Schule des Rades

Hermann Keyserling

Südamerikanische Meditationen

IX. Die emotionale Ordnung

Menschlichkeit

Doch die emotionale Ordnung ist wesentlich träge und blind. Deswegen wird sie früh oder spät unweigerlich, sintemalen der Mensch ein denkendes Wesen ist, von einer rationalen wenn nicht besiegt, so doch überbaut. Darauf beruht ja zutiefst und letzten Endes das ganze Übergewicht der Männer- über die Frauenwelt: die bloße Auffassung, dass Gewalt letztlich entscheiden kann und soll, setzt Rationalität voraus. Und freilich ist Physische Kraft innerer Bindung äußerlich überlegen. In diesem Zusammenhange wüßte ich nun nichts Lehrreicheres, als das extrem Logische aller der Systeme, die Südamerika erfolgreich beherrscht haben. Der bolschewistische Staat ist, verglichen mit dem der Inkas, ein beinahe Irrationales. In diesem war alles vorgesehen und vorbestimmt. Nichts konnte dem Netz dieses Staatsapparats und dieser Staatsraison entrinnen — nichts, außer dem von seinen Voraussetzungen her schlechthin Unvoraussehbaren, wie es die Seinsart und das Vorgehen Pizarros waren. Noch phantastischer logisch war der Jesuitenstaat von Paraguay. Wunderbar raffiniert ist der Staatsapparat des modernen Brasilien. Und so fängt sich Südamerika jüngst im Netzwerk der nordamerikanischen Finanz. Strenger Logik, welche die materielle Macht hat, ist emotionale Ordnung von Hause aus unterlegen. Wesentlich pathisch und passiv, kann sie nur folgen, nicht führen, sobald Bewegung einsetzt. Wesentlich blind, kann sie Voraussicht nicht parieren. Wesentlich inkonsequent, hält sie keiner Folgerichtigkeit stand. Eben deshalb begann ihre Überwindung oder Überschichtung im suprem logischen Europa früher als in Asien, und ist sie heute, nach Vollendung des Intellektualisierungsprozesses, in unmittelbarer Lebensgefahr. Ehe, Liebe und Freundschaft binden schwächer von Jahr zu Jahr. Echter Gemeinschaft begegnet man immer seltener. Im sozialpolitischen Bilde der Vereinigten Staaten Amerikas gar spielt die emotionale Ordnung überhaupt keine Rolle mehr, und in Russland wird sie als staatsfeindlich nicht viel anders verfolgt, wie das römische Imperium die erstarkende Christengemeinschaft verfolgte. In Sowjet-Russland darf Liebe nicht mehr bedeuten als den nackten Geschlechtsakt. Ehen sind in wenigen Minuten zu schließen und zu lösen — so wird aller Vertiefung der Empfindung zum Gefühl in der Tat am sichersten vorgebeugt. Und Verwandten und Freunden wird als moralische Pflicht geboten, einander der politischen Polizei zu verraten.

Diese letzten Betrachtungen heben das allgemeine und historische Problem auf die Ebene aktueller Problematik hinüber, und mit einer Betrachtung über diese möchte ich die heutige Meditation beschließen. Während ich in Südamerika weilte, musste ich immer wieder an die Gegenbilder von Russland und Nordamerika denken. Und wie akut das Problem auch für Europa ist, ersah ich an mir selbst: unmöglich hätte ich mich in dieser so fremden, ja wesensfremden Welt so wohlgefühlt, bedeutete ihr Zustand nicht auch für Europa eine Erlösung durch Evokation oder Wiederbringung von Verdrängtem und Verschüttetem. In der Tat: bei der emotionalen Ordnung handelt es sich, wie bei der körperlichen, wie bei der Gana, um Ursprüngliches nicht nur im Sinn des Frühen, sondern vor allem des Wurzelhaften. Ein furchtbarer Unfug wird heute mit dem Begriffe primitiv getrieben. Selbst feinsinnige Psychologen tun Erscheinungen, welche nicht in den Rahmen des rationalisierten Bewusstseins passen, am liebsten als primitiv ab, was in unserem Zustand ungefähr dem Anathema des Mittelalters gleichkommt. Und genau wie dieses nur die Christen als erlösungsfähig und mithin als Menschen gelten ließ, so soll nur die nordische Seinsart menschenwürdig sein. Die sogenannten minderwertigen Funktionen sollen zwar belebt, aber doch in den rationalen Zusammenhang hineinbezogen werden. Dies nun ist über einen gewissen Punkt hinaus ebenso unmöglich, wie Wurzeln zu Blüten umzubilden oder sie in der Oberwelt zusammen mit diesen gedeihen zu lassen. In Wahrheit liegen die Dinge so: nur in Form des Primitiven, wie die hier gemeinte Psychologie es versteht, können viele Kräfte überhaupt gedeihen; und darunter befinden sich manche der tiefsten und vitalsten. So beruht die größere Zähigkeit und Moralität (im Sinn des französischen le moral) der romanischen Völker, zumal der sonst so intellektualisierten Franzosen gegenüber den Deutschen, eben auf dem Fortleben vieler Funktionen in primitiver Form. Durfte ich im Spektrum die Engländer als tierartig beschreiben, so hängt das mit ähnlichem zusammen. Man sollte es endlich einsehen: bei der emotionalen Ordnung handelt es sich um Ursprüngliches nicht nur im Sinn des Frühen, sondern vor allem des Wurzelhaften. Verdorrt die Wurzel, dann stirbt die Krone oder Blüte unaufhaltsam ab. Und rührt dieses Absterben von einer Hypertrophie des Rationalen her, dann ergibt dies schier ohne Übergang eine Angleichung des Lebendigen an das Tote. Bergson hat recht: der Intellekt ist in erster Linie dem Nicht-Lebendigen angepasst. Es ist höchst merkwürdig, aber es ist so, dass die Gesetze des Verstandes, die Logik und Mathematik unmittelbare Übertragung auf das für unsere Begriffe Tote erlauben, wogegen sie nur mit größter Schwierigkeit den Weg des Lebens nachzudenken erlauben; man gedenke des Irrationalen, ja Widervernünftigen der Gana. Insofern ist übertriebene Rationalisierung des ursprünglichen Lebens Feind. Und der Fall der Übertreibung liegt überall vor, wo die Äußerungen und Auswirkungen der Gana, der Delicadeza und emotionalen Ordnung behindert oder in einen Rahmen eingepreßt werden, welcher für sie nicht passt. Es mag noch so sehr zutreffen, dass nichts tot ist im absoluten Sinn. Vom Standpunkt des wahrhaft Lebendigen darf man trotzdem behaupten: das Tote folgt mechanischen Gesetzen; innerhalb des Toten gibt es kein grundsätzlich Unvoraussehbares; innerhalb des Toten allein darf man unbegrenzt verallgemeinern, wo das Lebendige auf allen Ebenen aus Einzigkeiten besteht. Atomistische Struktur eignet allein dem Toten, wo das Lebendige monadisch ist. Nur innerhalb des Toten schafft Quantität Übermacht, während alle lebendige Überlegenheit auf höherer Qualität beruht. So darf man, nur wenig übertreibend, behaupten: alles wahrhaft Lebendige ist, insofern es lebendig ist, primitiv. Und insofern die Ordnungen der Gana, der Empfindlichkeit und des Gefühls derjenigen des Verstandes phylogenetisch vorangehen, so ist das eigentlich Lebendige niemals intellektuell.

Diese Erwägung allein genügt zur Erklärung dessen, worauf wir bereits hinwiesen, dass das Wort Menschlichkeit oder Humanität von jeher nicht intellektuell, sondern emotionell verstanden worden ist. Als Urbild menschlichen Verhaltens stellt jeder instinktiv dasjenige des Liebenden vor, der den Geliebten in seinem Sosein und seiner Einzigkeit als absoluten Wert bejaht. Unter diesen Umständen ist sogar ohne Voraussetzung unserer früheren grundsätzlichen Betrachtungen klar, warum Amerikanisierung und Bolschewisierung entseelend wirken müssen, und warum alle Absicht, die Welt aus intellektuellen Voraussetzungen heraus besser und schöner zu gestalten, als sie es heute ist, de facto ihrer seelischen Verdorrung, und sobald Leidenschaften ins Spiel treten, einer Unmenschlichkeit und Grausamkeit zuführen muss, welche kein noch so barbarischer Tyrann, der jedoch der emotionalen Ordnung angehörte, je gekannt hat. Georg Fuchs hat in seinem so aufschlussreichen Erlebnis-Buch Wir Zuchthäusler (München 1931, Albert Langen) gezeigt, dass die extrem humanisierte moderne Haft beinahe schwerer zu ertragen ist und beinahe schrecklichere seelische Folgen zeitigt, als barbarische Willkür, weil Willkür menschlich ist, vollkommen sachliche Perfektion ohne Eingehen auf den Einzelnen jedoch einer seelischen Dauerfolter dieses gleichkommt. Selbstverständlich ist erkenntnisgeborene Menschlichkeit trotzdem besser als reine Gefühlsfundierung; erstens weil Gefühle nie konsequent, zweitens weil sie keine fernwirkenden Kräfte sind, endlich weil aus Gefühl heraus überhaupt nichts Allgemeines zu schaffen ist. Doch eine Welt des vollkommen institutionalisierten Geistes, innerhalb welcher alles Gefühl ausgeschaltet erscheint, wie es die der modernen mechanischen Zivilisation ist und in hohem Grade auch die der juridischen römischen war, ist nichtsdestoweniger unmenschlicher, als jede seelisch bestimmte Welt, so böse sie sonst erscheine. Jeder Mensch ist gut und böse. Persönliche Freude und persönliches Leid gehören beide zum Positiven des Lebens. Eine Argentinierin sagte mir einmal:

Was bliebe mir denn, wenn ich mein Leid verlöre?
Dann lebte ich Überhaupt nicht mehr.

So empfindet jeder das Wechselspiel von Güte und Härte, Gunst und Ungunst, Objektivität und Subjektivität letztlich positiv; nicht anders, wie eben solcher Wechsel in der Überraschung das Erfüllende des Liebesspieles ausmacht. Vom Positiven des Erlebnisses fremder Härte, die nicht Hass, sondern Bewunderung auslöst, handelten wir bereits. Wo Gefühl bestimmt, ist allemal neue Liebe als Ausgang des Hasses und Versöhnung als Abschluss des Krieges und Tötens möglich.

Wo indes Gefühl nicht bestimmt, herrscht einzig und allmächtig die tote Logik oder die Logik des Toten. Dann muss der Krieg Vernichtungskrieg sein, dann muss das finanzielle Interesse ohne Erbarmen sein Ziel verfolgen; dann muss der Einzelne bedingungslos dem Gemeinwohl geopfert werden. Zu welcher Aufstauung übermächtiger Hassmengen solcher Zustand führt, beweist der Weltkrieg als Explosionsphänomen. Wie unmenschlich solche Welt auch im Frieden wirkt, beweist das amerikanische Geschäfts-Gebaren außerhalb des eigenen Landes, von der bolschewistischen Administration zu schweigen. Das kann und muss einmal furchtbare Gefühlsreaktion derer auslösen, die sich zunächst der Übermacht fügen mussten. Und hier dürften die Führer auf der ganzen Welt die Frauen werden, womit denn die Frauenbewegung, welche zunächst eine Vermännlichung des Weibes bedingte und insofern die Hauptschuld trägt an der Entseelung der westlichen Menschheit, ihren Kreis vollenden würde. Die Frauen, instinktiv dazu geschickt und geneigt, künftige Wünsche der Männer zu erraten, ihnen entgegenzukommen und dadurch zu siegen — die Frauen und nicht die Männer hatten die Mechanisierung der Welt auf die Spitze getrieben. Daraus ergab sich im augenblicklich menschheits­typischen Lande, Nordamerika, das paradoxale Phänomen, dass zwar die Frau herrscht, doch nicht die weibliche, sondern die entweibte Frau, und dies in einer bis zur Karikatur vermännlichten Welt. Sie war es, welche die Liebe als unmodern erklärte, die das spezifisch Weibliche im Wert herabsetzte und nur einseitig männliche Denkart und Betätigung als wertvoll gelten ließ. Doch ihre Natur kann die Frau nicht verwandeln, und auch ihr Schauspielertalent hat Grenzen, zum mindesten an der Übermüdung. So beginnen Ertüchtigung und des beruflichen Könnens als ganzer Lebensinhalt sie nicht wirklich befriedigen, weil sie ihnen im Grunde, trotz alles Vorgebens, nichts bedeuten. Sie beginnen es sich, desto allgemeiner einzugestehen, als immer mehr Männer merken, dass die mechanische Welt eine reine Männerwelt ist, wo die Frau eigentlich nichts zu suchen und zu sagen hat, wodurch die Frau an Bedeutung in ihrem Leben unaufhaltsam einbüßt. In Amerika ist es schon wieder bald so weit, wie es in Europa um die Jahrhundertwende war, dass sich die Männer nach jeder Mahlzeit schleunigst von den Frauen zurückziehen, weil sie sich in ihrer Gesellschaft langweilen. Diese Entwicklung muss bei den Frauen zu einem réveil du lion des Bewusstseins dessen führen, dass nur ein Leben innerhalb der emotionalen Ordnung ihnen wirklich gemäß ist, und dass sie nur als emotional entwickelte und zentrierte Wesendem Manne viel bedeuten können. Wenn nun die Frau in ihrer Selbstgestaltung dem Mann immer wieder erratend vorgreift, so wird dieser zwangsläufig nachträglich und auf die Dauer so, wie sie ihn haben will. Deswegen zweifle ich nicht am Kommen einer richtigen Revolution gegen die mechanische Ordnung. Und die Rettung der Menschheit kann dieses Mal wirklich nur von den Frauen kommen.

Die Behauptung, dass auf Empfindlichkeit und Gefühl basierte Lebensform ausschließlich für das weibliche Geschlecht eigentümlich sei, ist von Grund aus falsch. Aber heute verkörpern sie im Westen allerdings die Frauen allein, weil die natürliche Ordnung, in der sie leben, die emotionale ist, weil sie vornehmlich mit Empfindlichkeit reagieren und vom Intellektuellen nie in der Tiefe berührt und geformt werden. Viele denkende Menschen sehnen sich deshalb nach einer neuen Geschichtsepoche des Mutterrechts. Aber nicht darauf kommt es an. Schon der französische Zustand ist so viel stabiler und harmonischer als derjenige der Deutschen, weil die Frauen in Frankreich unabhängig von allem Recht und ohne sichtbare Betätigung die Rolle spielen, die ihnen angemessen ist, was sie von allen Ländern in Deutschland am wenigsten tun. Es kommt darauf an, dass die Werte der Gana, der Delicadeza und der emotionalen Ordnung ihrem spezifischen Gewicht nach wieder anerkannt werden und — da die Frauen allein heute ihr Leben an ihnen orientieren — dass die Frauen dort als Autorität gelten, wo sie den Männern überlegen sind. Geschieht das nun, dann wird dies automatisch einen ungeheuren Prestigezuwachs der echt weiblichen Frau ergeben. Und im besten Fall kann es dank ihm nicht zu einer Lösung — solche ist nie möglich — sondern Erledigung der brennendsten Fragen dieser Zeit kommen. Es gibt nur intellektuelle Probleme, denn nur der Intellekt stellt Probleme. Überall, wo ein bestimmter Tatbestand ein Optimum darstellt, ohne dass seine Elemente rational wären, gehört die Selbstverständlichkeit zu ihrem Wesen. So ist nationaler Zusammenhang kein Problem, sondern selbstverständlich; gleiches gilt vom richtigen Verhältnis von Mann und Weib, und Eltern und Kindern; stellt sich hier überhaupt Problematik ein, so bedeutet das Übelstes. Die Frau nun ist wesentlich unproblematisch. Deswegen kann ein neues Prestige ihres Geistes mehr zur Lösung der modernen Krise beitragen, als die beste von Männern ausgeheckte Notverordnung. Meiner Überzeugung nach liegen die Dinge heute sehr ähnlich, wie dazumal, als die großen Damen der Provence die Grundsteine der modernen Kultur legten. Die damaligen Männer waren völlig wild und zuchtlos. Die Frauen lehrten sie, die Postulate der Gana, der Delicadeza und emotionalen Ordnung anzuerkennen. Und damit ward die Welt schön. Und daraus erwuchs auf die Dauer die westliche Kultur.

Die mechanische Ordnung ist die wesentlich unmenschliche. Deswegen weckt sie auf die Dauer überall, wo sie hindringt, bei denen, welche nicht innerhalb ihrer herrschen, Ressentiment und Hass. Was werden heute die Kapitalisten gehasst! Demgegenüber hat die Härte, und Grausamkeit der spanischen Eroberer überhaupt kein Ressentiment hinterlassen. Sie waren eben Gana- und Delicadeza-bestimmt. Ihre anerkannte Ordnung war die emotionale. Sie waren durchaus nicht menschlich im Sinn des europäischen Humanitätsideals, dieser tristen, heute als solcher entlarvten Missgeburt des 18. Jahrhunderts, die von der Fiktion ausging, dass der Mensch wesentlich gut ist und ungenügend fortschrittliche Einrichtungen allein an allem Übel und Leide schuld seien: allein sie waren menschlich im Sinne dessen, was die spanische Sprache hombria heißt; d. h. der Menschlichkeit im Verstand der Lebens- und Seelenfülle, eines vollausgeschlagenen integralen Menschentums, das sich in Form sowohl des Guten wie des Bösen äußern mag. In diesem Verstand ist der Spanier wahrscheinlich der menschlichste aller Menschen. Es ist bei genügender Bekanntschaft unmöglich, ihn nicht zu lieben, da ihm die Sache nie über die Person geht und menschliche Bindung ihm immer mehr bedeutet als jede formell abstrakte. So taten schon die Vizekönige immer nur das, was ihnen persönlich recht schien — was je nach ihrer Sonderart besser oder schlechter war als die Instruktionen, die sie aus Spanien erhielten; in bezug auf diese lautete die klassische Formel: se obedece, pero no se cumple (es wird gehorcht, jedoch nicht ausgeführt). Während die kolonisierenden Angelsachsen sich grundsätzlich distanzierten, verhandelten die Spanier mit anderen Völkern immer von Mensch zu Mensch und insofern von gleich zu gleich. Und dies zwar im Verstand des einzig sinngemäßen Gleichheitsbegriffes, welcher Gleichheit aller Menschen als Menschen — was man im Mittelalter Gleichheit vor Gott hieß — setzt, doch die Anerkennung von Unterschieden in anderen Hinsichten nicht ausschließt. Diese Unterschiede, zu denen auch die des Besitzes und der Macht und Stellung gehören, welche die seelenblinde Fortschrittsdemokratie als unmenschlich abschaffen will, fordert gerade das ursprüngliche Gefühl. Der gefühlsmäßig vollausgeschlagene Mensch will nicht nur frère et cochon mit dem Mann auf der Straße sein, nicht nur Kameradschaft kennen, sondern auch persönlich lieben, mehr oder weniger, auf verschiedene Art, er will auch exklusiver Freund sein, auch verehren, auch vergöttern, auch verachten. Nie gab es größere Unmenschlichkeit im wahren Sinn des Worts, als während der Ära der Alleinherrschaft des Humanitätsideals.

Hermann Keyserling
Südamerikanische Meditationen · 1932
IX. Die emotionale Ordnung
© 1998- Schule des Rades
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