Schule des Rades

Arnold Keyserling

Vom Eigensinn zum Lebenssinn

4. Durchbruch zum Imaginalen

Conjurers Count · 2/18

Wer seinen Mut, seinen Willen verliert, glaubt, dass er durch die Umstände daran gehindert wird, seinen Sinn zu finden — sei es durch andere Menschen, sei es durch die Lebensbedingungen. Hierzu gilt es zu erkennen, dass jede Lage eine positive sein kann, dass jede sich ferner in jede andere verwandeln kann, und wenn wir wissen, wie das möglich ist, gibt es keine hoffnungslosen Situationen mehr.

Der Weg hierzu in den meisten Kulturen war das Orakel; man fragt den großen Geist durch eine Manipulation, die sonst dem Zufall unterworfen wäre, wie die Richtung des Rauches beim Feuer, oder die Risse, die beim Brennen im Panzer der Schildkröte auftauchen. Doch es gibt auch einen unmittelbaren Weg zu dieser Welt: Die Chinesen haben in ihrem Buch der Wandlungen, dem I Ging, die genaue Entsprechung zum genetischen Code gefunden; ein Zeichen des Buchs ist nicht nur metaphorisch, sondern auch tatsächlich eine Abbildung eines der Wörter des Lebens; eine Photographie im Buch von Watson über den Doppelhelix zeigt das Zeichen 42, die Mehrung:


Somit haben wir auch einen imaginalen Zugang zum Reichtum der Instinkte, bei welchem aus Triplets, die zusammengefügt werden, 64 Urmythen entstehen. Im Orakel nähert man sich jenen, die die Lage klären. Doch die Welt ihres Wesens kann unmittelbar erkannt werden, wenn die imaginalen Entsprechungen der Zeichen verstanden sind.

Man liest die Zeichen von unten nach oben, entscheidend sind immer 1 oder 3 Striche für den Charakter des Urbildes. Sie gliedern sich im Lichtkreis, und jedes von ihnen hat außer der Struktur ein Bild und auch ein Motiv.

Im Orakel ist man vom Tonal aus imstande, die Öffnung zum Nagual zu finden; jedes Zeichen, das man erhält, ist eine solche Öffnung. Wenn man aber die taoistischen Bilder meditiert — die sich alle sieben auf jedem Hängebild finden — dann hat man zusätzlich einen Einstieg in das eigene Verhältnis zu den acht Urzeichen und Komponenten des Bewusstseins.

1.
Sun, das Empfinden, hat als Bild den Wind und die Wiese, als Motiv das Eindringen.
2.
Li, das Denken, hat als Bild das Holz und das Feuer als Herd des Hauses, und als Motiv das Haften, das Festhalten am Gedachten.
3.
Dui, das Fühlen, hat als Bild den See, und als Motiv die Heiterkeit, die Freude.
4.
Kun, das Wollen, hat als Bild die Erde, die Höhle, und als Motiv das Empfangende.
5.
Gen, der Körper, hat als Bild den Berg, und als Motiv das Stillehalten.
6.
Kan, die Seele, hat als Bild den Fluss, das Wasser, das in eine Schlucht hinunter fließt, und als Motiv das Abgründige, die Gefahr.
7.
Dschen, der Geist, hat als Bild Blitz und Donner, und als Motiv das Erregende; doch das Bild ist auch der alte Mann.
8.
Kiën, ist der Einklang mit dem Tao, hat als Bild den Himmel und als Motiv das Schöpferische und Zeugende.

Hier ist das Bild spontan das eigene, welches auf die Frage auftaucht.

T r i g r a m m e

Das taoistische Ritual geschieht in der Gruppe — das eigene Bild zeigt das Verhältnis zu der entsprechenden Funktion und kann sie damit nagualisch integrieren. So stellt man sie sich nacheinander vor und erzählt dann das Bild, wobei man darauf achtet, was rechts und links, vorn und hinten ist. Links ist zu erfüllen, rechts zu tun, vorne zu bedenken, hinten zu entscheiden, nach oben verlaufend zeigt es eine Erwartung für die Zukunft, nach unten eine Erinnerung der Vergangenheit, die es zu wecken gilt.

Bei jedem Bild wird gefragt: Versuche, deine Wiese, dein Haus etc. zu schauen, immer drei Minuten lang.

1.
Betrachte deine Wiese. Wo liegt sie, wie ist das Gras, gibt es Blumen, sitzt oder stehst du darin, ist sie abgegrenzt? Dies zeigt die Wurzel des Empfindens, den Zugang zur Vitalität.
2.
Betrachte dein Haus. Ist es auf dem Berg, allein in der Ebene, umzäunt, hat es mehrere Stockwerke, wo wohnst du, wohnen andere mit dir, hast du Gäste, hat es Kellerräume? Dies ist die Wurzel des Denkens.
3.
Betrachte deinen See. Ist er weit und sonnig, schwimmen viele Menschen und auch du darin, oder ist es ein kalter Bergsee, traust du dich hinein, kannst du bis auf den Grund schauen? Dies zeigt das Verhältnis zum Fühlen.
4.
Betrachte deine Höhle. Liegt sie am Meer, an einem Berg, in der Ebene? Hast du Angst hineinzugehen? Ist sie innen hell, gibt es Stalaktiten und Stalagmiten? Höhlenmalereien? Hat sie einen anderen Ausgang, oder geht sie in die Tiefe? All diese Bilder zeigen das Verhältnis zum Wollen.
5.
Betrachte deinen Berg. Ist er hoch, steht er allein? Wo befindest du dich am Berg, im Gras, im Wald, oder schon im Schnee? Brauchst du ein Seil, Hilfe anderer, um hinaufzukommen? Dies zeigt das Verhältnis zum Körper und zur Lebensanstrengung.
6.
Betrachte deinen Fluss. Wo stehst du? Bist du bei der Quelle, dann ist die Jugend im Vordergrund. Stehst du an der Mündung ins Meer, dann magst du einem Priester gleichen, der andern zum echten Sterben hilft. Bist du auf einer Brücke, und der Fluss fließt unter dir, schwimmst du darin, hast du ein Boot, bist du vielleicht ein Fährmann? All dies zeigt das Verhältnis zur Seele.
7.
Betrachte deinen alten Mann, oder die alte Frau. Er/Sie zeigt dir den Weg. Wo stehst er? Schaut er dich an, redet er? Ist er alt, jung, ein Weiser oder ein Clown? Nimmt er dich mit, gibt er dir Vertrauen? Wenn du ihn hast und wieder rufen kannst, dann ist er für dich der Zugang zum Göttlichen, zum Schöpferischen.
8/0.
Betrachte die Leere, das Nichts, und frage nach dem Bild, welches dir das All sendet, um dein Verhältnis zum Himmel, zum Schöpferischen zu begreifen. Hier muss man das nehmen, was kommt. Durch die Gruppe erlebt jeder sein Bild dreifältig: Einmal, was er gesehen hat und sagen möchte. Zum zweiten, was er dann wirklich sagt, und zum dritten, was er hätte sagen wollen.

Der unmittelbare Weg, um diese Ebene des Wollens zu erreichen, ist das Studium des Buchs der Wandlungen, das diesen Einstieg zum Nagual in vielfältiger Weise, von allen großen chinesischen Geistern kommentiert, dargestellt hat.

Arnold Keyserling
Vom Eigensinn zum Lebenssinn · 1982
Neue Wege der ganzheitlichen Pädagogik
© 1998- Schule des Rades
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