Schule des Rades

Arnold Keyserling

Offenbarung · Religion · Spiritualität

Die Prophezeiungen von Celestine

Mit der Offenbarung des Propheten Mohammed, der sich als Inkarnation des Heiligen Geistes betrachtete, wurde die Offenbarung als Ebene der Dichtung im Koran gefasst und zur Grundlage einer hierarchischen Gesellschaftsordnung, die binnen kurzem das Christentum in den sieben Gemeinden ablöste. Die mathematische Tradition wurde zwischen 800 und 1300 n. Chr. von neun Philosophen, den Lauteren Brüdern Ikhwan Al-Sarda aufgenommen, vor allem in der Auseinandersetzung zwischen dem fünften, Ibn Sina, auch Avicenna genannt, ein Arzt und Theologe, und dem dritten, Al Farabi, ein Aristoteliker in Turkestan. Bei Ibn Sina finden wir den entscheidenden Schlüsselsatz. Die Christen hatten sich dogmatisch auf die Dreifaltigkeit Gottes festgelegt. Der Islam dagegen erkannte alle Ziffern als gleichberechtigte Qualitäten und Namen Gottes an, weil im Unterschied zu den gegensätzlichen Wortthesen alle Zahlen sich auf die Eins und damit auf die Null zurückführen lassen, die potentielle und die manifestierte Gottheit.

Ich habe die numerologische Folge der Lauteren Brüder in meiner Geschichte der Denkstile nachgezeichnet. Doch die Katastrophen der Apokalypse verstehen wir aus zwei anderen Quellen: einerseits Die Mühle des Hamlet von Giorgio de Santillana und Hertha von Dechend und andererseits aus dem chinesischen Astraldenken.

Die Präzession des Frühlingspunktes war sowohl von den Chaldäern als auch von den Chinesen berechnet worden. Alle 2.160 Jahre kommt eine Götterdämmerung, die Zerstörung einer Epoche vor Anbruch der Folgenden, im Zyklus der sechzig Jahre von Holzhund zu Holzhund. Der letzte Übergang, von der Fischezeit zur Wassermannzeit, dauerte von 1934 bis 1994, die wohl schrecklichste Epoche seit dem Ende der Antike. Überall in Asien wurde dieses Ende am 10. Februar 1994 groß gefeiert.

Übersetzen wir die mythischen Bilder in die technische Welt, so spiegelt die Schreckensvision des Johannes tatsächlich die entsetzlichen Ereignisse des Holocausts, der GULAGs, des Zweiten Weltkriegs und der chinesischen Kulturrevolution. 1994 war diese Epoche beendet und es begann die globale Zivilisation mit dem werdenden Gott, dem Menschen im All. Die offizielle Religion und Ideologie der Fischezeit war hierarchisch und paternalistisch. Schon seit Gründung der Vereinten Nationen wurde die Hierarchie für alle fragwürdig, und 1994 wurden die letzten Traditionen der jungsteinzeitlichen Religion der Australier und Afrikaner zugänglich. Diese schaffen den Übergang von der organisierten Religion der Kirchen zur freien Spiritualität, die keine Feindschaft der kulturellen Bekenntnisse mehr duldet.

Im Holzhundjahr 1994, zu Beginn des metapolitischen Aufbaus der Wassermannzeit, erschien das Buch Die Prophezeiungen von Celestine von James Redfield. Darin beschreibt der Autor die Entdeckung eines Manuskripts der Mayas aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert im Urwald von Peru, das die künftige Entwicklung der Spiritualität darlegt.

Redfield ist ein genialer Schriftsteller und hat seine echten Kenntnisse in einem Abenteuerroman verfremdet, wodurch die wissenschaftliche Kritik ausgeklammert wurde. Doch alle Figuren des Romans, die nach dem Manuskript suchen, sind Wissenschaftler. So zeigt sich das erste Kriterion der neuen Zeit: Nur wer an der Weisheit als Krönung der Wissenschaft arbeitet, wird fähig, sich an der Suche nach der persönlichen Offenbarung zu beteiligen.

Die neunstufige Ordnung des Manuskripts entspricht dem chinesischen, islamischen und pythagoräischen Aufbau. Ohne Werbung wurde das Buch ein Bestseller in vielen Ländern. Man muss es in der Form lesen, wie es der Autor dargestellt hat. Doch für das Verhältnis von Wissenschaft und Spiritualität möchte ich die entscheidenden Einsichten herausheben.

  1. Nur jener ist bereit, sich dieser Suche zu widmen, den eine tiefe Unruhe über unsere intime und öffentliche Welt gepackt hat, deren Ursache er nicht weiß.
  2. Der erste Schritt ist die Verlegung des Schwerpunktes vom Bewusstsein auf das Gewahrsein, von der rationalen Planung auf die kosmischen Fügungen, die jedem Menschen begegnen. Dieser Entschluss gleicht bei den Menschen der Spiritualität der Bekehrung der Religionen.
  3. Die zweite Einsicht verlangt, in der Geistesgeschichte den Paradigmenwechsel vom Mittelalter zum Rationalismus der Neuzeit als einen biologischen Schritt der Evolution zu erkennen. Die Aufklärung schuf die Vorbedingungen der technologischen Zivilisation, die jedem virtuell ein freies Leben ermöglicht. Sie betrifft nicht den Lebenssinn, sondern die Überlebens­mittel.
  4. Die dritte Einsicht schildert, wie man fähig wird, die Urkraft des Chi zu sehen und zu erwecken durch Einübung in die Wahrnehmung der Pflanzenwelt in Schönheit und Liebe.
  5. Die vierte Einsicht erweist, wie Menschen versuchen, die Chikraft anderen Menschen zu rauben, woraus aller Kummer der Welt erwächst. Der einzelne muss sich umpolen, er muss die unendliche Kraft der Liebe anpeilen. Sie eröffnet sich dem Gebenden, nicht dem Nehmenden.
  6. In der fünften Einsicht erlebt der Erzähler auf einem Bergesgipfel die Evolution des Mikrokosmos vom Urknall bis zum Menschen als mystische Vision, als Brücke zwischen Religion und Naturwissenschaft.
  7. Die sechste Einsicht stellt die Frage, warum man sich seine Eltern ausgesucht hat und wie man ihre Anliegen im eigenen Leben vereinen kann.
  8. Die siebte Einsicht ergänzt die erste. Dort wurde man auf die Fügungen aufmerksam, in der siebten erzeugt man durch Wesenswünsche ans Jenseits die Zukunft. Man tritt ein in den großen Strom der himmlischen Energie.
  9. Bei der achten Einsicht kommt es zur Auseinandersetzung mit der patriarchalischen Ideologie, die in der Aufrechterhaltung der moralischen Autorität der Kirchen den vermeintlichen Willen Gottes, die Spiritualität, verhindern will. Der achte Teil ist dramatisch. Diese Gefahr wird überwunden, wenn man erkennt, dass jede Begegnung eine Botschaft für das künftige gemeinsame Werk birgt: Man trifft niemanden ohne geistigen Grund.
  10. Die neunte Einsicht skizziert die spirituelle Zukunft, in der es keine Führer und Geführten mehr gibt, sondern jeder seinen eigenen Sinn in der Teilnahme am Werk der Erde findet. Das materielle Leben wird für alle durch die Technologie gesichert. Die Anzahl der Menschen vermindert sich, damit jedes Kind einen erwachsenen Helfer findet, um nicht in die ideologische Gruppenmentalität zu verfallen. Dieses erscheint den etablierten Mächten in Peru verbrecherisch und sie vernichten das Manuskript. So wird es die Aufgabe der Sucher, es aus ihrer Erinnerung zu rekonstruieren, wie einst bei den Lauteren Brüdern und Wahrheitssuchern.

Die zehnte Einsicht soll den Schlüssel geben. Doch sie ist die positive Offenbarung des Johannes, artikuliert im Rad. Durch Schaffung einer Plattform des spirituellen Zusammenhangs der Kulturen wird die neunte Einsicht zum Leitbild, und dies geniale Buch ist wirklich, wie einst Gurdjieff es vorwegnahm, The Herald of Coming God.

Arnold Keyserling
Offenbarung · Religion · Spiritualität · 1995
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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