Schule des Rades

Arnold Keyserling

Das magische Rad Zentralasiens

V. Astrologie

Stierzeit

In der Stierzeit tritt nun zu der Visionssuche die Schrift und die Verkörperung in der Kunst. In der Schrift wird das kollektive Gedächtnis fixiert. Doch dieses bezieht sich im Gegenzeichen Skorpion auf den nachtodlichen Weg. In Ägypten wurde in der Stierzeit die Tagesreise der Sonne — die zwölf Doppelstunden — zur Erkenntnis der Nachtreise angejocht, wie die Bilder der Grabmäler veranschaulichen. Das Ritual ist uns noch unterbewusst zugänglich, es hat sich im Alltag überliefert. Nehmen wir die Tagundnachtgleiche in den Tropen zum besseren Verständnis, weil die Stunden dort gleiche Länge haben:

  1. Haus, 6 - 8 Uhr. Man wacht auf, sich an den letzten Traum erinnernd. Nach dem Morgengebet, den Sonnengruß, wo man sich seiner Lichtherkunft bewusst wird, bedenkt man bei und nach dem Frühstück die Arbeit des Tages, also das Anliegen des gegenüberliegenden VI. Hauses.
  1. Haus, 8 - 10 Uhr. In dieser Zeitspanne erkennt man im gegenüberliegenden Haus der Meisterung, welche Arbeiten man wirklich aus dem Können durchführen kann, und welche Freunde einem dabei helfen. Die wirkliche Integration findet nicht ihren Niederschlag im Alltag, sondern im geprägten Wesen, welches das Gelernte später einmal in ein wiederholbares Spiel verwandelt.
  1. Haus, 10 - 12 Uhr. Zwischen zehn und zwölf wird die Entscheidung verantwortet. Sie soll Sippe und Familie fördern, die Bedürfnisse des gegenüberliegenden IV. Hauses besser erfüllen.
  1. Haus, 12 - 14 Uhr. Mittag ist der astronomische Beginn des Tages. Er geht von Mittag zu Mittag; der einzig klar bestimmbare Ort am Himmel ist der Nordmeridian des Medium Coeli. Nun kommt das Mittagsmahl oder auch der Mittagsschlaf, wo neue Ideen auftauchen und im Gegenzeichen des III. Hauses zum gemeinsamen Entwicklungsweg werden.
  1. Haus, 14 - 16 Uhr. Dieser Entwicklungsweg bedarf einer größeren Kraft, als sie aus der Alltagserfahrung gewonnen wurde. Gleich dem Atom setzt der Mensch nur so viel Kraft ein wie er gewohnt ist. Er muss mehr Kraft bekommen. Während er in der Zwillingszeit mit Steinen, Pflanzen und Tieren redet, ist er in der Stierzeit auf Vermittler angewiesen, afrikanisch Voodoos, also Gegenstände, die im Opfer einen Kontakt eröffnen und aufrechterhalten. Das können heilige Bauten sein, Götterbilder, aber auch beliebige Gegenstände, denn alle können als Vermittler dienen. Hierdurch wird die Kraft der Elementale zugänglich.
  1. Haus, 16 - 18 Uhr. Das geschaffene Werk, die Tat oder Aussage wird der Gemeinschaft eingegliedert. Man fügt zu seinem bisherigen Wirkungskreis das neu Erworbene, den Namen hinzu, im Sinne des I. Hauses. Nur was gemeinschaftlich erkannt und aufgeschrieben wurde, gehört fortan zur Grundlage der Gemeinschaft; auf diesem Gebiet wird Führerschaft neidlos anerkannt.

2360 v. Chr. begann die Widderzeit. Die Chaldäer fixierten den geometrischen Tierkreis von 360° auf 0° Widder, die Chinesen bestimmten den Metonzyklus von Sonne und Mond. Bereits in der Stierzeit war das Totengericht im Westen. Hier handelt es sich im Bild des neugeschaffenen Sternbildes der Waage darum, wie weit man imstande ist die Nacht zu integrieren. Gemäß dem ägyptischen Totenbuch muss man die Namen aller jenseitigen Wesen wissen, um die Krisen in der Nachtfahrt des Osiris durch Erweckung des Mondauges zu meistern. Was am Tage nicht fertig gesponnen ist, wird in der Nacht wieder aufgelöst, und dieses Erleben ist schreckhaft wie ein Alptraum. Nur die dem Selbst hinzugefügte Integration kann sich dann in der neuen Geburt dem Engel, dem Licht eröffnen und dadurch das Tor zur Null durchschreiten. Den Toten ist es nicht zugänglich; sie sind nur Zeugen und müssen, wie es die Vedas lehren, zu Tätern werden.

Arnold Keyserling
Das magische Rad Zentralasiens · 1993
Schlüssel der Urreligion
© 1998- Schule des Rades
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