Schule des Rades

Dago Vlasits

Das stumme Wissen

Voraussetzung

Es gibt wohl kaum einen Begriff, der auf eine vergleichbare Karriere zurückblicken kann wie jener der Information. Aus einem ursprünglich philosophischen Begriff, der seine Wurzeln in der platonischen Lehre von den ewigen Ideen hat. bzw. im aristotelischen Konzept der Formursache, die der potentiellen, amorphen Materie ihre aktuelle Gestalt aufprägt, wurde ein profaner Begriff, der aus der heutigen Sprache nicht mehr wegzudenken ist. Wir kennen seine umgangssprachlichen Bedeutungen wie Auskunft, Wissen oder Botschaft, es gibt aber natürlich auch verschiedene wissenschaftliche Definitionen des Begriffs, je nach dem, welcher Aspekt von Information in Frage steht. Er bildet den zentralen Gegenstand neu entstandener Wissenschaften wie der Informationstheorie, der Informatik und der Kybernetik, und auch neu entstehender Wissenschaften wie jener der Komplexitätstheorie.

Die verschiedenen Bedeutungen, und der Umstand, dass auch die strengen wissenschaftlichen Definitionen allesamt noch nicht das gesamte Wesen von dem beschreiben, auf was der Informationsbegriff deutet, machen ihn schillern und zu einem beinahe inflationär gebrauchten Allerweltsbegriff.

Ein inflationäres Moment scheint aber nicht nur dem Gebrauch dieses Wortes, sondern auch seinem Wesen anzuhaften. Durch die Verbreitung der elektronischen Medien erkennen wir, dass die Information in unserer Welt wächst, und obendrein müssen wir ein solches Wachstum auch in der Natur konstatieren, wenn wir die natürliche Evolution unter informationstheoretischen Kriterien betrachten.

In der menschlichen Informationssphäre ist der Begriff durchaus auch mit dem negativen Aspekt von Inflation assoziiert, mit Aufblähung, die mit Entwertung einhergeht, und man spricht von der wachsenden Informationsflut oder gar von Informationsmüll. Daher wird in der elektronischen Zivilisation die sinnvolle Auswahl von Information zusehends zu einer zentralen Bemühung, was immer Reduktion von Information bedeutet. Damit sind aber nicht nur Fragen wie die nach ökonomischeren Ordnungskonzepten für große Informationsmengen oder nach besseren Suchmaschinen für das Internet aufgeworfen, sondern letztlich auch die Frage nach dem Wesen des Verstehen von Information überhaupt. Zu Verstehen, was Verstehen eigentlich ist, ist für den Menschen nicht nur relevant, um intelligente Roboter zu bauen, sondern vor allem, um nicht selber zu einem informations­gesteuerten Roboter zu werden — aber auch, um zu erkenne, inwieweit er von Natur aus immer schon ein solcher ist, und wie er sich aus diesem Zustand zum eigentlichen Menschsein befreien kann.

Bei all diesen Bemühungen ums Verstehen des Verstehens, ob nun technologischer, kognitionstheoretischer oder philosophischer Art, scheint eine Einsicht unumgänglich: Wie auch immer man das Verstehen von Information begreiflich zu machen versucht, man kommt nicht darum herum, für jedes Aufnehmen und Verarbeiten von Information immer schon das Vorhandensein einer bestimmten Art von Information oder Wissen vorauszusetzen, welches eben neue Information, aufnimmt, verarbeitet, versteht. In vorliegendem Text um philosophische Erkenntnis bemüht, wollen wir uns der Natur dieses verborgenen Wissens annähern.

Dago Vlasits
Das stumme Wissen · 1998
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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