Schule des Rades

Arnold Keyserling

Evolutionstheorie und Religion

Gespräch Teil 7

F. K.
Ehe wir zu einer abschließenden Frage in bezug auf die Gottesvorstellung kommen, noch eine Informationsfrage über die verschiedensten Verschwörungen in unserer Zivilisierten Welt, die in diese Richtung tendieren. Wir haben die Gnostiker von Princton zitiert, wir haben auf ein Buch hingewiesen — The Aquarian Conspiracy, die stille Verschwörung, also die Verschwörung des Wassermanns. Der Wassermann als Leitfigur der sechziger Jahre, der Erhebung der Grünen.
A. K.
Der Aquarius des Musical Hair
F. K.
Wie sieht das heute Ihrer Erfahrung nach real aus? Sind die Universitäten unterwandert?
A. K.
Ja, die Universitäten sind unterwandert. Marilyn Ferguson, die Autorin von The Aquarian Conspiracy, sagt, wann immer sie mit zwanzig Leuten zusammen ist, sind drei oder vier bereits in der Verschwörung, ohne es zu wissen. Und diese Verschwörung heißt ganz schlicht: von links wieder zurück nach rechts — also zu der Gehirnhälfte, die ohne Ich denken kann. Das heißt: die Emotionen ernst nehmen, die Vorlieben ernst nehmen. Natürlich ist das auch eine Auseinandersetzung zwischen der jungen Generation, die bereits mit Mengentheorien aufgewachsen ist, mit den geisteswissenschaftlich orientierten Alten, die am patriarchalischen Denken festhalten. Also die Verschwörung ist überall — und sie ist vor allen Dingen sanft.
F. K.
Wie war das mit der Jugend und der Mengenlehre?
A. K.
Die Jugend, weil sie mit Mengentheorie, mit neuer Mathematik, mit Imagination aufgewachsen ist, weil sie unzähligen Reizen ausgesetzt war, die nicht vom linken Gehirn zu integrieren sind…
F. K.
Weil sie also mehr mit Mathematik als mit Rechnen zu tun hatte…
A. K.
Gewiss. Wir haben auch die erste Generation im Westen, die ohne wirtschaftliche Not aufgewachsen ist, für die also das reine Überleben kein Argument ist.
F. K.
Sie zitieren mehrfach die Gnostiker von Princton. Es gibt da ein Buch, das seit Jahren im Umlauf ist Jenseits der Erkenntnis. Die Gnostiker von Princton…
A. K.
Das Buch ist ein bisschen phantasievoll. Als ich in Princton war, hatten die noch nie was von ihren Gnostikern gehört. Was wirklich ist, schreibt Marilyn Ferguson in Aquarian Conspiracy. Wir wissen heute, das die Erkenntnisse der Eskimos, der Afrikaner und so weiter den unseren — wie es Christen und Europäer geglaubt haben — nicht unterlegen sind, sondern dass ganz einfach andere Begabungen vorliegen. So haben wir auch unsere Fähigkeiten neu zu bewerten: Wenn jemand linkshirnbetont ist, kann er leicht arithmetisch rechnen. Er hat aber vielleicht keinen Rhythmus. Diese Erkenntnis will sich sanft durchsetzen. Rabiat ist der Widerstand gegen sie. Nicht ohne Grund: Wer nämlich auf Linkshirn-Dominanz erzogen ist, hat Angst, weil er den Kontakt mit der Mutter, weil er das Grundvertrauen verloren hat. Das Urvertrauen hatten die alten Kulturen, es kann durch innere Zuwendung zur Natur, also zu den Pflanzen und Tieren, wiedergewonnen werden. Zu der sanften Verschwörung gehören somit viele, die es noch nicht wissen.
F. K.
Man könnte also allgemein sagen: Alle, die nach Innovationsquellen suchen, gehören dazu. In diesem Bereich wäre ja dann wohl auch die Hoffnung dieser scheinbar in eine Sackgasse geratenen Menschheit zu suchen. Wir beurteilen ja unsere Innovationskapazität vorläufig nach dem Gesichtspunkt des derzeitigen Standes der modernen Technik, der Naturwissenschaft, die möglicherweise nicht weiterführt. Tatsächlich dürfte ja die Innovationsfähigkeit des menschlichen Gehirns und der menschlichen Kultur unendlich größer sein.
A. K.
Da ist zum Beispiel die Theorie, dass Mangel herrscht. Heute ist das ja ein Teil des liberalistisch-kapitalistischen Denkens. Durch Mangel kann man was verkaufen, also ist Mangel vonnöten. Dieses Denken erzeugt Mangel. Sobald ich glaube, dass es mir schlecht gehen wird, geht es mir schlecht. Das nennt man negativ prayer oder self-fulfilling prophecy. Die Katastrophentheorien werden von Menschen erdacht, die wissen, dass ihre Mentalität zu Ende geht.
F. K.
Das heißt: Diese apokalyptischen Vohersagen beziehen sich auf diesen Erdball und die Menschheit, betreffen aber eigentlich das System, das sich diese Apokalypsen ausdenkt.
A. K.
Sie betreffen eine bestimmte Gesellschaft, die — wie etwa von Neumann — der Überzeugung ist, dass der Mensch, der die Möglichkeit der Zerstörung seiner selbst in der Hand hat, dies nach statistischer Wahrscheinlichkeit tun wird. Aber die Statistik ist nicht die Wirklichkeit. Sie ist das Produkt nur einer Hirnhälfte.
Arnold Keyserling
Evolutionstheorie und Religion · 1999
im Gespräch mit Franz Kreuzer
© 1998- Schule des Rades
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