Schule des Rades

Arnold Keyserling

Rückkehr des Selbstverständlichen

Rückkehr des alten Denkens

Die Philosophie des New Age hat sich in den letzten zwanzig Jahren außerhalb der akademischen Mauern entfaltet: Human Potential Movement, humanistische und transpersonale Psychologie, innere Ökologie, experimentelle Religion, Bewusstseinsforschung sind Beispiele dafür. Sie wurde ganz nach der bekannten österreichischen Spruchweise vom traditionellen Wissenschaftsbetrieb noch nicht einmal ignoriert.

Das ist in der letzten Zeit anders geworden. Die laienhaften Synthesen des tollen Treibens der Neumetaphysiker so liest man, werden als Gefahr für die ehemals Neue Linke der 68er-Generation verstanden, die beharrlich auf ihrem Weltbild aus der Zeit der Industrialisierung sitzen blieb. So schreibt denn auch Sloterdijk: Dem forschenden Geist könnte nichts Schlimmeres zustoßen, als wenn durch eine epistemologische Katastrophe unbekannten Ausmaßes eines Tages herauskäme, wie alles in Wirklichkeit ist.

Mit der epistemologischen Katastrophe ist die Grundlage des religiösen Denkens, die Philosophia Perennis, die immerwährende Philosophie gemeint, oder wie die Inder sagen: Sanatana Dharma. Es sieht die menschliche Freiheit darin, dass der einzelne Mensch durch Erkenntnis seiner inneren Leere und Nichtigkeit, also dem Eingeständnis seiner Kreaturhaftigkeit, zum Mitwirkenden an der Evolution erwächst. Denken ist der Innenbau der Wirklichkeit, es ist der Natur inhärent. Goethe hat es treffend so ausgedrückt: Das Höchste wäre zu erkennen, dass alles Faktische schon Theorie ist… man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre.

Das Wiedererstarken der Religionsphilosophie, vor allem durch das Werk von Mircea Eliade, zeigt nun eine auffällige Ähnlichkeit zur biologischen Erkenntnistheorie. Ich möchte daher einige Grundbegriffe verdeutlichen, die beiden Richtungen gemeinsam sind und uns ein positives Verständnis erleichtern können.

Kernstück der tierischen Verhaltensforschung war die Bestimmung der Vier Triebe durch Konrad Lorenz: Nahrung und Sicherung als zum Selbsterhaltungstrieb gehörig; Reproduktion und Aggression als zum Arterhaltungstrieb gehörig, wobei der Aggressionstrieb noch unterteilt ist in Territorialinstinkt und hierarchischen Instinkt. Zwischen Arterhaltung und Selbsterhaltung entfaltet sich das arttypische Ritual jeder Tierart, welches sich im Laufe der Evolution entwickelte. Dieses arttypische Ritual beruht auf der Wechselwirkung von männlichen und weiblichen Rollen.

Diese Instinkte sind nicht aus der Individualität geboren. Sie müssen als von außen eingreifende Kräfte der Evolution verstanden werden, innerhalb derer sich das Ritual als vorgegebenes Spiel entfaltet, wie das etwa Vitus B. Dröscher in launiger Weise geschildert hat.

Auch der Mensch hat an den tierischen Trieben teil. Daran anknüpfend hat Norbert Elias — im Gegensatz zur aufklärerischen Soziologie — die Entwicklung der abendländischen Zivilisation als Ergebnis der dialektischen Wechselwirkung der beiden Triebrichtungen dargestellt: sie hat zu einer immer größeren Verfeinerung der Zivilisation geführt.

Doch Lorenz behauptet, im Unterschied zum Tier sei der Mensch nicht in sein Ritual eingespannt, sondern sein Schwerpunkt sei die ewige Lernfähigkeit; seine evolutionäre Rolle sei daher dynamisch. Wer nicht mehr lernt, regrediert und verfällt in einen geistigen Tod, da das Gehirn sich bei Nichtgebrauch zurückentwickelt. Wie kann man nun den Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Verhalten kritisch bestimmen? Hier zeigt uns Mircea Eliade einen Weg.

Arnold Keyserling
Rückkehr des Selbstverständlichen · 1984
Studienkreis KRITERION
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