Schule des Rades

Arnold Keyserling

Spirituelle Ästhetik als Weg der Erkenntnis

Gespräch Teil 4

A. K.
Hast Du in Deinem Leben auch Menschen getroffen, die als Ganze auf Dich gewirkt und Dich in deiner Entwicklung inspiriert haben, wie sie Gottfried von Einem in einem früheren Gespräch als Leuchttürme bezeichnet?
E. G.
Ich habe einen Mann getroffen, in Mexiko, der mir auch ein Meskalinerlebnis vermittelt hat. Das war ein älterer Mann, der er selbst war; eindeutig, hell. Einem zweiten alten Mann begegnete ich in Java. Ich befragte ihn über das Jenseits. Er hat durch mich hindurchgeschaut und sagte: es gibt Häuser, es gibt Bäume, es gibt Menschen. Das Jenseits ist so wie das Diesseits, es ist ein Spiegel dazu.
Ich habe aber nie so sehr Menschen gesucht, sondern eher versucht, Orte zu erfahren. Ich habe in Griechenland die Qualität eines bestimmten Ortes erkennen wollen. Das Design erfasst ja nicht nur Dinge, es lassen sich auch Zeitabläufe gestalten. Für mich war immer schon das rituelle Gestalten sehr wichtig. Damit konnte ich den Geist einfangen. Ein Ritual ist für mich zum Beispiel eine Serie von Tagen, wo ich an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort bin, um eine bestimmte Botschaft zu empfangen. Das ist eine weitere Art meiner Gestaltung.
Das Verständnis der Qualität der Zeit und der Urformen der Geometrie können wir auch über das Rad vertiefen. Im Zusammenhang Materie-Energie haben wir von unseren indianisch-schamanischen Freunden in der Teilnahme an vielen Heilungsriten, Schwitzhütten und gemeinsam verbrachten Tagen viel gelernt. Was uns bewusst wurde, ist dass jeder, der eine gewissen Kenntnis der Prinzipien hat, kreativer Gestalter von Riten werden kann, weil diese zwar auf dem Verständnis des energetischen Aspekt unseres Universums beruhen, aber nicht festgelegt sind. Der Schamane weiß, dass alles auf der Welt: Steine, Pflanze, Tiere, Feuer, Gewässer, Winde, Himmelsrichtungen, wie auch der Mensch einen Materie- und einen Energieaspekt haben. Letzerer ist es, der uns mit der Wesenheit in Beziehung setzt. Wenn unsere Motivation und Intention eindeutig sind, können wir im Ritus durch die Intensität der Aufmerksamkeit mit den Wesenheiten in Beziehung treten. Mir war in letzter Zeit die Beziehung zum Licht besonders wichtig. Aus der Geistesgeschichte besonders des Buddhismus, war mir so manches bekannt. Die Erleuchtung schien mir eine der Möglichkeiten — aber die Frage war: wie ist es machbar? Was mir die Erfahrung ermöglichte, war das abstrakte; das heißt, ich musste mich in die innere Achse begeben, mich zusammenhalten, so dünn wie möglich werden. Dann musste ich mich an einem bestimmten Ort befinden, wo die Schwingung günstig ist, so dass es passieren kann. Dann wurden meine Intention zur Frage, ja zur Forderung: eine Erleuchtung. Man muss einen Zeitrhythmus haben, den richtigen Ort, und dann tut man es einfach.
Das Abstrakte sind die Urformen der Geometrie; sie sind Schöpfungsprinzipien. Deswegen kann ihre Betrachtung, Kontemplation in das Unbekannte führen. Das Dreieck hat mir zum Durchbruch verholfen. Dazu muss natürlich im Zeitpunkt die innere Bereitschaft zu einem Kulminationspunkt gekommen sein. Ich setze mich also in den Apollo-Tempel, und nachdem ich mich dünn gemacht hatte, meditierte ich das inhaltslose Dreieck, bis plötzlich ein Auge darin erschien. Dieses Auge war freundlich und strahlte Licht aus. In Verbindung zwischen mir als Beobachter und dem ausgestrahlten Licht verschwanden Auge und Dreieck. Jeder meiner Zellen und meine Ganzheit wurden durchströmt von einem grünlichweißen Licht. Meine Person war ausgeschaltet und ich erlebte bliss, eine unbekannte Seligkeit.
A. K.
Du hast immer wieder versucht, Menschen zu zeigen, wie man zum Wagnis des eigenen Lebens findet und vielen darin geholfen.
E. G.
Der geistige Weg beginnt von selbst. Plötzlich kommt der Mensch darauf, dass etwas nicht stimmt, oder er wird in eine Situation gebracht, wo nichts mehr funktioniert; eine Krise. Obwohl wir im Wohlstand leben, gibt es immer mehr Menschen, die in eine Krise hineinkommen. Andererseits verlangt die heutige Wohlstandsgesellschaft mehr Individualität. Nur der kommt im Leben weiter, der um eine Spur anders ist als der andere. Das glaube ich, genügt schon, dass diese neuen Methoden — so etwas wie Psychoengeneering — verwendet werden, um feiner Differenzierungen herauszuarbeiten und den eigenen, ganz besonderen Platz im Leben zu finden.
A. K.
Mir ist wichtig, was Du sagst, weil die meisten Methoden heute therapeutisch verwendet werden, und das bedeutet ja, einen Mangel in einen Normalzustand zurückzuführen. Wenn Du vom Schönen in Beziehung zum Weg der geistigen Erkenntnis sprichst, meinst Du damit über Normalität hinauszuwachsen in das Abenteuer des Lebens.
E. G.
Ja, mir ist das immer als normal vorgekommen. Wenn man ein Leben hat, kann man es doch nur abenteuerlich betrachten!
A. K.
Don Juan spricht davon, dass jeder, der den Weg des Kriegers geht — was mit Kämpfen natürlich nichts zu tun hat — jeder Gelegenheit ganzheitlich begegnet, dass der Mensch auf omens and agreements, Zustimmung und Zeichen antworten und sein Leben von der banalen Planung auf die Ebene des Dialogs mit der ganzen Welt erheben soll.
E. G.
Das entspricht auch meiner Einstellung. Ich beziehe mich auf die Welt als Ganzes. Ich rede mit der Welt direkt, nicht mit der Kultur oder Zivilisation, sondern mit der Welt als Wesen. Und wenn ich sage Achse, dann beziehe ich mich auf den Mittelpunkt der Erde. Ihr bin ich auf Gedeih und Verderb verbunden. Wir sind eins.
Arnold Keyserling
Spirituelle Ästhetik als Weg der Erkenntnis · 1996
im Gespräch mit Ernst Graf
© 1998- Schule des Rades
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