Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

20. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1932

Bücherschau · Eugen Rosenstock-Huessy · Die europäischen Revolutionen

Alle zehn bis zwanzig Jahre erscheinen in Deutschland Bücher einer nur in Deutschland möglichen besonderen, sehr suggestiven subjektiven Universalität. Während der letzten Jahrzehnte leitete Langbehn, der Rembrandt-Deutsche, den Reigen ein. Dann kam H. S. Chamberlain, zuletzt Spengler, weitaus der größte Geist von den dreien. Nun ist ein vierter auf den Plan getreten: Eugen Rosenstock-Huessy, mit seinem dicken Buch Die europäischen Revolutionen (Jena 1931, Eugen Diederichs). An suggestiver Kraft reicht er an seine Vorgänger nicht heran. Dem Buch fehlt es an Fluidum, es ist gar nicht faszinierend, liest sich sogar sehr mühsam. Und das gelegentlich hervorlugende Prophetische wirkt unangenehm, weil stilwidrig. Rosenstock-Huessy ist, als menschliches Format beurteilt, ein kleiner Mann. Aber dafür ist sein Buch gediegener als die seiner Vorfahren. Und es hat den Vorzug der Aktualität nicht nur auf der Ebene des Irrationalen, sondern auch des Rationalen. Rosenstock-Huessy hat nämlich die Frage der Geschichte Europas auf die für unsere Zeit absolut fruchtbarste Weise gestellt: was bedeutet diese Geschichte, vom Gesichtspunkt ihrer revolutionären Rhythmen beurteilt? Die Antwort auf diese Frage kann bei genügender Sachkenntnis schwer anders als höchst interessant ausfallen. Die Revolution des Papstes, dann die der Fürsten, die Reformation, der Weltkrieg und zuletzt die russische Revolution, das bestimmende und letztentscheidende Ereignis dieser Zeit, bilden, so gesehen, auf einmal einen phylogenetischen Zusammenhang. Ich kann nur jedem dringend empfehlen, dieses Buch zu lesen. Es wird ihm mehr als jedes andere helfen, von verjährten zu zeitgemäßen Fragestellungen durchzudringen. Insonderheit kann er durch dieses Buch von allem messianischen Aberglauben geheilt werden. Große Revolutionen erlebt ein Volk, nach rätselhaftem biologischen Gesetz, das aber offenbar eines Sinnes ist mit dem, dass man nur einmal Scharlach bekommt, nur einmal. Und seine große Revolution hat Deutschland längst durchlebt: das war die Reformation. Daher das eigentümlich Irreale, ja leider so oft Operettenhafte aller späteren revolutionären Versuche auf deutschem Boden.

Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
© 1998- Schule des Rades
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