreis und Farbkreis.
  2. Das Rad zeigt den Zusammenhang von Rechnungsart, Funktion und Bereich: räumlich additiv den Himmelsrichtungen zugeordnet, zeitlich multiplikativ die Begriffspaare des Tierkreises als Schlüssel zum astrologischen Verständnis.
  3. Das Rad zeigt im Enneagramm die Kategorien der Grammatik als Ursprung aller Metaphysik, die den Schlüssel zum Verständnis des Mikrokosmos der Elemente und des Makrokosmos der Planeten bilden:
    1. Wort oder Bindewort, die Fähigkeit, ein Zeichen oder einen Laut als Gedächtnisträger zu verwenden.
      Jupiter, Aluminiumgruppe.
    2. Name und Begriff des Hauptwortes, Singular und Plural, die Fähigkeit, Formen Inhalte zu geben.
      Venus, Kalziumgruppe.
    3. Das des Seins, Habens und Werdens, intransitiv, transitiv und modal, als Ansatz des Erkennens.
      Uranus, Eisengruppe.
    4. Das Verhältniswort der Bezüglichkeit auf eine Mitte, Werfall, Wenfall, Wemfall und Wesfall zugeordnet.
      Mond, Alkalimetalle.
    5. Das Eigenschaftswort als Ursprung qualitativer Unterscheidung, mit Bestimmung, Vergleichung, Hervorhebung, unbestimmtem und bestimmtem Zahlwort.
      Merkur, Halogene.
    6. Die Personen des Zeitwortes — ich, du, er — und die grammatikalischen Geschlechter — er, sie, es — als Subjekt und Prädikat jeden Satzes.
      Neptun, Seltene Erden.
    7. Die sieben Formen des Fürwortes hinweisend, bestimmend, unbestimmt, bezüglich, besitzanzeigend, persönlich und fragend als personifizierte Energie.
      Mars, Sauerstoffgruppe.
    8. Die acht Kategorien des Umstandswortes — Ort, Zeit, Grund, Häufigkeit, Art und Weise, Grad, Begrenzung und modal — als Träger aller philosophischen Kategorienbildung und Parameter des Lenkens der Umstände.
      Saturn, Stickstoffgruppe.
    9. Die neun Zeitwortformen — Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft; Bedingungsform, Wirklichkeitsform, Möglichkeitsform; Leide-, Tätigkeits- und Unendlichkeitsform — als Fähigkeit der sprachlichen Dauer und Zeitbildung.
      Pluto, Kohlenstoffgruppe.
    Zusammen bilden diese neun Kriterien das Enneagramm im Rad: das Dreieck der Zeitwortarten als Träger des Sinnes und Satzgerüst, und die mannigfaltige Figur der Raumwortarten, die den Satz als Bedeutungsträger beliebig ergänzen. Rahu, Ketu, Luzifer, Edelgase.
  4. Farbkreis und Tonkreis mit den Begriffspaaren bestimmen Tierkreis, Lebenskreis und Weltenjahr des Makrokosmos. Die konzentrischen Kreise im Inneren des Rades zeigen geometrisch die Struktur des mikrokosmischen Uratoms. Das schwarze Viereck mit den Trigrammen zeigt den Zusammenhang mit den Raumrichtungen als Ursprung der acht Komponenten des Bewusstseins und der Chakras.

Das Rad war nicht nur in Griechenland das Urbild allen Verstehens, sondern auch in Indien, Tibet, China, und bei den Indianern Nordamerikas. Mit seiner kritischen Entschlüsselung können wir nun die vierte Komponente der Alphysik verstehen, die Entdeckung Hahnemanns.

Auf der Suche nach dem Wissen verwechselten die europäischen Philosophen die Rolle des Einzelnen und des Allgemeinen: sie glaubten, die Kausalität von außen bestimmen zu können. Tatsächlich ist sie nur auf das Wesen bezogen gültig; wie Gott, ist auch der Mensch causa sui. Was einen krank macht, ist allein imstande ihn zu heilen: similia similibus curentur. Ich lernte diesen Zusammenhang vom Homöopathen Manfred von Ungern-Sternberg, der mir auch die Rolle meines eigenen Minerals klärte und mir dadurch die physische Steuerung meines Organismus eröffnete.

Eine erneute Vertiefung in die Bedeutung von Physik und Chemie als Schlüssel zur Menschwerdung hat mir nun ermöglicht, die Parameter von Welt und Bewusstsein in vielen Aspekten zu bestimmen und dadurch den Weg zur Vollendung aus der Alphysik zu begreifen.

Für mich entstammt das Wissen der Offenbarung. Die Zusammenhänge zeigen sich zuerst in einer Vision, die aber verifiziert werden kann, wenn auch Einzelheiten später der Richtigstellung bedürfen.

Arnold Keyserling
Alphysik · 1985
Einführung
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD