Schule des Rades

Arnold Keyserling

Metaphysische Grundlagen des Delphischen Orakels

Der Ursprung der Mathematik ist die Musik

Was war nun der Sinn des Lebens? Die Herastraße in Samos veranschaulichte es. An ihr erhielt jeder Grieche ein Denkmal, der eine überragende kulturelle Leistung vollbracht hatte. Samos war ferner der Geburtsort des Pythagoras, dem es gelang, in der Mathematik die Ursprünge der sinnlichen Wirklichkeit und der Mythen zu bestimmen. Ursprung der Mathematik ist die Musik, die wir geometrisch und arithmetisch vernehmen können. Sie gliedert die Erfahrung in drei Welten: die tonale musica humana des Rhythmus — des Mikrokosmos die intervallische musica mundana, die Musik der Sphären des Makrokosmos, der Melos und die Melodie die Harmonik, der Zusammenhang von Rhythmus und Melodie in der vierstimmigen Harmonie der musica instrumentalis.

Die rhythmische Musik ist das Urbild der Emotionen. Die intervallisch-melische Musik in der freien Wahl der Töne spiegelt den Geist und damit die Mythen, und die harmonische Musik der musica instrumentalis ist das Gesetz der Gesellschaft. Jeder Mensch soll ein bestimmtes Instrument meistern, um am Reigen der Kultur teilzunehmen.

Der Rhythmus des Mikrokosmos ist gegeben; er entstammt der Erde und der Zeit, dem Takt der Erdsekunde. Der Melos ist frei, beschränkt sich aber auf die Obertöne der neun Ziffern und ihrer sieben Tonwerte, und die musica instrumentalis ist gegründet auf dem temperierten Quintenzirkel der zwölf Töne, auf dessen Raster alle Tonarten ineinander überführt werden können, wo alle Instrumente, sprich Menschen, miteinander über Musik und Sprache in Kommunion treten: das Urbild der Zivilisation.

Arnold Keyserling
Metaphysische Grundlagen des Delphischen Orakels · 1995
Studienkreis KRITERION
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