Schule des Rades

Arnold Keyserling

Weisheit des Rades

3. Lichtleib des Geistes

Der heilige Raum

Es gibt zwei Ausdrücke der Kraft als Bewegung: den Kreis und die Senkrechte, Yang und Yin. Aus ihrer Wechselbeziehung entsteht die funktionelle, das heißt auf den Menschen bezogene Auswirkung der acht Himmelsrichtungen:

D e r · h e i l i g e · R a u m

  • Im Süden ist die Sonne im Zenit, sie hat die potentielle Energie des Pendels, bevor er in die Gegenrichtung umschlägt. Der Punkt der Fülle tendiert notwendig nach unten, die Sonne neigt sich. So ist die Kraft des Südens die Fähigkeit, seine Fülle vorzustellen und von ihr als Gegebenheit auszugehen. Die Indianer bezeichnen es als die Kraft des Vertrauens und der Unschuld: wer strahlt, hat keine Sorgen und Probleme.
  • Der Norden ist die zweite senkrechte Richtung. Dort ist der tiefste Punkt der Nacht erreicht, von wo die Sonne wieder aufsteigen wird zum Tag. Im Norden sind im Mond beide Bewegungen möglich, des Zunehmens und Abnehmens zur Fülle und zur Leere. Dies ist die Kraft des Denkens, der Strategien, der Assoziationen, die gleich den Sternbildern um den inneren Polarstern angeordnet werden. So ist der Süden die Integration der Erfahrungen in der Verantwortung, der Norden die Integration der Beweggründe aus der gegebenen Lage heraus.
  • Im Osten geht der Himmel auf, es erscheint die Energie des Lichtes, woraus der Mensch in den Farben und Formen seine Erleuchtung, seine Vision erfährt. Dies ist die Kraft des Gewahrseins, wo man die Richtung, das Tao findet. Der Himmel ist kreisförmig, Yang, dauernd in Bewegung. So ist Yang auch das Urbild der Zeit, während Yin als der Raum nur aus der senkrechten Achse heraus zu erfahren ist, von welcher aus die Personen die Welt gliedern und steuern können.
  • Der Westen ist der Ort, wo die Erde linksläufig dem Himmel entgegengeht, das Entscheiden und Wählen, das Einstehen, die Kraft des Wollens. Sie ist gegen den Uhrzeigersinn und bestimmt zusätzlich das Jahr, die Bewegung von Sonne und Planeten im Tierkreis.

Westen und Osten sind im Jahr Tag- und Nachtgleiche, am Tag Dämmerung. Hier wird die Wechselwirkung zwischen dem Schöpferischen und Empfangenden zugänglich; Tonal und Nagual sind gleich mächtig. Don Juan nennt es the crack between the worlds, wo das Jenseits aus dem Diesseits erlebbar wird und die Illusion des abgespaltenen Ichbildes durchbrochen ist.

  • Zwischen aufsteigendem Himmel und Himmelsmitte, Gewahrsein und Seele, im Südosten ist der Geist: die Fähigkeit, Verantwortung für größere Zusammenhänge zu finden, also Menschen und Wesen zu einer höheren Einheit zusammenzufassen. Die Indianer bezeichnen die Geister als mögliche Verbündete, die sich dem Menschen nur nach vorhergegangenem Kampf unterordnen. Sobald man etwas unternimmt, das die eigenen Bedürfnisse und Intentionen übersteigt, bedarf man der Kraft der Ahnen, des morphogenetischen Feldes.
  • Zwischen dem Zenit und dem Sonnenuntergang, zwischen Süden und Westen ist der Zusammenhang zwischen Leben und Tod, wo der Körper dauernd aus dem Südwesten seine Lebenskontinuität im dauernden Sterben findet. Hier ist die Kraft des Kämpfens, des Beharrens im ewigen Wandel, im stirb und werde, um sich immer wieder aus seinem Traum zu erneuern.
  • Zwischen Westen und Norden, zwischen wollen und denken gilt es, die gewollte Struktur im Fühlen durch die Befriedigung der Bedürfnisse aufrechtzuerhalten, zu seinen Trieben und ihrer Erfüllung zu stehen. Die Biologie nennt dies die inneren Signale, die aber nicht vom tatsächlichen Körper, sondern aus der Struktur des Wollens heraus gelenkt werden. Der Nordwesten bringt die Einsicht der Mängel bei sich und anderen, die zu Triebfedern beliebiger Verwirklichung werden: es ist die Kraft der Motivation; nur auf ihnen kann man eine dauerhafte Gemeinschaft aufbauen.
  • Im Nordosten zwischen Gewahrsein und Denken liegt die Fähigkeit des Empfindens, irdische Gegebenheiten aus ihren Elementen nach eigener Schau zusammenzufügen, das Verfügbare zu gestalten. Das Denken ist dauerndes Mehrwerden. Dieses bezieht sich hier auf das natürliche Wachstum, wobei der Mensch den Impuls der Ordnung und Formung fördert; er wird eins mit den Kraftlinien der Natur.

Solange man die Kräfte nicht unterscheidet und sie aus dem Ich heraus im Sinne der sprechenden Überlegung lenken will, ist man auf sich selbst gestellt und ermüdet. Um sie zu begreifen, muss man sie anrufen, wie es die Germanen, Kelten und Indianer im Erdheiligtum, im Kreis des Gesetzes verwirklicht haben. Man setzt sich mit dem Rücken in die entsprechende Richtung, um sich die Kräfte nicht selbst zuzuschreiben, und erfährt in der Anrufung folgende Mächte:

  • im Osten die Kraft der Erleuchtung,
  • im Westen die Kraft der Hingabe,
  • im Süden die Kraft des Vertrauens,
  • im Norden die Kraft der Weisheit,
  • im Südosten die Kraft der Geschichte,
  • im Südwesten die Kraft des Lebens,
  • im Nordwesten die Kraft des Befriedens und
  • im Nordosten die Kraft des Gestaltens.

Durch das Sitzen oder Stehen in den Richtungen mit Anrufung der Kraft wird diese zugänglich, der Mensch öffnet sich und hat sie als Hilfe. Um aber außerhalb des Erdheiligtums im Alltag herauszufinden, was einem im Augenblick fehlt, muss man den Code der Verständigung mit dem magischen Kind erweitern. Es gibt sechs Richtungen des Pendels, von denen jede eine eigene Bedeutung hat, die aus der Bewegung herrührt. Der Kraftleib kann diese erlernen und damit sowohl für den Fragenden als auch für andere das Günstige bestimmen.

Arnold Keyserling
Weisheit des Rades · 1985
Orphische Gnosis
© 1998- Schule des Rades
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