Schule des Rades

Arnold Keyserling

Das magische Rad Zentralasiens

IV. I Ging

Tao - Te

Das Leben beruht auf der Urkraft, es entstammt der Erde. Die Urkraft äußert sich als Selbstorganisation, das Urlicht als Gewahrsein. Das Urlicht hat als Träger den Himmel und ist galaktisch; die Urkraft hat als Träger die Erde und ist planetarisch. Die Welt des Tages und des Wachens wird von der Sonne gesteuert, und die Welt der Nacht und des Traumes vom Mond. Daher ist auch im Yoga Pingala, die physiologische Seite der Chakras, der Sonne zugeordnet, und Ida, die mentale, dem Mond:

Yin
Mond
Tao
HimmelMenschErde
Te
Sonne
Yang

Der Zusammenhang der vierdimensionalen Energie und Materie ist Chi. Es ist besser diesen Ausdruck zu gebrauchen als jenen der Kraft, denn diese ist nur ein Aspekt: Chi bedeutet die durch das Gewahrsein gelenkte Willenskraft der Aufmerksamkeit. So ist Chi letztlich der begreifliche Aspekt des Göttlichen als Born des Wesens.

Lao Tse beschreibt im 42. Vers des Tao Te King die Entstehung der Trigramme folgendermaßen:

Aus der Null entsteht die Eins
Aus der Eins entsteht die Zwei
Aus der Zwei entsteht die Drei
Aus der Drei entstehen die zehntausend Dinge.
Alle Wesen haben im Rücken Yin und in den Armen Yang
Zur Erreichung der Großen Harmonie
.

Was ist diese Macht des Chi, nur ihrem eigenen Gesetz untertan? In der christlichen Formulierung bei Scottus Eriugena ist sie das dunkle Wollen der Schöpfung. Sie ist für die buddhistische Lehre Sunya, die Null, aus der die Eins entsteht, also die Chiffre der Gottheit. Indisch ist sie das Unerschöpfliche, Brahman, das die endlichen Wesen gebiert.

Doch ist Chi für das Gewahrsein auch eine begreifliche und erkennbare Dinglichkeit, die man als den Stoff des Gemüts bezeichnen könnte, woraus das Wesen sich bilden kann. Abstrakt ist es unmöglich Chi zu begreifen, aber konkret gibt es viele Wege der Übung, die einem das Lenken, Bestimmen und Einsetzen des Chi ermöglichen.

Im Vers des Lao Tse wird Chi, in unserer Sprache das Einende Eine, vorausgesetzt. Die Null ist Wu Chi, die Eins Tai Chi, folgendermaßen dargestellt:

Wu Chi
W u C h i
Tai Chi
T a i C h i

Wu Chi ist die innere Leere, die durch die Meditation erreicht wird, das reine Sein des Samadhi. Die Eins des Tai Chi birgt in sich die Zweiheit von Yang und Yin, also in unseren früheren Darstellung den Zusammenhang von Selbst und Ich in der Oktave. Bekanntlich ist das Tai Chi Symbol die einzige Kurvenform, die sich ohne Veränderung der Gestalt verdoppeln oder halbieren lässt, also das Schema der fraktalen Selbstähnlichkeit.

Während die Oktave im kosmischen Bereich der Resonanz die senkrechte Identität bewahrt, ist im chaotischen Bereich der Vektor oder der Attraktor Träger der Gestalt. Sprachlich ist die Resonanz der Vokal, der chaotische wiedererkennbare Aspekt sind die Konsonanten. Senkrecht ist also kosmisierend, rund ist schließend.

Yang und Yin bezeichnen ursprünglich die lichte und dunkle Seite eines Berges oder Tales. In der Darstellung von Fiedeler können wir es an Hand der Sonne erkennen:

L i c h t e · u n d · d u n k l e · S e i t e

Der zweite Vers lautet: Aus der Eins entsteht die Zwei. Die Eins ist musikalisch Prim und Oktave, also Identität. Die Zwei erscheint als Yin und Yang, die folgende Bedeutungen haben:

YIN



YANG
Kreuz Kreis
oben nach unten unten nach oben
gegen Uhrzeigersinn im Uhrzeigersinn
Ruhe Bewegung
empfangend schöpferisch
Auslese Wandlung
weiblich männlich
dunkel   ······ Himmel ······   licht
Liebe   ······ Mensch ······   Gerechtigkeit
weich   ······ Erde ······   hart
Mond
Sonne

Das Gewahrsein ist im Chi, die Bewusstheit der Seele und des Denkens in den Assoziationen. So haben wir einen ähnlichen Ansatz wie beim Yoga. Während letzterer mit den Chakras vom einzelnen ausgeht, ist der I Ging allbezogen, aber ebenfalls der Übung zugänglich, wie die chinesisch japanischen Kriegskünste zeigen.

Das Durchschnittsbewusstsein des auf den Tag beschränkten Menschen hat nur die körpereigene Energie, vergleichbar dem Grundzustand des Atoms, in welchen dieses immer wieder zurücktendiert. Durch die Öffnung, die Verlegung des Schwerpunktes von der körperlichen Hülle auf das Chi, wird sowohl der Lichtpol als auch der Kraftpol durchlässig und die sieben Chakras werden, in den Worten Lao Tses, zu den Löchern einer Flöte, auf der das göttliche Wesen seine Melodien bläst. Durchlässigkeit ist also entscheidend. Die Erde ist rechtwinklig, weil um die Achse die Richtungen rechts, links, oben, unten, hinten und vorn entstehen und den Raum schaffen. Der Himmel ist kreisförmig, da alle Planeten mit Sonne und Mond Umläufe beschreiben und die Zeit erzeugen. Der Mensch vereint in seiner Geschlechtlichkeit beide Aspekte und wird damit dem Urmenschenpaar gleich: die Konjunktion als Erlösung.

Der I Ging ist gleich der Grammatik oberhalb des Bewusstseins. Man kann ihn nur mantisch durch das Orakel, oder durch Einübung in seine Harmonie begreifen. Er wird durch die Kombination der acht Trigramme — aus der Zwei entsteht die Drei — bestimmt.

Diese Acht werden durch das Zusammenwirken von Sonne und Mond, Licht und Dunkel verständlich. Licht und Dunkel sind unterschieden. Am Tag ist die Sonne sichtbar, in der Nacht nicht. Die Sonne weiß nichts von der Nacht. Der Mensch hat durch den Mond an beiden teil.

Arnold Keyserling
Das magische Rad Zentralasiens · 1993
Schlüssel der Urreligion
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD