Schule des Rades

Arnold Keyserling

Vom Eigensinn zum Lebenssinn

4. Durchbruch zum Imaginalen

Conjurers Count · 3/17

Die seelischen Komplexe, die vielen Menschen das Leben zur Hölle machen, werden fixierte Rollen mit Wiederholungszwang, die den Zugang zu Vertrauen und Unschuld versperren. Nur durch Eindringen in die averbale Sphäre der Märchen, der Naturgeister, die die Indianer als Kachinas bezeichnen, können die Sperren überwunden werden. In vielen asiatischen Kulturen ist es die Rolle der Märchenerzähler, die den Menschen an seine nagualische Welt heranführen und seinem Leben damit Sinn und Erholung vom grauen Alltag geben.

Ein mir bekannter Norweger erlebte in den letzten Stunden seines Lebens im Spital Trolle, die um sein Bett zu stehen schienen. Der Arzt wollte ihn beruhigen, es seien doch nur Halluzinationen. Darauf der Kranke: Sie haben gut reden, denn Sie bleiben hier, aber wenn ich sterbe, bin ich diesen Visionen ausgeliefert. Paracelsus sah als Voraussetzung der Gesundung die Kenntnis und Meisterung der Salamander des Feuers, der Undinen des Wassers, der Sylphiden der Luft und der Gnomen der Erde.

Wie bei den schamanischen Reisen in die Welt der Tiere ist auch diese als Teil des Imaginalen durch ein bestimmtes Ritual zugänglich; es wurde durch Jean Houston entdeckt.

Stell dir vor, du liegst als sechsjähriges Kind im Bett — so spricht der Führer zu dem mit geschlossenen Augen liegenden Adepten.

In deinem Zimmer ist ein Schrank. Du machst ihn auf und findest an der Rückseite eine Tür. Du durchschreitest sie und findest eine Wendeltreppe, die in sieben Spiralen sich ausweitend in einen Saal führt, der von oben Licht erhält.

Du gehst langsam die sieben Spiralen hinunter. Jetzt bist du unten angekommen. In der Mitte des Saales befindet sich ein Brunnen mit einem kreisrunden Wasserspiegel von über einem Meter Durchmesser. Du schaust dein Spiegelbild im Brunnen an, dann nimmst du deinen Arm und drehst den Wasserspiegel, bis das Bild in einem Strudel verschwindet.

Du tauchst nun mit geschlossenen Augen in diesen Brunnen, schwebst hinunter und landest unten im Märchenland. Du beginnst dort zu gehen, und jetzt triffst du das kleine Volk, die Naturgeister, ganz nach deinen Wünschen.

Der Weg wird wie bei den Tieren durch Trommeln begleitet. Nach 20 Minuten wird der Rhythmus durch drei Schläge unterbrochen, und es beginnt der Weg zurück. Du tauchst durch den Brunnen wieder auf, gehst die Wendeltreppe hinauf, durch den Schrank in das Zimmer, legst dich ins Bett als Sechsjähriger und kommst wieder in deinen jetzigen Körper. In dieser Weise kannst du mit allen Wesenheiten der Märchenwelt in Beziehung treten.

Arnold Keyserling
Vom Eigensinn zum Lebenssinn · 1982
Neue Wege der ganzheitlichen Pädagogik
© 1998- Schule des Rades
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