Schule des Rades

Hermann Keyserling

Amerika · Der Aufgang einer neuen Welt

Die Vorherrschaft der Frau

Wertverlust des Mannes

Ich hielt es für nötig, die wahre Bedeutung der Erziehung stärker zu betonen, als der Zusammenhang dieses Kapitels eigentlich gestattet, weil hier der schnellste Weg zum Verständnis des wahren Sinns der Frauenherrschaft in den Vereinigten Staaten liegt. Wenn der Mann nicht absolut anders ist als die Frau, dann fehlt es ihm eben an Mannheit — woran jeweilig übertriebene spezialistische Virilität, von sperlinghafter Potenz bis zu allzu getriebener Geschäftstüchtigkeit oder überentwickelten Spielerinstinkten nichts ändern. Diese für Amerika so typischen Züge bedeuten Überkompensierungen. Die entscheidende Tatsache ist die, dass der Mann naturnotwendig deterioriert, wenn der Geist der Frau prädominiert, genau wie das Umgekehrte gilt.

Und der Mann verliert unzweifelhaft mehr bei allzu ausgesprochener Vorherrschaft der Frau, als die Frau in entgegengesetztem Fall. Dies liegt daran, dass er alsdann das schwächere Geschlecht verkörpert. Ich weiß nicht, wer zuerst die Bezeichnung des schwächeren Geschlechts für die Frau erfand; sicher aber war es ein besonders schlaues und skrupelloses Weib. Ihre größere Vitalität im biologischen Verstand steht wissenschaftlich fest. Obgleich sie leichter ermüdet, erträgt sie physische Strapazen viel besser; sie ist in der Regel langlebiger als der Mann; sie degeneriert äußerst selten und stirbt eigentlich niemals aus. Ferner ist die Frau im Vergleich zum Manne deshalb stärker, weil es in ihrer Natur liegt abzuwarten, und weil sie entscheidet, ob sie sich geben wird oder nicht — Vergewaltigung läuft der Naturordnung zuwider und kommt unter Tieren nie vor. Überdies erweist sich Passivität auf die Dauer als größere Macht denn die stärkste Aktivität. Hier hat die chinesische Philosophie durchaus recht. Es gibt keine Tätigkeit oder Bewegung von endloser Dauer; über kurz oder lang muss sie aufhören — wogegen kein Grund vorliegt, warum Ruhe nicht ewig währen sollte. Daher evoziert nicht allein der ruhende oder abwartende von zwei wesentlich gleichen Partnern über kurz oder lang unvermeidlich des anderen Kräfte — er erschöpft sie. Ferner ist der Mann sexuell sowohl wie vom Standpunkt der Seelengemeinschaft, viel abhängiger von der Frau als sie von ihm. Die meisten Frauen kommen viel besser ohne männliche Gesellschaft aus, als Männer ohne Frauen. Endlich ist der Mann dem Einfluss der Frau psychologisch viel zugänglicher als sie dem seinen. Da es zu ihrer Natur gehört, sich hinzugeben, nimmt, sie sehr leicht die Psychologie des geliebten oder bewunderten Mannes an; andrerseits aber schlägt sie augenblicklich in ihren ursprünglichen Typus zurück, wenn ihre Gefühlseinstellung sich ändert. Was die ihr oft fehlende materielle Macht betrifft, so kann sie getrost darauf verzichten, weil sie die letzte entscheidende, auf psychologischem Einfluss beruhende Autorität besitzt. Vermutlich unterjochte der Mann die Frau durch physische Gewalt, welche er später in Form von Gesetz und Sitte objektivierte, weil es kein anderes Mittel für ihn gab, die Vorherrschaft zu erobern und zu behaupten. Allein selbst auf diese Weise ist es ihm nie wirklich gelungen; kürzlich erzählte eine Türkin einer amerikanischen Hörerschaft, dass wenn ein Türke sechs Frauen besitze, dies gewöhnlich nur bedeute, dass er sechsmal statt einmal unter dem Pantoffel stehe. Man bedenke endlich, wie unendlich viel verwundbarer der Mann ist als die Frau; hier bedeuten Achillesverse und Siegfrieds Schulterblatt ewige Mannheitssymbole. Er hat alle seine Institutionen, von der Justiz bis zum Kloster, recht eigentlich darum erfunden, um seine Überempfindlichkeit irgendwie zu schützen. Kein Mann verträgt ein persönliches Sich-herum-Schlagen um Kleinigkeiten so wie jede Frau. Dieser eine Umstand erklärt die faktische Vorherrschaft der Frau, selbst in offiziell patriarchalisch aufgezogenen Ehen. Aus allen diesen Gründen zusammengenommen führt denn die weibliche Emanzipationsbewegung unabwendbar nicht zu einer Gleichheit der Stellung von Mann und Frau, sondern zu einem unverhältnismäßigen Machtzuwachs der letzteren; denn nicht auf die Tatsache der Gleichberechtigung kommt es an, sondern auf das Ergebnis, zu dem die formale Gleichheit führt.

Nun besteht, kein Zweifel, dass die Frau andererseits ihrem Wesen nach nachahmend, anschmiegend und hingebend ist, und dass, wenn sie liebt, ihr größtes Glück darin besteht, ihre Persönlichkeit in der des Geliebten aufgehen zu lassen. Aber gerade an diesem Punkt setzt die zweite Erwägung ein, welche beweist, dass die Frau tatsächlich das stärkere Geschlecht darstellt. Sie sei noch so hingebend und nachahmend — da ihr dies natürlich ist, so wird ihre Entwicklung nie gehemmt oder gebrochen, wenn sie die Rolle des Objekts im Gegensatz zum Subjekt spielt. Im Gegenteil, soweit historische Überlieferung zurückreicht, erreichte sie ihre höchste Entfaltung und Vollendung immer da, wo sie sich einem Ideal, sei es göttlich oder menschlich, hingab. Dies impliziert, dass der Mann, so groß auch seine äußere Vormachtstellung sei, der Frau doch nie ihre innere Macht raubt, wenn sie nur das versteht, was die Franzosen son métier de femme heißen. Aus diesem Grund interessieren sich sehr weibliche Frauen, wie die der lateinischen Rassen, so blutwenig für die Emanzipation, selbst wenn ihre Rechtslage zweifelsohne schlecht ist. Die meisten dieser würden jener stämmigen kanadischen Pionierfrau, der Mutter von einem Dutzend handfester Söhne, zustimmen, als sie auf die Frage, ob sie das Wahlrecht wolle, zur Antwort gab:

Wahlrecht? Gibt es überhaupt irgend etwas auf der Welt, was die Mannsleute allein machen können, so mögen sie’s um Gottes Willen tun!

Die wirksamste Herrschaft war von jeher die, welche nicht offenkundig und weithin sichtbar war. Selbstverständlich kann die Frau durch Unterdrückung erniedrigt oder demoralisiert werden, und zweifelsohne hat ihre geistige Entwicklung unter übertrieben patriarchalischen Zuständen gelitten. Betrachtet man aber das Problem von höherer Warte aus, so muss man zugeben, dass Herabwürdigung im allgemeinen die Ausnahme war, und dass Unterentwicklung des Intellekts nie sehr geschadet hat, weil die wahrhaft großen Fähigkeiten der Frau nicht auf intellektuellem Gebiete liegen. Selbst wo die Lage der Frau in ihrer Jugend hart und schwer war — als Mutter verfügte sie zu allen Zeiten und unter allen Umständen über gewaltige Macht. Wenn ich mir ein Bild von Eva mache, so erscheint sie mir nicht als naiv unschuldige Verführerin, sondern als die Mutter und Schwiegermutter von Hunderttausenden verschüchterter Nachkommen. Dank der Psychoanalyse wissen wir heut, dass kein Mann sich je von seiner Mutter-Imago freimacht. Innerhalb patriarchalischer Gesellschaftsordnung ist er ihr genau so untertan wie innerhalb matriarchalischer.

Nun aber betrachten wir den umgekehrten Fall — den der vorherrschenden Frau. Befindet der Mann sich in psychologischer Untertanschaft, darin gewinnt er nichts, verliert jedoch sein Bestes, weil sein ganzer Wert, in seiner Freiheit und Initiative liegt. Und deren Entfaltung setzt das anerkannte Primat anderer als weiblicher Tugenden voraus. Ein wesentlich altruistischer, gefügiger, routineliebender und sittegebundener Mann hat eine bedenkliche Ähnlichkeit mit dem Urtyp des Sklaven; unvermeidlich und in immer höherem Maß entwickelt er die physiologischen Kennzeichen des Untertans im Gegensatz zum Freien. Meine eigenen Beobachtungen bezeugen, wie unheimlich rasch diese Entwicklung in den Vereinigten Staaten fortgeschritten ist. Die Worte und spezialisierten Betätigungen des modernen Durchschnittsamerikaners atmen noch den Geist des Pioniers. Doch wie wenig stehen sie in Einklang mit dem heutigen Menschen! Die Gesinnung des Amerikaners ist im großen und ganzen die der Frau; jenes immer wiederkehrende Bild des Ehemannes, der die Kinder besorgt, während ihre bebrillte Mutter hochintellektuelle Bücher liest, ist in Wahrheit ein Ursymbol. Die Ehrfurcht des amerikanischen Mannes vor der öffentlichen Meinung, seine Neigung, der Nachfrage in dem, was er tut, zu entsprechen, anstatt solche zu schaffen, sind weibliche Züge; sie sind ein Ausdruck unter anderen des ewig weiblichen Verlangens nach Respektabilität. Gleiches gilt von seiner Beeinflussbarkeit und der Unbeständigkeit seiner Gefühle. Die psychologische Entmannung des Amerikaners wird vollendet dadurch, dass er so gut wie keine Einsamkeit kennt. Der Mann ist nicht nur der erfinderische Teil der Menschheit, er ist auch der Einsame in dem Sinn, dass seine Höchstleistungen Ergebnis dessen sind, was er allein für sich tut; tiefer Sinn liegt in der Tatsache, dass die meisten schöpferischen Männer spät oder gar nicht heirateten. In Amerika gibt es für den Mann kein Alleinsein mehr, nachdem er die Pubertät erreicht hat. Freilich hat er sein Büro außerhalb des Hauses; allein das tut es nicht. Die Frau, die der Einsamkeit nicht bedarf, hat ihm ihr Gesetz aufgezwungen, sei es in Gestalt der Kameradschaftsehe oder allzu früher Heirat, so dass ein junger Amerikaner kaum je Gelegenheit hat, sich als einzelnes und einziges Wesen zu entwickeln. Denn da er dem Einfluss der Frau im höchsten Grade zugänglich ist, so verändert er sich, einmal verheiratet, psychologisch in ähnlichem Sinn, wie ein Mädchen sich physiologisch ändert, nach dem sie ihre Jungfernschaft verlor.

Alles dieses zusammengenommen kann nicht umhin, zum Wertverlust des Amerikaners als Mann zu führen. Und setzt keine neue Kausalreihe ein, so muss diese Entwicklung fortschreiten und in der Kumulation immer stärkere Wirkungen nach sich ziehen. Nahezu alles, was im Amerikaner noch rein männlich erscheint, ist das allein, wovon die Frau wünscht, dass er es in einer von ihr beherrschten Welt sei und darstelle. Ein Beispiel dafür bietet gerade das, worauf amerikanische he-men und go-getters so stolz sind: ihre extreme Hinwendung auf materiellen Gewinn. Der spanische Arzt und Philosoph Marañón hat gezeigt, dass der Erwerb des Lebensunterhalts zu den sexuellen Funktionen des Mannes gehört. Genau wie jedes Vogelmännchen vom Instinkt getrieben wird, das Weibchen und die Jungen zu füttern, so ist es natürliche Aufgabe des Mannes, seine Familie zu erhalten; aus diesem Grunde hat die Frau instinktiv das Gefühl, dass ein Ehemann wohlhabend sein sollte, wogegen eine Geldheirat des Mannes naturwidrig ist. So ist denn Amerikas materialistische Gesinnung nur ein Beweis mehr für die psychologische Vorherrschaft der Frau. Indem die Frau den Mann dazu ermutigt, seine sämtlichen Interessen auf Gelderwerb zu konzentrieren, lässt sie ihm das allein, was ihm als Geschlechtswesen eignet. Die Tatsache, dass der Amerikaner sehr häufig ein prachtvolles Männchen ist — stark, gesund, sauber und athletisch — gehört auch hierher. Selbstverständlich will die Frau, dass er so sei. Aber physische Virilität bedeutet wenig gegenüber psychologischer.

Hermann Keyserling
Amerika · Der Aufgang einer neuen Welt · 1930
Der Aufgang einer neuen Welt
© 1998- Schule des Rades
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