Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

29. - 30. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1940

Bücherschau · Thomas Ring

Zum Schluss noch einige Hinweise auf ans Gebiet des sogenannten Okkulten Streifendes. Es ist in deutscher Sprache das Buch eines Franzosen über den Hatha Yoga erschienen, das mehreren Bekannten von mir in phantastisch kurzer Zeit zu einer wesentlichen Besserung ihres Gesamtzustandes verholfen hat. C. Kerneiz, Der Hatha-Yoga (München-Planegg 1938, Otto Wilhelm Barth-Verlag). Hier erscheint das am indischen Hatha-Yoga, was für Abendländer ungefährlich und förderlich ist, zumal alles, was mit sinngerechten Atemübungen zu tun hat, mit französischer Klarheit zusammengefasst und in verständlichen Begriffen, die unmittelbar zur rechten Praxis überleiten, wiedergeboren. Ich selbst habe Kerneiz’ Lehren, wie ich ausdrücklich bemerken möchte, nicht praktiziert, da sich bei der Kraft meiner Konzentration jede bewusste Akzentuierung physischer Prozesse ohne Anleitung eines Sachverständigen — und noch ist mir keiner begegnet, welcher für mich in Frage käme — als gefährliche Sache erwiesen hat; so war mir schon bei den Ergebnissen kurzer Versuche nach Kerneiz’scher Methode so wenig geheuer, dass ich lieber aufhörte. Aber da seine Methode anderen mit geringerer psychischer Dynamik unzweifelhaft sehr geholfen hat, so möchte ich unsere Mitglieder, doch unter allen Vorbehalten, auf dieses kleine billige Büchlein hinweisen.

Dann sind einige den Einfluss des Kosmos (im Unterschied von der Erde) betreffende Veröffentlichungen beachtenswert. Zunächst die zwei Bücher Thomas Rings Das Lebewesen im Rhythmus des Weltraums und Das Sonnensystem ein Organismus (Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart). Über letzteres Buch will ich, trotzdem es viele interessante Einzelheiten enthält, nichts sagen, da ich die Voraussetzung ablehne. Entweder der Begriff Organismus bezeichnet ein Gegenständlich-Wirkliches oder aber nicht. Tut er nun ersteres, dann ist das Sonnensystem, wenngleich es sicher kein Mechanismus ist (auch das durch und durch unmechanische Leben gehört ihm doch zu!), jedenfalls kein Organismus, und es tut nie gut, falsche Bezeichnungen zu verwenden. Gleichsinnig schloss ich den Schlussvortrag der Tagung Mensch und Erde (1927) mit einem Hinweise darauf ab, dass es ganz sicher ein Jenseits des Lebens gibt, obgleich unsere Begriffe dieses, vorläufig wenigstens, nicht zu fassen vermögen. Was ich bisher über das grundsätzliche Problem der Bedingtheit des Menschen durch den Gesamtkosmos zu sagen habe, wird der Leser seinerzeit im Kapitel Kosmopathische Seelen des ersten Bandes der Reise durch die Zeit niedergelegt finden. Das erstgenannte von Rings Büchern enthält nun Ansätze, die zum mindesten vielversprechend sind. Unter letzteren seien die folgenden hervorgehoben, und zwar in den Worten von Hedwig Conrad-Martius, die ich unterschreiben kann:

Das Lebendige selbst besitzt die schöpferisch-aktive Fähigkeit, sich in immer neuem besonderem Sinne, entsprechend seiner jeweiligen Organisationsart und -höhe, der allkosmischen Ordnung anzugleichen. Das ist der Leitgedanke in der Kosmobiologie Rings, mit dem er der schiefen Vorstellung eines mechanistisch-astrologisch gedachten Machtanspruchs der Gestirne, zum Beispiel in der Weise eines Kräfte aussendenden Fixsternbandes, entgegentritt. Auf diesem Felde gilt keine einfache kausale Abhängigkeit, die überall ins Widersinnige führt. Die Möglichkeit jener zunächst arttypischen Ausrichtung auf kosmische Elemente — etwa in den mondbezogenen Wachstumsvorgängen der Pflanze, den nach Monats- und Jahresrhythmen, oft mit Einhalten genauester Daten, geregelten Fortpflanzungsvorgängen bei Tieren — beruht zuletzt darauf, dass die gleichen grundlegenden Struktur- und Gestaltungsgesetze, die sich in der vielbezüglichen Aufbau- und Wirkungsweise der Organismen miteinander verweben, auch die Anordnungsweise und den Bewegungsablauf des planetarischen Sonnensystems beherrschen. Die irdischen Organismen vermögen vermittelst der in ihnen wirksamen Wesenskräfte auf dasjenige anzusprechen, was sie mit gleichen Ordnungskräften im ganzheitlich-kosmischen Weltgefüge umfängt. Durch so oder so spezifizierte Angleichung an die im Gestirngang ausgedrückte Weltgesetzlichkeit sichern sie die Ordnung ihrer eigenen lebensbedeutsamen Vorgänge, entreißen sie diese dem Zufall und einer sonst notwendigen Augenblicksanpassung.
Das gilt besonders von dem tief in das kosmische Ordnungsgefüge eingebetteten arterhaltenden Fortpflanzungsgeschehen. Der Jahresrhythmus wird zum Kompaß, der Gestirnstand oder die Mondphase zum auslösenden Signal. Beim Menschen allein mit seinem individuellen Wesensgefüge kann es sich gegenüber dieser arttypischen Eingepasstheit in den Gang der Konstellationen um eine auch individuell-persönliche Abgestimmtheit auf eine bestimmte Konstellation handeln. Hier geht es nicht mehr allein um die Sicherung der Art, sondern um diejenige der entwicklungsgeschichtlich erworbenen und erbmäßig festgehaltenen individuellen Werte. Noch vom Primitiven zum höheren Menschentypus hin zeigt sich ein anwachsender Mannigfaltigkeitsgrad persönlichster Prägung. Das in Rasse, Volkstum, Familie übermittelte Erbgut mit seinen unzählbaren, immer neu gemischten Einzelelementen ist der jeweilig gegebene Stoff, für dessen individuell-ganzheitliche Prägung im Augenblick der Empfängnis der Grund gelegt wird und die bei der Geburt die letzte, endgültige Fassung erhält — in biologisch-autonomer Anlehnung an eine entsprechende Gestirnkonstellation.

Aus Rings Voraussetzungen wird unter anderem verständlich, warum die Fruchtbarkeit mit der Differenzierung und Kulturhöhe in der Regel abnimmt und geniale Menschen sehr schwer überhaupt Nachkommen, geschweige denn bedeutende Nachkommen hinterlassen: in ihrem Falle sind es seltene Augenblicke im ganzen Leben, in denen Befruchtung und Empfängnis astrologisch überhaupt möglich sind. Wogegen nicht spricht, dass viele bedeutende Geister sehr viele aber höchst unbedeutende Nachkommen gezeugt haben: die hatten tief unter ihrem Niveau gefreit, und das dem Normalrhythmus des Erdgeschehens eingespannte mütterliche Erbe dominierte absolut.

Auf andere, aber gleichfalls äußerst anregende Weise behandeln die Korrespondenz kosmologischer und psychologischer Zusammenhänge die Studien des (offenbar harmonisch zusammenarbeitenden) Ehepaars Heinz Artur Strauß und Sigrid Strauß-Kloebes. Beide unternehmen, die von der modernen Psychologie aufgestellten Seelentypen mit den Elementen der traditionellen Astrologie in Zusammenhang zu bringen, und zwar im Sinn einer Herausarbeitung der Darstellung von Grundfunktionen und allgemeinen Formprinzipien, die hinter den alten Planetengöttern, den Planetenkinder-Typen und ebenso hinter den modernen psychologischen Typen stünden. Daran schließt sich der konstruktive Gedanke,

dass die psychologischen Gegebenheiten jener Typen, die einstmals ihre kosmische Kindschaft betonten, verstanden werden wollen als Ausdruck eines Funktionenspiels, das — nicht nur, aber auch — seine kosmobiologischen Wurzeln hat infolge eines wirklich vorhandenen Zusammenhangs aller seelischen Bewegungstendenzen mit Grundfunktionen des Seins überhaupt
(Heinz Artur Strauß, Psychologie der Götter, Darmstadt 1939, L. C. Wittich Verlag, S. 11).

Ich habe mich nun persönlich noch zu keiner Entscheidung darüber durchgerungen, ob wirklich eine reale Korrespondenz zwischen den psychologischen Typen und den Götterbildern der antiken Astrologie besteht. Aber dies ist gewiss: Strauß’ Versuch, die antiken Götter, so wie die Tradition sie bestimmt, als psychologische Grundfunktionen zu deuten, führt zu einer nicht zuletzt wegen ihrer Bildhaftigkeit einleuchtenderen Typenlehre, als sie mir jemals vorgekommen ist. Wunderbar hellsichtig dargestellt ist zumal die Beziehung zwischen den Prinzipien des Uranus, Jupiter und Saturn und damit zwischen geistiger und irdischer Schöpferkraft, zwischen titanischer Unterwelt und göttlicher Lichtwelt, zwischen Chaos und Ordnung. Vertiefend ergänzt den hier hervorgehobenen Teil der Psychologie der Götter Sigrid Strauß-Kloebes Beitrag zum Eranos-Jahrbuch 1934 (Rhein-Verlag, Zürich) Über die Bedeutung der astrologischen Symbole.

Wir leben in einer Zeit, wo die Elementarkräfte Uranus, Mars, Saturn und Neptun (letzterer heute als Sinnbild des russischen Impulses) gewaltsamer regieren als seit bald zwei Jahrtausenden: Grund genug für jeden, der sich für die Tiefen der menschlichen Seele interessiert, die empfohlenen Studien zu lesen. Zum Abschluss der diesjährigen Bücherschau noch ein Rückblick auf einen speziellen Aspekt der Festschrift zu Jungs 60. Geburtstag, welche Toni Wolffs schöne Arbeit enthält. Warum haben die Herausgeber eine der geistigen Persönlichkeit Jungs in keiner Weise gerecht werdende Porträtzeichnung beigelegt und dazu die Abbilder von zwei Lebend-Masken, anstatt eine der vielen von ihm existierenden ausgezeichneten Photographien? Hier hat für meine Begriffe phantastisches Missverständnis gewaltet. Freilich kann ein sehr großer Maler oder Zeichner den Geist einer Persönlichkeit besser wiedergeben als ein Lichtbild — aber nur der sehr große kann es. Der bildende Künstler, der seinem Gegenstande geistig nicht einigermaßen gewachsen ist, leistet schlechtere Arbeit als der dilettantischste Momentphotograph. Die Überschätzung des bildenden Künstlers als solche fällt mir schon lange auf: die Beobachtung moderner Primitivierter hat mich endlich gelehrt, dass diese einfach mit der Ur-Hochachtung vor Hand-Arbeit zusammenhängt, die z. B. auch in der Aussage über Jahwe zum Ausdruck kommt, die Welt sei seiner Hände Werk. Was aber nun die Veröffentlichung von Lebend-Masken betrifft, so sehe ich in der bloßen Idee davon beinahe so etwas wie Seelenblindheit. Totenmasken haben Ausdruckswert: dank irgendeinem noch unerforschten Gesetz führt die Entspannung des Todes manchmal (durchaus nicht immer) zu einer Sublimierung im Zeichen ewigen Friedens dessen, was der Lebende in seinen höchsten Augenblicken für sich erreichte. Wem hingegen bei lebendigem Leibe die Maske aufgedrängt wird, der ist alles eher als entspannt. Der lebendige Ausdruck aber geht verloren. Was indes die Schädelform und die Züge als solche angeht, so ist daran zu erinnern, dass das Ausdrucksvollste an der Stirn aus Kalksalzen und — Luft, ohne Hirnsubstanz, besteht und die Züge an sich nur materia prima bedeuten für den sich durch dieselbe ausdrückenden Geist. Auf den lebendigen Ausdruck kommt bei der wahren Ähnlichkeit alles an. Diesen aber bedingen scheinbare Äußerlichkeiten, wie Haar- und Barttracht, sehr wesentlich mit. Tagore würde direkt unähnlich seinem eigenen Geist, wenn ihm der Bart durch Lehm an die Haut angeklebt und der sehr häßliche prognathische Mund herausgearbeitet würde. Jung aber ist sich selber unähnlich geworden dadurch, dass auf der Lebendmaske das den Schädel verlängernde lose, die Flüssigkeit der Psyche versinnbildlichende Haar gegen den Hinterkopf gepreßt ist. Vom Ausdruck zu schweigen, den wohl jeder Feinfühlige annimmt, wenn er einer so widerlichen Prozedur unterworfen wird.

Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
© 1998- Schule des Rades
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