Schule des Rades

Dago Vlasits

Wissenschaft vom Ursprung ist der Ursprung von Wissenschaft

Das Pleroma der Leere

Die Konzeption des Leukipp, welche die moderne Wissenschaft beflügelte, war die Vorstellung von endlichen geometrischen Strukturen, welche im unendlichen Raum vielfältiger Bewegung und Kombination fähig sind. Dabei handelt es sich aber um nichts anderes als um eine begrifflich statische Fixierung von Nichts und Etwas, 0 und 1 zu einer Zweiheit. Doch der dreidimensionale Raum ist nicht die wahre Leere. Die dynamischen und geometrischen Fähigkeiten, welche Leukipp in ihm fand und an den Atomen festmachte, sind nur ein Aspekt des leeren Nichts. Die moderne Physik selbst hat diese eingeschränkte Vorstellung erweitert. Für sie ist das Vakuum energieerfüllt und seine Felder unendlicher Quantenfluktuationen der Erzeugung von Teilchen fähig. In diesem Raum ist gleichsam alles drinnen, wie im Chaos der Spermata des Anaxagoras. Er ist der symmetrische Hintergrund der Gegensätze des Anaximander und der Brennstoff des Heraklitischen Feuers. Die Ursubstanz, welche er dauernd gebiert, ist das Meer der Quanten, dem Wasser des Thales vergleichbar.

Die Entdeckung des Quantums durch Max Planck war die große wissenschaftliche Revolution dieses Jahrhunderts, welche zur Ablösung des mechanistischen Weltbildes führte. Von nun an war die Welt nicht mehr scharf getrennt in beobachtendes Subjekt und beobachtetes Objekt, sondern beide verschmolzen zu einer Einheit. Vor einer Beobachtung, welche immer energetische Wechselwirkung bedeutet, besteht Materie nur in Form mathematischer Wahrscheinlichkeitswellen, wobei weder Ort noch Energie eines Teilchens genau bestimmt sind. Erst in der Wechselwirkung wird die Materie manifest, doch eine gewisse Unschärfe bleibt immer bestehen. Das Quantum als kleinste Einheit des Universums ist unteilbar, wie eine Entscheidung unteilbar ist. Das Quantum ist aber kein Stoff, sondern Wirkung. Alles, was besteht, ist ein ganzzahliges Vielfaches des Quants, ein quantitatives Mehr oder Weniger dieser Ursubstanz wie bei der Luft des Anaximenes. Es ist aber nicht nur die kleinste Einheit, sondern auch die größte Einheit des All im Sinne des Bellschen Theorems. John Stewart Bell hat mathematisch erwiesen, dass das gesamte Universum als ein einziges Quantenobjekt zu betrachten ist, dass dessen Wirkzusammenhang jenseits von Raum und Zeit besteht und daher alles gleichsam in einem Punkt existiert. Anaxagoras, welchem bei seinen unendlichen Teilungen das Größte und das Kleinste zum Gleichen wurde, müsste sich also heute seiner Ungereimtheiten nicht mehr schämen, und Parmenides würde sich in einer Welt, in welcher keine Distanzen zu überwinden sind und keine Zeit vergeht, gewisslich wohlfühlen.

Üblicherweise wird das Quantum ℎ als energetische Größe mit der Zahl 6,626 × 10³ erg s angegeben. Pythagoräisch ist es aber die Zahl Eins des Universums, das Eine göttliche Subjekt, welches allen Wesen eigen ist. Es kann uns zum lebendigen Gegenüber oder zum materiellen Objekt werden. Die grundlegende Dynamik, welcher nun die Quanten im Universum ausgesetzt sind, ist ihr Spiel zwischen Entropie und Negentropie, die Liebe und der Streit des Empedokles, was im dreidimensionalen Raum als zeitliche Evolution erscheint.

Im Zuge der Ausdehnung des Raumes im Urknall und dem daraus resultierenden entropischen Gefälle friert aber gleichsam eine ewige Struktur aus, welche der Träger des negentropischen Aufstiegs im molekularen Spiel ist — das Atom. Zuallererst manifestiert sich die kosmische Energie der Quanten als die vier Kräfte — starke Kraft, schwache Kraft, Elektromagnetismus und Gravitation — in deren Schoß die Keime der verschiedensten Teilchen liegen. Doch nicht Quarks, Leptonen und die Trägerteilchen der 4 Kräfte sind das Endprodukt, sondern diese fügen sich zur stabilen Einheit des Atoms. Im Atom sind alle 4 Kräfte und alle untergeordneten Teilchen integriert.

Das Quantum ist die subjekthafte Wirkeinheit des nullhaften Augenblicks der Zeit, und somit reine Potentialität. In der aktualen Wirklichkeit ist es der einheitliche Träger und Akteur des räumlichen Kontinuums, in welchem es seine Entfaltungs- und Bindungsmöglichkeiten gewinnt. Auf seinem Weg abwärts, dem entropischen Gefälle folgend, wird es zur Quanteneinheit des Atoms mit seiner mannigfaltigen Struktur. Diese besitzt nun ein kernartiges Zentrum, welches von 7 Energieniveaus oder Elektronenschalen umgeben ist, und das Bestreben, die Außenschale mit 8 Elektronen zu besetzen. Das Erreichen der Achtfältigkeit bedeutet die vollkommene Einbettung ins räumliche Kontinuum, gleich der Entfaltung der 8 Ecken des Kubus, dem Urbild des Raumes. Es bedeutet Ganzheit und Allverbundenheit. In diesem Zustand sind aber nur die Atome der X. Gruppe, die Edelgase. Die Atome der anderen 9 Gruppen gehen untereinander vielfältige Bindungen ein, um die achtfältige Sättigung ihrer Außenschale zu erreichen, was auf molekularer Ebene den ersten Antrieb des evolutionären Aufstiegs bildet. Doch die achtfältige Bindungsregel ist nicht nur für Moleküle maßgebend, auch der Mensch gründet darauf seine Beziehung zum Raum. Wollen wir aber diesen Raum als den Raum des Subjekts begreifen, dürfen wir ihn nicht als bloß abstrakte oder physikalische Größe sehen, sondern als Hort der Urkraft Chi im Sinne der chinesischen Philosophie. Die physikalischen Energien sind nur Ableitungen des Chi, welches keinen Apparaten, sondern nur Subjekten zugänglich ist.

Helium, das erste der Edelgase, welches allerdings nicht 8, sondern zwei Elektronen in seiner Schale besitzt, zeigt uns die elementarste Einstimmung ins Chi. Es ist das Produkt der Ur-Bindung, die Fusion von Wasserstoff, wie sie sich in der Sonne vollzieht. Die freiwerdende Energie schafft und erhält alles Leben, dem Menschen in der sexuellen Vereinigung erlebbar. Im Chinesischen wird die Vereinigung der Urzweiheit von Yin und Yang als Tai Chi bezeichnet und bedeutet den Beginn der Schöpfung. Doch jedes pull and push, jedes Öffnen und Schließen, ob im Ein- und Ausatmen oder in der Bewegung, öffnet uns, wenn von der vereinigenden Aufmerksamkeit begleitet, der heilenden Kraft des Chi. Im Qi Gong und verwandten Techniken wird etwa durch entsprechende Bewegung der leeren Hände Chi dem Körper einverleibt, wodurch Meister dieser Disziplin zu spektakulären Kraftakten fähig sind.

Doch für den Menschen als komplexes Wesen sind auch die anderen Edelgase mit ihren 8 Außenelektronen ein Urbild der Vollendung im Chi. Die 8 Urbegriffe des Rades — empfinden, denken, fühlen, wollen, Körper, Seele, Geist und Gewahrsein — sind der Raster des Denkens. Bewusstseinsinhalte, die durch diesen Raster nicht integriert sind, haben wir nicht verstanden, und sie verstellen als falsche Denkvorstellungen den Zugang zur Kraft. Das sogenannte Denken aus dem Bauch, das Erleben einer Kraft, die uns führt, ist dann nicht möglich.

In der nagualischen Traumvision wird uns der Raum zu begegnenden Wesen, welche durch die acht Himmelsrichtungen wirken. Die Kommunion mit ihnen kann in den gemeinschaftlichen Riten des Erdheiligtums erfahren werden, welches als achtfältiger Steinkreis der schamanischen Kulturen überliefert ist.

Auf der Ebene der individuellen Wahl schließlich wird die Achtfältigkeit zur Grundlage der Mantik und des Orakels. Der I Ging, aufgebaut auf den 8 Trigrammen, ermöglicht Entscheidungen im Einklang mit dem Chi, was uns vor selbstsüchtiger Isolation bewahrt.

Es gibt prinzipiell 7 Edelgase, in Entsprechung zu den 7 Perioden des periodischen System, wobei das 7. und letzte von ihnen zugleich das letzte Element des periodischen Systems mit der Ordnungszahl 118 nur potentiell existiert. Es konnte auch noch nicht künstlich hergestellt werden. Diese 7 Energieniveaus des Atoms sind nun die elementarste materielle Entsprechung des menschlichen Energieleibs, der 7 Chakras, welche im indischen Yoga am ausführlichsten beschrieben wurden.

Mit Hilfe des Rades, unter Anwendung des pythagoräischen Oktavgesetzes bzw. des modernen Prinzips der Selbstähnlichkeit lässt sich der Zahlenschlüssel des Atoms als eine Struktur erkennen, welche auf verschiedenen Ebenen ihre Wirksamkeit entfaltet. Auf solche Weise kann die moderne Wissenschaft die Richtigkeit des Wissens alter Weisheitstraditionen bestätigen, einen kritischen Zugang ermöglichen und das Verständnis vertiefen. In Materie, Leben und Bewusstheit kann man dann des einen Sinnes gewahrwerden, und die körperliche Wirklichkeit wird zur Grundlage der gemeinsamen Sprache einer Menschheit, die nicht mehr durch politische Ideologien oder religiöse Bekenntnisse geeint ist.

Dago Vlasits
Wissenschaft vom Ursprung ist der Ursprung von Wissenschaft · 1994
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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