Schule des Rades

Hermann Keyserling

Schöpferische Erkenntnis

Zur Einführung:Die Kultur des sich-leicht-Machens

Vorbereitete und Unvorbereitete

Die Volkshochschule gilt, uneingestanden zwar, den heute Mächtigen als Ideal einer Hochschule überhaupt. Nichts soll noch darf der großen Masse vorenthalten werden. Unaufhaltsam wird die gute Absicht auch zur Tat. Nun kommt es aber anders, als erwartet wurde: um sinngemäß zu Unvorbereiteten zu sprechen, müssen die Lehrenden immer geringere Ansprüche nicht allein stellen, sondern auch befriedigen wollen. Also müssen sie immer geringere Ansprüche an sich selbst stellen. Der Erfolg ist der, dass nicht die Masse hinaufgehoben wird, sondern, umgekehrt, die Lehrer auf ihr Niveau herabzieht. Die Volkshochschule erkennt eben den Befähigungsunterschied zwischen Vorbereiteten und Unvorbereiteten nicht an, geht von der Voraussetzung aus, dass zum höchsten Wissen alle gleich reif seien, wie laut Rousseau alle Menschen ursprünglich gleich gut sein sollen. Also bedarf es keiner anstrengenden Vorarbeit: man soll sich’s nur leicht machen. — Wie mit der Volkshochschule, so steht’s auch mit aller aufs Volk berechneten Kunst. So wunderbar die Schöpfung des Volksgeistes manchmal sei: wer sich unmittelbar auf Masse einstellt, muss verflachen oder verrohen. Deshalb, nicht aus äußerlichen Nachahmungsgründen, konvergiert das modernste Europa immer mehr mit Amerika. Die Leistungen von Max Reinhardts Großem Schauspielhaus können nicht umhin, von den besten seiner Kammerspiele wie durch den Ozean getrennt zu wirken. Wer sich aufs Leicht-machen einstellt, muss anderes hervorbringen, als wer das Schwer-machen positiv bewertet.

Hermann Keyserling
Schöpferische Erkenntnis · 1922
Zur Einführung:Die Kultur des sich-leicht-Machens
© 1998- Schule des Rades
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