Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

28. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1939

Bücherschau · Kosmische Bedingtheit

Anschließend an unsere Betrachtungen über Dacqué seien noch einige weitere Anregungen hinsichtlich der kosmischen, nicht nur tellurischen Bedingtheit des Menschen gebracht. Zunächst drucke ich einen Aufsatz ab, den ich 1936 für eine norddeutsche Zeitung schrieb, welchen diese dann aber nicht aufnahm.

Vor den Siegeszügen der modernen analytischen Wissenschaft war allen tieferen Menschen aller Völker klar, was in der Westwelt erst jüngst wieder eingesehen zu werden beginnt: dass der Mensch als Naturwesen nicht allein durch die Kräfte der Erde und der Sonne, sondern vom Gesamtkosmos bedingt ist. Dieses ganz Allgemeine bedeutet und behauptet in erster Linie die uralte Wissenschaft der Astrologie, gleiches jede religiöse Lehre, die Naturvorgänge und Menschenschicksal von Gott her in Zusammenhang bringt, gleiches der Griechenglaube an die Moira und der urgermanische an ein unentrinnbares Verhängnis. Auch die Freiheit des Menschen stellten jene Zeiten grundsätzlich richtiger in den Gesamtzusammenhang des Geistlebens ein, als seitens der exakten Wissenschaft bisher geschehen ist: sei es, dass wollender und handelnder Mensch und Weltenschicksal von Augenblick zu Augenblick als unauflösliche kosmische Situation zusammengeschaut wurden, wie in China, oder dass das Karma-Gesetz innere Entschlüsse und äußere Begebenheiten als überkausale funktionale Einheit vorstellte, wie in Indien, oder endlich dass die Freiheit des Einzelnen als winziges Rädchen im Riesenmechanismus der Weltuhr in Rechnung gestellt wurde, wie seitens der Astrologie.
Aber jene frühen Zeiten waren nicht allein in ihrer Grundzeption der Wahrheit näher, als die bisherige exakte Wissenschaft: sogar ihre konkreten Vorstellungen sind in hohem Grade als wirklichkeitsgemäß erwiesen, so unbegreiflich dies dem Verstande von seinen heutigen Voraussetzungen aus bleibt. Am eindeutigsten gilt dies von denen, welche dem alt-chinesischen Orakel-Buch I Ging (Buch der Wandlungen, deutsch von Richard Wilhelm, bei Eugen Diederichs, Jena) als Richtlinien zugrunde liegen. Gemäß diesem Buch befindet sich jeder Einzelne in jedem Augenblick in einer einzigartigen kosmischen Situation. Ruft er nun sein Unbewusstes auf bestimmte Weise an, dann zeigt dieses ihm an der Hand des I Ging, zu welcher nächsten kosmischen Situation sich die augenblickliche zu verwandeln Neigung hat, wobei allemal eine Spanne für freie Wahl bleibt. Letzteres ist nun tatsächlich wahr: wo immer ein entsprechend medial Begabter selbst, oder ein solcher für ihn, den I Ging vorschriftsmäßig befragt, gibt dieser die richtige Antwort. Mir ist von keinem einzigen Fall bekannt, wo der I Ging gelogen hätte. Gleichsinnig haben die statistischen Untersuchungen Karl Ernst Kraffts erwiesen, dass viel mehr Horoskope stimmen, als laut den Gesetzen der Wahrscheinlichkeits­rechnung auf Zufall beruhen kann. In den Genfer Kirchenbüchern stehen seit Jahrhunderten Geburts- und Todesstunde gewissenhaft eingetragen. Krafft hat nun Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von in Genf Beerdigten auf ihr Horoskop hin untersucht und siehe da: es ergab sich dabei völlig eindeutig, dass die traditionellen Lehren der Astrologie in hohem Maße Tatsachengemäß sind1.
Hier handelt es sich um erwiesene Tatsachen. Doch was bedeuten sie? Dass das irdische und geistige Schicksal von physischen Himmelskörpern abhänge, ist ausgeschlossen. Unhaltbar ist auch die altchinesische Theorie, gemäß welcher es zwischen Natur und Geist, zwischen Schicksal und Freiheit keinen Wesensunterschied und keinen Konflikt gäbe. In seiner Gedenkrede auf Richard Wilhelm (abgedruckt im chinesisch-deutschen Almanach für das Jahr 1931, herausgegeben vom China-Institut, Frankfurt a. M.) hat C. G. Jung die fraglichen Tatsachen durch die Geltung eines synchronistischen Prinzips vorläufig zu erklären versucht. Er schreibt:
Meine Beschäftigung mit der Psychologie unbewusster Vorgänge hat mich schon vor vielen Jahren genötigt, mich nach einem anderen Erklärungsprinzip umzusehen, weil das Kausalprinzip mir ungenügend erschien, gewisse merkwürdige Erscheinungen der unbewussten Psychologie zu erklären. Ich fand nämlich zuerst, dass es psychische Parallelerscheinungen gibt, die sich kausal schlechterdings nicht aufeinander beziehen lassen, sondern in einem anderen Geschehens­zusammenhang stehen müssen. Dieser Zusammenhang erschien mir wesentlich in der Tatsache der relativen Gleichzeitigkeit gegeben, daher der Ausdruck synchronistisch. Es scheint nämlich, als ob die Zeit nichts weniger als ein Abstraktum, sondern vielmehr ein konkretes Continuum sei, welches Qualitäten oder Grundbedingungen enthält, die sich in relativer Gleichzeitigkeit an verschiedenen Orten in kausal nicht zu erklärendem Parallelismus manifestieren können, wie z. B. in Fällen von gleichzeitigem Erscheinen von identischen Gedanken, Symbolen oder psychischen Zuständen. Ein anderes Beispiel wäre die von Wilhelm hervorgehobene Gleichzeitigkeit chinesischer und europäischer Stilperioden, die kausal nicht aufeinander bezogen werden können. Ein Beispiel für Synchronismus größten Formates wäre die Astrologie, wenn sie über durchgängig gesicherte Resultate verfügte. Aber es gibt doch wenigstens einige hinlänglich gesicherte und durch umfangreiche Statistiken erhärtete Tatsachen, welche die astrologische Fragestellung der philosophischen Betrachtung würdig erscheinen lassen. (Der psychologischen Würdigung ist sie ohne weiteres sicher, denn die Astrologie stellt die Summe aller psychologischen Erkenntnisse des Altertums dar.) Die tatsächlich vorhandene Möglichkeit, aus der Nativität den Charakter hinlänglich zu rekonstruieren, beweist die relative Gültigkeit der Astrologie. Die Nativität beruht aber keineswegs auf der wirklichen astronomischen Gestirnstellung, sondern auf einem arbiträren, rein begrifflichen Zeitsystem, indem durch die Präzession der Äquinoktien der Frühlingspunkt sich längst aus 0° Aries astronomisch heraus verschoben hat. Insofern es also tatsächlich richtige astrologische Diagnosen gibt, so beruhen sie nicht auf Gestirnswirkungen, sondern auf unseren hypothetischen Zeitqualitäten, d. h. mit anderen Worten, was in diesem Zeitmoment geboren oder geschaffen wird, hat die Qualität dieses Zeitmoments.
Diese Gedanken Jungs, gleichviel, welchen Annäherungswert an die Wahrheit sie verkörpern, sind jedenfalls beachtenswerter, als es alle überschrittenen Denkstadien entsprechende Deutungen sind, sowie alle Kritiken einer exakten Wissenschaft, die nicht weiß, um welche Ebene des Geschehens es sich hier handelt.
Heute können wir überhaupt bestenfalls Annäherungswerte an die Wahrheit geben. Als solcher sei denn auch die Deutung mitgeteilt, die ich vor 15 Jahren (der betreffende Vortrag ist 1927 in Wiedergeburt neuveröffentlicht worden) den fraglichen Tatbeständen gab. Zuerst stellte ich da fest, dass die Reduktion der Seele auf ihre ursprünglichen Anlagen und Komplexe, vermittels der psychoanalytischen Methode, so oft der Versuch auf Grund genügend exakter Daten gemacht wurde, zu einem allgemeinen Aufriss führt, der das Geburtshoroskop getreulich wiederspiegelt. Und fuhr dann fort: Es führt erfahrungsgemäß zum Gleichen, ob man zum Grundverständnis einer Seele zum Sternenhimmel auf-, oder in die Urgründe jener selbst hinabschaut. Da nun die Gültigkeit der Ergebnisse analytischer Zurückführung komplexer Seelenzustände auf bestimmte Triebkombinationen als deren Urgrund gar nicht in Frage steht, so muss notwendig auch das Sternenschema wirkliche Verhältnisse ausdrücken. Und von hier aus darf denn eine erste Deutung des fraglichen Zusammenhangs versucht werden, die freilich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Die Unerklärlichkeit des Tatbestandes selbst gibt überhaupt kein besonderes Rätsel auf: alle Qualität ist ein Irrationales, und nur Rationales kann Verstand begreifen; die Eigenschaften der chemischen Elemente sind ein genau so Unzurückführbares und folglich Unerklärliches, wie die Tugenden der astrologischen Planeten. Problem kann einzig sein, wie sich der unerklärliche astrologische Tatbestand, sofern er vorliegt, zum ebenso Unerklärlichen des sonstigen Soseins der Natur verhält. Zu diesem nun bietet den Schlüssel der Erfahrungssatz, dass Horoskope zutreffen, sofern sie von entsprechend Begabten gestellt werden. Er besagt, dass die Regeln der Astrologie sich nur in der Hand dessen bewähren, welcher sie anzuwenden weiß. Gleiches nun gilt, mutatis mutandis, von jedem Lebensvorgang überhaupt. Überall verläuft Sinnesverwirklichung — und Leben ist, abstrakt beurteilt, wesentlich dies — von innen nach außen zu. Überall muss diese sich, wo sie zur Schöpfung führt, an die Grammatik und Syntax des Weltalphabetes halten. So verlaufen wohl alle organischen Prozesse gemäß bestimmten Gesetzen, aber zu diesen Prozessen kommt es überhaupt nur da, wo Leben sie hervorruft und lenkt. So verkörpert sich dichterisches Schaffen wohl jedesmal in typischer Rhythmik, doch aus der bloßen Kenntnis von deren Gesetzen ging noch nie eine Dichtung hervor. Gleichsinnig verhelfen die bewährten Regeln der Psychoanalyse einzig dem, der sie freiwählend anzuwenden weiß. Also gibt der besondere Tatbestand der Astrologie überhaupt kein neues Rätsel auf. Wohl aber erlaubt er, das allgemeine Problem des Zusammenhangs von Notwendigkeit und Freiheit, des Menschenlebens Grundproblem, tiefer zu verstehen, als von irgendeinem anderen Ansatzpunkt aus, den ich wüßte, möglich erscheint. Wenn aus den Sterndaten, wie wir sahen, nichts zu entnehmen ist, was nicht in der Seele selbst enthalten wäre, der Ansatzpunkt der Astrologie aber ein außermenschlicher, ein kosmischer ist, dann muss die folgende Begriffsfassung des ganzen Zusammenhangs dessen Sinn grundsätzlich gerecht werden: Weltall und Mensch stellen in jedem Augenblick eine einheitliche kosmische Situation dar. Der freiwollende Mensch ist als solcher zugleich Ausdruck kosmischen Werdens; er ist in jedem Augenblick Erfüller und Urheber zugleich. Was die Frühzeit nach der Abhängigkeit von den Sternen zu missdeutete, und die jüngst verflossene Epoche zum besten der menschlichen Willkür, stellt also in Wahrheit eine unauflösliche Synthese dar.

Zum Abschluss noch eine kurze Zusammenfassung des hier Dargelegten auf seinen allgemeinsten Sinn hin. Dass der Mensch als physisches Wesen integrierender Bestandteil des Gesamtkosmos ist, bezweifelt kein Ernstzunehmender. Aber der Kosmos als solcher hat offenbar auch psychische und geistige Aspekte. Diese sind durch Wissenschaft grundsätzlich nicht zu erforschen, denn Wissenschaft im heute allgemein gültigen Verstand kann es ausschließlich von der objektiv feststellbaren Außenansicht der Phänomene geben. Doch es ist eben ein Irrtum, dass nur Wissenschaft echte Erkenntnis vermitteln kann. Es gibt Intuition, Ahnung, medial bedingtes Wissen. Nur entsprechend begabte Menschen vermögen die psychisch- und geistig-kosmische Bedingtheit des Menschen zu erfahren. Doch was sie erfahren, ist grundsätzlich ein wirklicher Aspekt der Wirklichkeit. Es wird eine der Hauptaufgaben des 20. Jahrhunderts sein, für den Wahrheitsgehalt solcher nicht- oder überwissenschaftlicher Einsichten eine allgemein-übertragbare Ausdrucksform zu finden.

Seitdem ich das Vorhergehende schrieb, bin ich dank dem Verkehr und Briefwechsel mit mehreren für Sterndeutung Hochbegabten in einiger Hinsicht zu größerer Annäherung an die Wahrheit gelangt, als ich bisher erreicht hatte. Der geistig bedeutendste unter meinen neuen Bekannten ist der Amerikaner Dane Rudhyar (ein geborener Franzose, der sich diesen nom de mage erwählt hat). Zwei Drittel seines Werks The Astrology of Personality (New York 1937, Lucis Publ. Co.), das eine Zusammenschau der astrologischen Tradition mit der modernen Tiefenpsychologie und insofern eine Erkenntnistheorie der Sterndeutung unternimmt, gehören zum Anregendsten, was ich je über dieses Grenzgebiet möglicher Erkenntnis las. Der konstruktive Schlussteil fällt dem Früheren gegenüber leider sehr ab: Hier erweist sich wieder einmal, wie gefährlich es ist zu lehren, bevor man sicher weiß. Gehören die Amerikaner zu den wenigst weltoffenen modernen Menschen, so liegt das vor allen Dingen an dem, was ich in America set free ihren Educationalism hieß. Schon lernen im Unterschied von Selbst-Forschen und Selbst-Finden wirkt, sobald es über das Allerelementarste hinausgeht, verdummend, weil andauernde und innerlich bejahte mechanisch-passive (im Gegensatz zur lebendig empfangenden und darum schöpferischen) Hingabe unter allen Umständen die geistige Initiative schwächt. Wer nun gar lehrt, von wessen Wahrheit er nicht persönlich überzeugt ist, dessen Sinn für Wahrhaftigkeit muss abstumpfen. Dane Rudhyar hat nun jahrelang, wohl zum Broterwerb, okkulte Theorien gelehrt, dessen Wirklichkeitsgemäßheit ihn kein eigenes Erleben versichert hatte: darum entspringt sein eigenes konstruktives (im Unterschied vom kritischen) Schaffen nur zum Teile eigenem Wissen und es fehlt ihm der innere Prüfstein, um zwischen dem eigenen Echten und dem eigenen Unechten zu unterscheiden. Welcher Nachteil in seinem späteren Buche New Mansions for New Men leider noch deutlicher zutage tritt. So habe ich persönlich an Rudhyar trotz dessen ungewöhnlicher Begabung wenig hinzugelernt. Desto mehr jedoch durch das Studium der Bücher Gabriel Trarieux d’Egmonts, ohne Zweifel des erstaunlichsten Propheten dieser Zeit. Krafft schickte mir sein 1938 geschriebenes Buch Que Sera 1939? (Paris, Flammarion): Was darin stand, war so unglaublich klug und wahrscheinlich zugleich, dass ich mir gleich sein seither nachkontrollierbares, weil 1937 geschriebenes Buch Que Sera 1938? kommen ließ. Und siehe da: alle Voraussagen haben sich auf den Monat genau bewahrheitet! So ist es auch mit dem zur Zeit, da ich dieses schreibe, schon überblickbaren Teil von 1939 der Fall. Diese Bücher behandeln nun ausschließlich politische d. h. kollektive Ereignisse und die Horoskope von Einzelnen nur, insofern sie zum Kollektiven in Beziehung stehen. Da bin ich denn zu folgender Einsicht gelangt: Kollektive Schicksale lassen sich mit sehr viel größerer Sicherheit als individuelle vorausbestimmen, weil es sich hier um Untermenschliches, um die Region dessen handelt, was Dacqué Naturseele heißt. Hier spielt Das Freie nämlich kaum eine Rolle. Je größer die Freiheit, desto weniger erscheint vorausbestimmt, desto häufiger irrt sich darum der noch so begabte Sterndeuter. Denn Freiheit vermag durch persönliche Sinngebung jedem Tatbestand einen anderen Aspekt zu geben, als er für sich hätte. Aus dem gleichen Grunde aber können andererseits wiederum vom Geiste nicht besessene Individuen in ihrem Geburtsbilde nicht wiederzuerkennen sein. Dies liegt hier daran, dass sie ganz ohne Eigenlinie sind, dass ihr Schicksal folglich gewissermaßen beliebig sein kann, weswegen die Konstellation nichts Wesentliches aussagt. Der interessanteste typische Fall ist nun ein dritter: woselbst ein souverän freier Mensch zugleich das Schicksal ganz und gar erfüllt. Das ist der Fall Jesu, der da kam, nicht aufzuheben, sondern zu erfüllen. Hier bildet sich der Geist frei-willig allen kosmischen Möglichkeiten ein, um dadurch zu maximaler Auswirkung auf allen Ebenen zu gelangen.

An dieser Stelle liegt denn der Punkt, von dem die Sonderstellung des Menschen im Gesamtkosmos grundsätzlich bestimmbar wird. Hier will ich zunächst nicht viel Grundsätzliches sagen, da ich in einigen Jahren (für mich) Abschließendes darüber herausstellen zu können hoffe. Einstweilen weise ich auf meinen Epilog zum Gefüge der Welt, Was ist Wahrheit? hin, in dem ich nachwies, dass der freieste Geist zugleich der bedingteste Mensch sein muss, auf den Schlussvortrag zum Zyklus Mensch und Erde (Der Leuchter 1927), den ich jüngst übrigens umgearbeitet habe und in seiner neuen Gestalt bald wiederzuveröffentlichen hoffe und besonders, noch einmal, auf die neue autobiographische Vorrede zur Neuausgabe von Figures Symboliques. Heute will ich nur noch auf die neuen Bestrebungen hinweisen, auf dem Wege exakter Forschung die kosmische, nicht nur tellurische Beeinflussbarkeit und damit Bedingtheit des Menschen zu erweisen. Diese befassen sich, wie es nicht anders sein kann, an erster Stelle mit den Einflüssen von Wetter und Klima. Dass diese kosmisch und nicht bloß tellurisch bedingt sind, ist sicher, und ebenso ihr ungeheurer Einfluss auf das Leben. Alle geologisch-paläontologische Veränderung im Großen lässt sich auf diese Faktoren zurückführen und gleichsinnig ist das Klima im weitesten Verstand der wichtigste Faktor bei Erkrankung und Heilung. Hier nun weiß ich bisher nur von Ansätzen zu wahrhaft kosmische Schau. Und die anregendsten unter den mir bekannten sind die von Hanns Fischer. In der Bibliothek der Schule der Weisheit fand ich zufällig (ich wusste nichts davon, dass es uns gestiftet worden war) dessen Buch In mondloser Zeit, auf den Spuren vormondlicher Kulturen, Versuch zur Begründung einer kosmischen Kulturgeschicht (Bad Harzburg 1928, Jungborn-Verlag): Selten las ich etwas so aufregend Anregendes. Von Hörbigers Welteislehre ausgehend, die, wie aus der dank ihr zum erstenmal möglich werdenden nicht nur plausiblen Deutung vergangener Klimawechsel, sondern auch der Vorausbestimmung künftiger Geschehnisse erhellt, sehr viel Richtiges enthalten muss, wenn sie auch keine vollständige Erklärung gibt, — von Hörbigers Lehre ausgehend, zeigt Fischer für mich einleuchtend, dass eine Reihe der ältesten Kulturen zu einer Zeit geblüht haben müssen, wo es keinen Mond gab. Er gibt die erste mir wahrscheinlich erscheinende Deutung des Atlantis-Mythos und erweist im übrigen, dass und wie weit die Sintflutsagen wahrheitsgemäß sein müssen. Dieses Buch, welches auch sonst eine Fülle von Anregungen enthält, sollte jeder lesen; zum Besten unserer Mitglieder betone ich noch einmal, dass die Bibliothek der Schule der Weisheit dieses Buch besitzt. Das Sintflut-Problem behandelt ausführlicher des gleichen Verfassers früheres, aber seither umgearbeitetes Buch Die Sintflut und Hörbigers Welteislehre, Leipzig 1924, Verlag Koehler und Amelung. Sonst hat Hanns Fischer noch Der Rhythmus des kosmischen Lebens und Hörbigers Welteislehre (gleicher Verlag), Auf der Fährte des Schicksals, Gedanken um Erde, Wetter, Mensch und Leben in ihrer kosmischen Verbundenheit (Bad Harzburg, Jungborn-Verlag) und zuletzt (1933) Das Vermächtnis (Verlag Haus Lhotzky, München) geschrieben. Wem die Mondlose Zeit zusagt, wird auch die anderen Bücher gern zur Hand nehmen, denn sie alle sind voll von fruchtbaren Anregungen. Für weitere Forschungen am wichtigsten dünkt mich Fischers letztes Buch Das Vermächtnis, denn dieses enthält die erste einleuchtende Deutung des an sich (offenbaren) Zusammenhangs zwischen tierischer Vorfühligkeit und menschlicher Hellsichtigkeit. Fischer führt alles Hierhergehörige auf die Existenz von Strahlungen zurück, für die sich entsprechende Antennen teils immer vorfinden (festgelegte Instinkte), teils durch physische Umstellung (z. B. Wechsel der Höhenlage beim Fluge der Vögel), teils durch psychische Umstellung (Veränderung der Bewusstseinslage durch Meditation, Versenkung, Tempelschlaf, Samadhi, Ekstase) jeweils entstehen. Wegweisend scheint mir hier unter anderem, was Fischer über den Zusammenhang bestimmter Erlebnismöglichkeiten mit bestimmten Orten (Himalaya, Delphi, Tibet, Heilige Quellen im allgemeinen usw.) sagt. Weiterer Stellungnahme zu Einzelnem möchte ich mich zunächst ganz enthalten, da es sich so sehr um Neuland handelt, da Kritik von überkommenen Vorstellungen her allzu leicht vorbei urteilt. Zunächst handelt es sich aufzumerken und sich in die eröffneten positiven Möglichkeiten zu versenken, bis dass sich die entsprechenden neuen Begriffe bilden: Begriffe sind nämlich nie anderes als Erkenntnisorgane, und neue Erkenntnis fordert darum zu ihrer Assimilierung grundsätzlich neue Begriffe.

Nur in einem Punkte muss ich meine Nicht-Übereinstimmung mit dem Verfasser hervorheben: diese betrifft das Gesundheits- und Ernährungs-Problem. Hier gehört Hanns Fischer nur zu den vielen Sektierern, die eine Norm postulieren und bestimmte Kost als einzig richtige anpreisen. Alle solche Engigkeiten erledigt die Einsicht in die folgenden drei Grundwahrheiten:

  1. dass der Mensch das eine Tier ist, das sich an alles gewöhnt,
  2. dass das Wichtigste an jeder Kur die radikale Abwechselung ist und dass in gleichem Sinn jede zu bestimmter Zeit förderliche Diät späterhin eine kompensatorisch andere fordert und
  3. dass das Grundproblem beim Menschen das der Immunisierung ist. Darum kann es beim Menschen grundsätzlich niemals eine für alle Zeit beste Lebensweise geben.

Diese drei Wahrheiten erledigen auch alle Forderung, zu einem sogenannten Naturzustand zurückzukehren. Der heutige Zustand des Menschen wird niemals durch Rückkehr zu Überlebtem in einen besseren umgewandelt werden, sondern einzig dank dem, dass der Mensch einen neuen Gleichgewichtszustand im Kosmos erreicht, innerhalb dessen ihm das zum Aufbau dient, was heute zerstörerisch wirkt.

1 Seit Niederschrift des Obigen hat K. E. Krafft seine gesamten neuen Einsichten in einem Bande von 350 Seiten Großoktav Traite d’Astro-Biologie zusammengefasst, den ich noch nicht kenne, aber trotzdem aufs wärmste empfehlen möchte, da ich seit bald zwanzig Jahren an Kraffts Werdegang teilnehme. Der Depositär dieses Buchs für alle Länder außer Belgien und Schweiz ist die Librairie Amédée Legrand 93 Boulevard St. Germain, Paris 6. Preis 90 französische Franken. Deutsche Interessenten mögen sich bis auf weiteres an Herrn H. zur Horst, Mannheim, Mittelstraße 51, wenden, welchen Krafft mit der Auslieferung betraut hat. Unsere Bibliothek besitzt das Buch.
Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
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