Schule des Rades

Wilhelmine Keyserling

Mensch zwischen Himmel und Erde

V. Heilige Zeit

Das Nord Fest

N O R D
0° Krebs
Da Arnold verreisen musste, besannen wir uns schon neun Tage im Voraus auf dieses Fest.
Freitag, 21. Juni 1985 · 12:44 MEZ
Wie sollen wir uns auf das Nord-Fest im Uranusjahr 1985 einstellen?

Vertraut auf das Mögliche. Es gibt keinen Grund Unmögliches zu wollen. Nach Bestand und Öffnung kommt Rechenschaft. Was könnt ihr wirklich tun? Was steht an? In Wien ist der einzige Ort, wo etwas geschieht. Also vertraut auf das Mögliche.

Rechenschaft über was? (G)
Bestandsaufnahme hat gezeigt, was ist. Die Einstimmung hat geöffnet. Rechenschaft verlangt eure Verantwortung. Was tut ihr tatsächlich? Was sind die erkennbaren Wirkungen? Handelt so, als ob ihr auf einem fremden Planeten wäret, dessen Gesetze euch unverständlich sind und wo man mit äußerster Behutsamkeit beginnen muss, um das durchzusetzen, was kosmisch notwendig ist. Nur nicht zu viel einlassen, eher lächerlich bleiben als erfolgreich.

Was bedeutet das Nord-Fest als geistige Öffnung in Beziehung zum Polarstern und zum All?
Es bedeutet Kraft aus der Tierwelt. Kraft ist blind. Sehend seid ihr. Es gilt die Kraft auf das Künftige strategisch einzusetzen.

Was für Geistwesen können uns dabei behilflich sein?
Keine; nur ihr selbst. Geist kommt nicht aus dem Norden. Da ist der Mensch alles.

Was hat der Polarstern damit zu tun?
Er ermöglicht das Finden der Mitte der Vision, die Ichverantwortung.

Strategie bedeutet nicht hereinzufallen. Die Strategie des Himmels ist nicht anders als eine simple Verkaufsstrategie – nur dient sie einem höheren Zweck.

Im Selbstergreifen der Verantwortung, im Entfalten der Strategie aus der Mitte der Vision, liegt also der nächste Schritt auf unserer Spirale, die den wiederholten Jahreskreislauf wachsen lässt. So selbstverständlich scheinen diese Weisungen, als ob wir sie schon immer erfüllten. Erst im Tun werden wir merken — da sich unsere Intention darauf richtet — dass sie als ganz neue Forderung auftreten.
Im Nordfest weilt das Licht der Sonne am längsten auf unserer Halbkugel. Das Licht der Erkenntnis scheint am klarsten. Das Denken, aus der Mitternacht geboren (vom Tageslauf gesehen ist der Norden Mitternacht), wird hier im Mittag zur Erkenntnis, bezogen auf das Tun in Strategie.
Bei Nacht überschauen wir das gesamte Bild des Himmels in Bewegung um ein Zentrum, — wie alle Denkinhalte auf das Nichts der Mitte bezogen, zur Weisheit der Seele werden können. — Diese Schau entspricht der rechten Gehirnhälfte. Jede Mitternacht zentriert uns in der Achse Nord — Süd. Wir sind mit der Erde als Ganze, mit ihrem unsichtbaren Leib verbunden, der die Bewegung hervorruft. Alle Einzelheiten des Täglichen sind in dunkel getaucht miteinander verwoben. Auch der Mond, wenn wir ihn erblicken, ist Teil des Nachthimmels.
Im Laufe des Tages folgen wir der Sonnenbahn, sind in der Achse Ost — West. Unsere Welt ist ausgeleuchtet. Empfangend und verwirklichend verbinden wir das Einzelne auf unserem Weg im Nacheinander. Hier führt das Sonnenlicht am Himmel.
Was können wir tun? Was steht an? In der Zeit liegt der Anlass des linearen Tuns, das die rechte Gehirnhälfte aktiviert, das sich jedoch als Strategie auf das gesamte Bild der nachtbewussten Seele und damit auf die Mitte der Vision bezieht.

Arnold: Das heutige Fest ist für uns so wichtig, weil unser Erdheiligtum ein Nordheiligtum ist; auf den Polarstern geeicht; weil eben der Norden jeden von uns seine eigene Strategie finden lässt. Persönliche Läuterung ist eine Vorbereitung. Nur der Mensch, der in Wechselwirkung mit der Nordkraft steht, ist fähig, am Werk mitzuwirken. Unser Denken muss auf die ruhende Mitte bezogen sein, wie der Nachthimmel, von der Erde aus gesehen, dem Ort unserer Verwirklichung, seinen Bezugspunkt im Nordstern findet. Aus diesem Denken können wir überflüssige Leiden abgeben… Für uns ist das Uranusjahr das erste, da wir offiziell, mit dem Rad als Grundlage, diese Dinge lehren — damit sie nützlich werden.
Und gerade am heutigen Tag ist es vor allem wichtig, dass uns klar wird, dass wir, was wir am wesentlichsten an uns wähnen, nämlich unser Ich, nicht schaffen, sondern empfangen, in Einklang mit dem All, in Einklang mit dem Nordstern.

Dieses Ich, das aus dem Zusammenhang von Anlage, Erziehung, Erfahrung, also bestinunter Gewahrseinsausschnitte der Welt, Denkformen, Gefühlsimpulse entsteht, bildet einen zentrierenden Punkt dieser Tendenzen, den Don Juan mit assemblage point bezeichnet. Im 7. Band von Castaneda wird beschrieben, wie die Fixierung dieser Ein- und Auslaufstelle vermieden werden muss, indem sie, mit Hilfe des Lehrers, immer wieder in andere Schichten des Bewusstseinsfeldes — cocoon — verschoben wird.
Ohne eine solche Zentrale kann die Person nicht funktionieren. Aber in der Ichvergessenheit der Meditation und des Ritus wie in Augenblicken der Hingabe im Tun, verlässt der Mensch diese scheinbare Sicherheit und zentriert sich direkt in der Mitte im Nichts, wo er sich in seiner Christschaft, Buddhaschaft oder seiner Wesenheit als Freund Gottes empfängt und erfährt.
Ziel ist immer nur die Mitte.
Richtung geht nach außen im Tun und kommt vom außen über die acht Kraftströme. Jedes Zeitalter beschreibt in seiner Religion das Erreichen dieses Ziels anders, und immer ist es das Gleiche.

In der Stille, nach Arnolds Worten, spürten wir unsere Achse zur Erdmitte, zum Himmel.
Wir werden uns zuerst auf das Unendliche im All: Wakhan — Skwan — auf den Heiligen Grund — und in der Mitte auf den Einenden Einen in seiner Wesenheit als Mensch im All, dem Wortgott, besinnen. (Ich spreche)
Wenn wir dann die Macht des Ostens gerufen haben, werde ich leise weitertrommeln und jeder wird versuchen zu spüren, zu hören, was ihm die Macht der Erneuerung bringt: welcher Art ist das mir Zukommende
. Dem einen mag es als Freude, dem anderen als Mut einleuchten. Dann werde ich einen starken Trommelschlag geben und — nachdem heute ein Tag der Wende ist, wo der Mensch verantwortlich für sich selbst im Licht der Welt steht — werden wir uns im Geiste umdrehen (mit dem Rücken zur Mitte), und spüren, in uns hören — was wir in dieser Richtung bewirken können.

Desgleichen im Westen: Wenn wir die Kraft des Ergreifens und Lassens, des Einstehens in unsere Mitte gerufen haben, werden wir erfahren, was uns fehlt, was uns gegeben wird, um unser magisches Selbst zu finden das heißt, in welcher Art die Kraft des Einstehens in uns wirksam werden kann — und nachdem wir uns nach außen gewandt haben, wie sie durch uns wirksam wird.
Im Süden werden wir erfahren, was wir uns durch die Kraft der Unschuld zutrauen — und wie wir es vermitteln können.
Im Norden mögen wir erfahren, was für uns unerlässlich, um unvoreingenommen die Kraft der Weisheit und Hingabe zu Empfangen und — aus ihr zu wirken.
Im Südosten spüren wir, wer uns hilft — und wie wir den Geist der Geschichte fortsetzen.
Im Südwesten, nachdem wir die Lebensträger angerufen haben, mag uns klar werden, was uns einerseits hindert, andrerseits ermöglicht, die Lebenskräfte in uns — und durch uns wirksam werden zu lassen.
Im Nordwesten, was unsere eigentlichen Wünsche sind, und wie sie durch jene der anderen Ergänzung finden, wie wir Einklang erreichen — Befriedung schaffen können; im Nordosten, wie wir unseren Weg finden — und Mitwirkende am Werk werden.

So hat unsere Anrufung beim Nordfest gemeinsame und individuelle Zuwendung vereint. In der einen oder anderen Richtung mag unseren Freunden bewusst geworden sein, welche Hinderlichkeiten fallen zu lassen sind, welches das persönliche Gefährt der Wirksamkeit werden kann.

Vor zwei Jahren, im siebten Monat, hat jeder für sich eine ganze Nacht damit verbracht zu erfahren, was in ihm derzeit Träger des Kraftstromes der Mitte zu und dann von dieser in die Auswirkung wird.
Unser persönlicher Einstieg war im Süden, von wo wir den Kreis im Uhrzeigersinn durchwanderten; das heißt, wir standen oder saßen zuerst in stiller Aufmerksamkeit auf die Mitte gerichtet, dann in der Mitte, der Welt zugewandt. Die Intention war bei allen so stark, dass sie von dem Unbehagen des Unheimlichen, beim Knistern der Äste, dem Spiel der Schatten im Halbmond, dem Wetterleuchten und beginnenden Regen, in eine tiefere Gewahrseinsebene eingedrungen sind, auf der das eigentliche Abenteuer beginnt.
Nach der Anrufung wünschten wir allen einen neuen Ansatz im Tun und schöne Ferien, denn es war unser letztes Beisammensein im Erdheiligtum vor dem Herbst. Diesmal erwartete uns von Diether und Wilfried gestaltet eine Salatkomposition, ein wahres Kunstwerk, das den ganzen Tisch bedeckte. Spieße wurden am Feuer geröstet, Bewunderung und Heiterkeit, Wohlsein und Vertrauen erfüllten die Luft bis in den späten Nachmittag.

Mit dem Bezug zum Norden, der als Weisheit unsere Strategie ermöglicht, traten wir nun im Zeitkreis in den Krebs, in das Gebiet des Seele-Fühlens ein, das wohl des weisen Denkens bedarf, um nicht der Phantasie des Mondes in emotionellen Problemen zu verfallen.

Im Monatsgespräch, das wegen unserer Abreise schon Anfang Krebs stattfand, wurde von positiver Geschichte (persönlich), Raumproportionen, sich im Verhältnis zur Familie, zu anderen erleben, gesprochen. Starre Fühlängste, Angst vor Gebundensein wurden gelöst — mit einfachen Worten. Sich eingebunden fühlen ohne gebunden zu sein, das waren die Themen. Fließende Verhältnisse war das erlösende Bild, das die Starre der Beziehungen, auf vergangene Urteile fixiert, erweichen lässt und verwandelt.
Auch mir gelang es, vorgestellte Ängste vor vorgestellten menschlichen Situationen fallen zu lassen und aus dem Augenblick heraus, in einfachster völliger Wahrhaftigkeit, die eigenen Motive und die des anderen anerkennend, zu sagen, was ich bisher niemals gewagt hätte. Ohne Befürchtung nahm das Geschehen einen ganz unerwarteten Lauf. Jahrelang geübte falsche Rücksichtnahme entschwand.

Fließende Verhältnisse — die Seele ist in der Traumsymbolik der Strom, das Fühlen, der See. Zweimal Wasser, in Bewegung und Ruhe; Elixier des Lebens, des Wachstums.

Wasser gab es auch von oben; viel Regen; sauren Regen. Entsetzen und Kummer ergriffen mich in Tirol angekommen, beim Anblick der leidenden Bäume; — der Bäume, mit denen mich immer schon innige Freundschaft verband: Ich möchte einswerdend mit der Erde den Himmel berühren, und spüren, wie der Wind über die Blätter geht.

Die zarten Lärchennadeln dürr, wie aus Papier; die jungen Fichten, von Schädlingen befallen, in krebsartigen Wucherungen ausartend verwachsen, verstümmelt. Die Fichte — Symbol des Immergrünen, zum Himmel weisend, Sternträger der Weihnacht, — und jetzt? Baum, der uns hilft uns zu erden und zu himmeln, wie können wir ihm helfen?

Ein edler, liebenswerter Zoologe, den ich in Innsbruck in seinem Laboratorium aufsuchte, klärte mich auf, dass es die fliegende rote Fichtenlaus sei, deren Einstich diese Wucherung verursacht, die wie ein falscher Fichtenzapfen aussieht, wo an die sechzig Läusekinder im frischen Saft der Pflanze ihre Entfaltung finden. Manche dieser Brutstätten sind in die zarten Triebe völlig eingepfropft; andere lassen sich abnehmen. Ich habe ein Bäumchen liebevoll entlaust, und wollte einen Antiläusekreuzzug starten, bevor sie ausschlüpfen. Milliarden Läuse unbemerkt und unbekannt sogar den einheimischen nächsten Nachbarn! All das im Krebs; was wird der Löwe bringen?

Wilhelmine Keyserling
Mensch zwischen Himmel und Erde · 1985
V. Heilige Zeit
© 1998- Schule des Rades
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