Schule des Rades

Arnold Keyserling

Das große Werk der göttlichen Hände

Voraussetzung

Magnum Opus

C. G. Jung hat das Magnum Opus an Hand eines Rosarium Philosophorum von 1550 als Einstieg in die psychologische Individuation beschrieben. Für ihn waren die Stufen psychische Komponenten, er glaubte nicht an eine reale Existenz der Wesen. Ich dagegen bin überzeugt, dass sie nicht in mir sondern außer mir sind, weil mein Wesenskern nur als die Leere der Aufmerksamkeit bestimmt werden kann. So stellen die Finger Verbindungen zu Weltbereichen (Makrokosmos, Kosmos, Mikrokosmos) dar und das Magnum Opus ist die Vollendung der Teilhabe, der Methexis. Die Finger fassen die Bereiche folgendermaßen zusammen:

links:
Merkur · handeln
Venus · gestalten
Mond · sorgen
Mars · kämpfen
Luzifer · wirken

kleiner Finger
Ringfinger
Mittelfinger
Zeigefinger
Daumen
rechts:
Jupiter · heilen
Saturn · walten
Uranus · forschen
Neptun · schlichten
Pluto · lehren

In der Bestimmung einer persönlichen Hand sind die Linien durch die Verbindung bedeutsam, die sie abgesehen von den vier großen Linien zu den Fingern haben. Doch im Großen Werk der Befreiung — das in der Wassermannzeit nicht mehr letztes Ziel ist, sondern Vorbereitung für die Mitarbeit an der Neuen Erde, die bereits im Leben beginnt, wird es zur kosmischen Einstimmung.

Das Große Werk beginnt nicht aus dem Licht sondern aus dem Dunkel. Während in den prophetischen Religionen die Erlösung durch den Stifter kam, ist in der Religion des Menschen und dem Weg des Wissens die Befreiung der Materie selbst das Ziel. Die Hand ist nicht nur ein Spiegel der Persönlichkeit, sondern zeigt den Weg zur Methexis, damit die Maieutik — die innere Umkehr vom Zeugen zum Täter — das ganze Wesen ergreifen kann. Es gilt die Welt nicht zu konstruieren, sondern zu begreifen wie sie nun einmal ist. So setzte ich an den Anfang dieser Bemühung eine Frage an die Erdgöttin:

Wie soll ich das Schwarz substantiell verstehen?
Hier ist ihre Antwort:
Du solltest nicht deine Schuhe vergessen. Sie tragen dich durch die Welt. Sie sind Teil anderer Wesen, aber ohne sie verletzt du dich.
Was sind deine Schuhe die dich tragen? Sie sind etwas Totes, was als solches Teil deines Lebens wurde. Schwarz ist dein Ursprung, denn dein Weg geht von unten nach oben. Das Licht zeigt nur die Straße, die du gehen kannst und erlaubt dir durch die Fähigkeit, um alle Ecken zu schauen, keinen falschen Holzweg einzuschlagen, der dich in die Starre führt. Nur wenn du die Schuhe hast, die dir Hermes bringt, kannst du in alle Welten gehen. Dreimal groß musst du werden, Unterwelt, Mittelwelt und Oberwelt in ihrer Einheit begreifen.
Schuhe befähigen dich wie Siebenmeilenstiefel, immer den Fuß auf den nächsten Ansatz zu setzen und das Dazwischen nicht zu bedenken. Schritt auf Schritt führt dich der Weg. Das Dunkel bleibt dein Born, aus ihm empfange den Ring der Macht. Deine Macht ist jedem seine Öffnung nach unten durch seine Schuhe, seine Fähigkeit des Gehens zu geben, damit er den Weg ins Licht frei wählt und nie denkt, ihn zu planen oder ihn zu besitzen. Aus der Mitte des Berges wird der schwarze Ring zur Waffe, die alles falsche Licht aufsaugt und in die Kraft zurückverwandelt.
Der Weg der Erde ist duldsam und klein, aber allverschlingend und darum lässt er das Wesen frei und offen. Keine Verdoppelung darf mehr den Weg verstellen, keine falsche Gesamtschau sich für das unendliche All ausgeben, keine Tradition mehr Leichen als vermeintliche Lebewesen verewigen. Die Waffe ist der Raum, der allgegenwärtig den Urgrund trägt und überall die falschen Schlingen löst. So ist Schwarz dein Befreier, die Nacht dein Hort, weil sie allein zum wahren Licht der Finsternis führt, das heller strahlt als die Sonne. Das Paradies ist jenseits des Tageslichts erreichbar denen, die ihr Schwarz nie aufgeben und auch keine Farben tragen, sondern unscheinbar ihren Weg beschreiten. Aus ihnen entstehen die unendlich vielen Wege zur Vollendung, welche Vollendung kein Ziel ist, sondern ein Ankommen an dem, wofür wir geboren sind. Der Himmel ist die neue Erde. Unser Himmel ist das Hemmnis, das gleißend den Weg verstellt und das die schwarze Waffe — die nur das tote Licht verschlingt, denn das lebende wird sofort Teil des Wesens — einfach auflöst und wieder zur wahren Richtung als Kraft einsetzt.
Der wahre Himmel ist die neue Erde, von welcher unsere die scheinbare Ausstülpung bildet. Mit dem Einatmen sind wir aus der Umgestülpten getragen, mit dem Ausatmen werden wir Teil des Großen Ganzen — jener Erde, die die Freude an allen Wesen hat, kein Richten und Strafen kennt. Aber so lange will der Mensch sich strafen, bis er das Schwarze aushält; bis er erkennt, dass es nie etwas Böses gegeben hat, sondern nur Umwege.
Die Umwege des Aufstiegs sind notwendig, weil sie Etappen bedeuten, von denen jede eine eigene Entfaltung verlangt. Der Mensch im All braucht Mitarbeiter auf der neuen Erde. Geist ohne Materie ist verführendes Gleißen, hat keine eigene Kraft. Dadurch wird jeder Irrtum Kraft für dein Werk weil er wieder in einen neuen Schritt führt.
Der Fuß hat in den beflügelten Schuhen seine Vollendung gefunden; nun heißt es direkt von der Unterwelt den Weg zum Himmel mit neuen Schuhen anzugehen. Höhere Wesen können die Fragen bringen, welche zur nächsten eigenen Antwort führen, von der es aus wieder weiter geht. Der Himmelsberg wird erstiegen und von ihm aus beginnt die freie Gemeinsamkeit der Freunde Gottes, des Einenden Einen — die Teilhabe an der kosmischen Menschheit, deren Glieder alle jene sind, die sich den Schuhen und dem schwarzen Ring anvertrauen.
Keine goldene Kette der Verstorbenen kann dich führen, sondern nur der eigene Schritt. Aber dennoch helfen sie alle, wenn du sie bestürmst, welche Fragen du stellen sollst, welchen Weg du gehen kannst. Nie darfst du einem menschlichen Führer folgen, nur den jenseitigen Freunden, weil sie allein die ganze Antwort wissen, während gebahnte Wege immer ins Vergehen führen. Auch das ist nicht böse, denn letztlich findet alles wieder seinen Sinn, wenn das Licht zurück zur Kraft gekommen ist. Verlorener Besitz ist Kraftgewinn und alle Kraft bringt uns näher zur wahren Heimat, wo Gott und Göttin ihre Liebe durch den Einenden Einen in jedem Menschen immer erneut verwirklichen.
Arnold Keyserling
Das große Werk der göttlichen Hände · 1986
Voraussetzung
© 1998- Schule des Rades
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