Schule des Rades

Hermann Keyserling

Reise durch die Zeit

I. Ursprünge und Entfaltungen

IV. Rudolf Kassner - Pariser Periode

Dieses kann ich heute, vom Gesamtergebnis her auf lange Jahre der Beziehung zurückblickend, sagen. Was mich damals zu Kassner zog, war einfach die doppelte Erkenntnis seiner Bedeutung und seiner radikalen Verschiedenheit von mir. Auf nichts von dem, was Kassner darstellte, war ich innerlich vorbereitet; keine seiner direkten Bestrebungen ging den meinen in einem anderen Sinne parallel als dem, dass Parallelen einander nie begegnen können. In Chamberlain erkannte ich mich in hohem Grade wieder, zum Philosophen bot die eigene Familie Vorbilder, wissenschaftlich-kritisch war ich selbst geschult, und zu aller großen Dichtung hatte ich wenigstens in dem Sinne Zugang wie zur singenden Nachtigall. Doch die Wellenlänge Rudolf Kassner konnte ich als solche nicht vernehmen. Da Kassner, damals selber noch ein Lernender, obwohl er sieben Jahre früher geboren war, überdies das gleiche Kulturgut aufzunehmen trachtete wie ich, so schuf unser damaliges ständiges Zusammensein eine höchst paradoxale Dauersituation. Kassner unterschätzte mich damals, wie er später selber zugab, sehr. Von ihm galt schon in jungen Jahren, was ich als nur für reife Schöpfer typisch beschrieb, dass er eine andere Wellenlänge als die seine kaum als existenzberechtigt anerkannte und nie als gleichberechtigt. Ihm ist zu keiner Zeit klar gewesen, wie sehr er Exzentrik und wie wenig übertragbar seine Erkenntnis ist. Damals fehlte ihm auch noch beinahe ganz die Verzicht-geborene Überlegenheit des Leid-erfahrenen Polytropos — welches Wort gemeiniglich so sinnentstellend mit vielgewandt verdeutscht wird; er war kassant, unduldsam, hochfahrend, satyrhaft; nicht selten wirkte er unmittelbar böse; manche typische Züge des Krüppels, der er war, traten, herausgefordert, leicht in die Erscheinung. Aber gerade die Schwierigkeit der Verständigung reizte mich und regte mich an. Wie immer sprach ich mir an aller Unzulänglichkeit selber die Schuld zu; gerade an diesem absonderlichen Sein, so sagte ich mir, musst du teilhaben können. Dieses Ziel erreichte ich nie; in tieferem Sinne denn als Anempfinder habe ich Kassner nie verstehen können. Aber der Misserfolg führte zum folgenden sehr wichtigen positiven Ergebnis: der Umgang mit Kassner half mir mehr als alles andere zu der Entäußerung, deren jeder Ich-Verhaftete zunächst einmal bedarf, um seine Grenzen zu erweitern. Und ich-verhaftet war ich, und bin dies, wenn auch in fortschreitend geringerem Grade, zeitlebens geblieben, gerade darin meiner Mutter, an deren Ich-verhaftetheit ich so sehr litt, unentrinnbar ähnlich. Offenbar gehört dies mit zu meinem Grundstruktur, so wie Machttrieb und Ehrgeiz zur Grundstruktur des geborenen Politikers gehören; wahrscheinlich hätte ich nie auch nur annähernd das geleistet, was ich schließlich geleistet habe, wenn ich bei meinem Höherstreben nicht allezeit diesen Klotz am Beine mitzuschleppen gehabt hätte; da ich mein Ich überallhin mitnahm, mitnehmen musste, anstatt es hübsch ordentlich beiseite zu stellen, wenn ich ausging, suchte ich soviel aus ihm zu machen, als zu machen war. Das Starre und Anpassungsunfähige, ewig Vordringliche meines Ichs bedeutete andererseits wohl auch das organische Gegengewicht zu meiner Weltoffenheit, deren natürlicher Zug der Selbstauflösung zustrebte. Doch wie dem auch sei: der Entäußerung bedurfte ich in meinen Entwicklungsjahren mehr als die meisten, und dazu konnte mir kein Umgang dienlicher sein, als der mit Rudolf Kassner. Worin das für mich Produktive meiner Inkompatibilität mit ihm bestand, dürfte ein einziges Erinnerungsbild schneller und besser deutlich machen, als die längste Auseinandersetzung. Im Sommer 1905 weilten wir beide zusammen im Berner Oberland. Eines Nachts erlitt ich einen Herzanfall, der mir so schwer schien, dass ich zu sterben fürchtete. Da schleppte ich mich in Kassners Zimmer. Anstatt mir nun auf irgendeine der vielen denkbaren Weisen beizustehen, setzte er sich im Bett auf und hielt mir Vorträge: Sie sind kein Christ, Ihr Verhältnis zur Krankheit ist das eines Heiden. Denken Sie an Augustin. Sie sollten sich dem Leiden mehr hingeben usw. usw. Zum Schluss meinte er, durchaus mit Recht: Ich bin wohl das Gegenteil von einer Krankenschwester. Ihn kennzeichnete schon damals jene recht eigentlich grausame Herzenskälte, jener Mangel an jeglicher Güte, der zuletzt in seinen Memoiren auf die meisten Patienten seiner Erinnerung oder deren Angehörige so tief verletzend gewirkt hat. Da Kassner gegen sich selber furchtbar hart sein musste, um sein Krüppeldasein überhaupt auszuhalten, musste er seine Beziehung zum Menschlichen in sich gleichsam durch einen luftleeren Raum, der ihn vom Gemüte anderer absperrte, isolieren, und ich glaube nicht, dass viele vom Schicksal ähnlich Geschlagene dabei so wenig häßlich geworden sind. Damals half mir nun Kassner gerade durch seinen ironischen Gleichmut und seine offenbare Herzenhärtigkeit über die Krise hinweg; unwillkürlich hörte ich auf, meinen eigenen Zustand ernst zu nehmen; und ich sah ihn von außen an. Belustigt über mich und Kassner zugleich, hatte ich alle Angst und Sorge bald überwunden, und damit war das Schlimmste überstanden.

Im genau gleichen Sinne nun gelangte ich dank Kassner überhaupt dazu, aus mir selbst herauszutreten. Dies allein aber hat es mir überhaupt möglich gemacht, das an Kenntnissen und Techniken zu erwerben, wozu mir ursprünglich die Bereitschaften fehlten. Meine ursprüngliche Einstellung gab dem Künstler in mir überhaupt keine Auswirkungsmöglichkeit und dem Kritiker nur auf der Ebene und in der Richtung der Wissenschaft. Vor allem aber wäre ich von jener her nie zum Schriftsteller geworden. Ausdrucksfähig war ich, wie wiedergefundene Briefe aus meiner Kindheit beweisen, früh. Doch für das spezifisch Literarische fehlte mir jeder ursprüngliche Sinn, und auch Chamberlains Beispiel hätte mich in dieser Richtung nicht wesentlich gefördert, denn soviel dieser vom guten Schreiben sprach und so gut er tatsächlich schrieb —, in einem höheren Sinne Schriftsteller war er nicht; hierüber wurde im vorhergehenden Kapitel das Nötige gesagt. Der geborene und echte Schriftsteller lebt auf besonderer Daseinsebene, woselbst das Gesetz des Stils den Ausgangspunkt darstellt zur Erkenntnis anderer Gesetze: am prägnantesten verdeutlicht das, was ich hiermit sagen will, das folgende Beispiel aus der chinesischen Kunstgeschichte, das ich Lin Yutangs Buch Mein Land und mein Volk, S. 352, entnehme:

Chao Mingfu (1254-1322) sagte von seinen Bildern, Felsen sind so, wie beim Schreiben der Feipo-Stil (bei dem im einzelnen Strich Lücken sind), und Bäume sind wie der Chuan-Stil’ (mit verhältnismäßig gleichmäßigen engen Strichen).

Auf oder zu dieser Daseinsebene sind die eigentlichen Schriftsteller geboren. Ich war es entschieden nicht. Doch ich gelangte zu ihr so, wie der Mathematiker eine Hilfskonstruktion aufbaut, um ein sonst unlösbares Problem lösbar zu machen: um Rudolf Kassners Welt und die meinige zusammenzustimmen oder in Gleichung setzen zu können, musste ich mein Bewusstsein auf dem literarischen Plan fundieren; es gibt überhaupt kein Problem, das literarischer Behandlung grundsätzlich unzugänglich wäre. Mit diesem Prozess nun konsolidierte und spezifizierte sich zugleich jene einseitige Akzentlegung auf das Sensitive und Geistige in mir, die sich nach dem duellbedingten Vitalitätsverlust in Dorpat in mir vollzogen hatte. Sie konsolidierte und präzisierte sich, insofern ich für lange Zeit allen Nachdruck in mir vom unmittelbaren Erleben auf die Wiedergeburt im Ausdruck und von der Wissenschaft auf die Kunst im weitesten Sinn hinüberverlegte.

Jetzt, im dritten Vierteljahrhundert meines Erdendaseins, wo mein ganzes Sinnen und Trachten auf integrales Erleben und Selbstverwirklichung aus ist, fällt es mir nicht ganz leicht, mich überhaupt in jene Zeit der Selbstentäußerung zurückzuversetzen. Doch ich muss anerkennen, dass ich dank ihr allein viele meiner wichtigsten Instrumente habe kennen und spielen lernen können. Und bei solcher Verlegung des Erlebniszentrums außer sich handelt es sich auch durchaus nicht um Irrealisierung: es handelt sich um ein Aufgehen in Fremdem analoger Art, wie bei der Berufs- oder Fachschulbildung. Die meisten führen einerseits ein Berufs-, andererseits ein Privatleben. Ich bin, seitdem mein Geist seit der Verwundung in Dorpat zur Dominante in mir ward, lange Zeit hindurch von außen her an die Dinge herangetreten. Später lebte ich nur noch von innen heraus. In beiden Gestaltungen war ich gleich echt im Ausdruck, obzwar dieser in jedem Falle anderes bedeutete. Und von der Entäußerung her hin ich zum ersten Male produktiv geworden. Nur der Schriftsteller konnte überhaupt zum Auswirkungszentrum in mir werden in der Zeit, da meine Persönlichkeit in Geist und Gana zerspalten war und ich nur jenen als mir zugehörig anerkannte. Diese Periode sonderlicher Produktivität fand ihren Höhe- und Endpunkt zugleich im Reisetagebuch. Schriftstellerisch stellt dieses ohne Zweifel meine bei weitem beste Leistung dar. Ich habe aber später nie mehr in gleichem Sinne Schriftsteller sein wollen. Der literarische Plan konnte von meiner Natur her nur eine konstruierte Ebene bedeuten und auf dieser konnte ich nicht dauernd leben. Was, noch einmal, nicht hindert, dass das Reisetagebuch wahrscheinlich bis zu meinem Tode mein bestes Buch als Buch bleiben wird. — Aus allem diesem lässt sich denn wohl die folgende allgemeine Lehre ableiten. Alle eigentliche Erziehung hat zeitweilige Selbstentäußerung und -entfremdung zur Voraussetzung, und nichts könnte verfehlter sein, als dort, wo es zu lernen gilt, überhaupt die Frage der Selbstverwirklichung sowie der Echtheit vom Standpunkt dieser zu stellen. Jede Schule bedeutet ein wesentlich fremdes Milieu. In bezug auf das persönliche Leben dürfte man sämtliche Schulansprüche abwegig, ja irreführend heißen. Nur steht diesem Urteil entgegen, dass gerade alle nachweislich bildendsten Lehrgegenstände wenig oder nichts mit den Objekten möglicher späterer Selbst-Leistung zu tun haben. Die seltsame Natur der Dinge will es offenbar so: der Mensch muss zunächst von vielen außerhalb seines tiefsten Selbst gelegenen Voraussetzungen her gelebt haben, um schließlich den Weg zu diesem Selbst zu finden.

Diese letzten Betrachtungen bestimmen natürlich nur einen Sonderaspekt der Bedeutung meiner Beziehung zu Kassner. Aber gerade dieser scheint mir dermaßen wichtig, dass ich ruhig sagen kann: ohne dass ich meine Existenz auf der Sonderebene des Schriftstellers zu gründen versucht hätte, hätte ich zunächst kaum die innere Möglichkeit gewonnen, all das Bildende zu erleben, das ich seither erlebt habe, und später bewusst nach Selbstverwirklichung zu streben. Mein Elternhaus war hochkultiviert, aber Aufhebens wurde vom Geiste bei uns nie gemacht. Zur Kunst hatte ich keinerlei traditionelle Beziehung, schon gar nicht zum Ästhetentum. Mehr noch: bevor ich nach Wien kam, hatte ich mir niemals klargemacht, dass es so etwas wie einen Schriftsteller als Typus gibt. Wie ich Kassner zum ersten Male bei Chamberlain begegnete — es muss im Herbst 1901 gewesen sein — da glaubte ich ein Wundertier vor mir zu sehen. Wovon konnte der doch alles reden! Was für Zusammenhänge gab es doch für ihn! Ich vertiefte mich noch am selben Abend in sein erstes Buch mit dem für mich sehr unbehaglichen Titel Die Mystik, die Künstler und das Leben, Akkorde, verstand sehr wenig davon, merkte aber gleich, dass ich hier zunächst zuzulernen hatte. Doch da mir lebendige Menschen von jeher mehr sagten als die bedeutendsten Werke, so hielt ich mich von vorneherein weniger an Kassners Bücher als an deren Verfasser. Und, Gott sei Dank, erschien dieser im Gespräche ebenso klar und verständlich, wie er für mich unverständlich schrieb. Von 1901 bis 1903, wann immer ich in Wien weilte, waren wir beinahe täglich zusammen. Zusammen verkehrten wir in Rodaun bei Hugo von Hofmannsthal, welchem ich übrigens Kassner zuführte. Im internationalen Salon der Fürstin Marie von Thurn und Taxis schliffen wir uns gemeinsam ab, zusammen wurden wir gewöhnlich zu Chamberlains Abenden eingeladen, um beim Asti spumante zu philosophieren. Zusammen besuchten wir Bildergalerien, Ausstellungen, Theater, Konzerte. Vor allem aber saß ich so manchen Spätnachmittag bei Kassner in seinem Zimmer in der Karlsgasse. So nahm ich indirekt von ihm an, was ich direkt nicht aufnehmen konnte. Und wo mir sein Tiefsinn unergründlich blieb, erfreute ich mich desto mehr an seinen kritischen Urteilen und vor allen Dingen an seinem Witz. Diejenigen, die nur Rudolf Kassners Bücher kennen, wissen zumeist wohl nicht, dass er das größte Genie des Klatsches ist, von dem ich weiß; hätte er diese Seite seines Wesens schriftstellerisch fruchtbar machen können oder wollen, er hätte längst das Prestige eines der größten Gesellschaftskritiker aller Zeiten erlangt. Mit Absicht wählte ich die zunächst unfreundlich klingende Bezeichnung Klatsch: man muss schon im chinesischen Verstande richtiggestellte Bezeichnungen benutzen, wenn man prägnant charakterisieren will. Rudolf Kassner hätte nie ein Saint-Simon, kein Sainte-Beuve, ja auch kein Carl Burckhardt (ich meine den Verfasser des Richelieu) werden können, obschon auch bei letzterem Interesse am Klatsche der Nerv seines Historikertums ist (das Jüngste Gericht zum Beispiel ließe sich nachher viel besser aus dem Geist des Klatsches rekonstruieren, als aus juristischen Akten), denn diese anderen interessieren sich primär für weite und überpersönliche Zusammenhänge. Kassner interessierte sich gerade für das Private und Intime. Keine Frau kenne ich, von der dies auch nur annähernd im gleichen Grad gälte. Doch über das Private und Intime verstand Kassner mit solchem Geist zu reden, in seiner Vorstellung wurden kleine Intrigen zu so bedeutsamen Ereignissen, dass dies an sich reinen Klatsch zu einer hohen Kunst weihte. Da mir persönlich fast jede Neugierde fehlt und ich für Privatangelegenheiten anderer gar kein Interesse spüre, überdies zur Diskretion und Ignorierung des Allzupersönlichen erzogen war — mein Vater verbot direkt, dass in unserem Hause je über Menschen und ihre Schwächen geredet wurde — so verhalf mir auch dieser Aspekt Kassners zur Horizont-Erweiterung. Mein späteres Leben wäre nie so farbig reich geworden, hätte ich an Kassner nicht gesehen, dass es einen Sinn hat, alles Menschliche auf das genaueste zu beobachten. Nur wurde mir das Farbige und Witzige und Paradoxale als solches zum Motiv und Selbstzweck, nicht menschliches Interesse an Allzumenschlichem. Immerhin: wie ungeheuer genoß ich in Wien die Nachmittage und Abende bei Tante Fanny Schlesinger, der Schwiegermutter Hofmannsthals, in deren Salon die Atmosphäre einer gleichsam neutralisierten und dadurch ehrbar gewordenen Kuppelei herrschte und bei der ich neben bedeutenden Menschen die sonderbarsten Existenzen traf! Wie sehr auch jene Nächte mit Siegfried Wagner in den Quartieren längst pensionierter, verjährter, verfetteter Wagnersängerinnen — ich erinnere mich noch des einen Namens Rosa Papier — für deren Gesellschaft Siegfried eine besondere Vorliebe hatte! Wie sehr auch die Gesellschaft Gustav Schönaichs, des geistreichen, aber charakterlosen und schmarotzerhaften greisen Musikkritikers, welcher mehr von Falstaff hatte als irgendein Mensch, dem ich begegnet bin! Wie ich 1903 Wien verließ, den Naturwissenschaften untreu geworden, fest entschlossen, fortan als Schriftsteller meinen Weg zu machen, da war ich nicht allein ein anderer, als der ich war, bevor ich Chamberlain begegnete: mehr noch war ich verändert durch den Kontakt mit Kassner. Schon 1902, wie ich die Heimat wieder besuchte, erkannten mich meine Verwandten kaum wieder, so entfremdet schien ich, auch äußerlich sehr anders geworden. 1903 war ich’s noch mehr; ich fühlte damals überhaupt keinen Zusammenhang mehr mit den Menschen meiner Kindheit und Jünglingsumgebung. Aber ich hatte auch den Wissenschaftsjünger, der einmal vielversprechend gewesen war, in dieser Zeit überwachsen. Jakob Uexküll schrieb mir bedenklich:

Ihr Verstand ist zu ernst für das, was Sie jetzt treiben; an Ihrer Stelle würde ich nach dem Radium suchen.

Mein Freund aus der Heidelberger Zeit, Graf Hugo Lerchenfeld, beschimpfte mich altbayrisch, mein neuer Lebensplan sei unsinnig, ich sei auch viel zu ehrfurchtslos, um Kritiker spielen zu dürfen. Cosima Wagner und Daniela Thode rieten mir dringend, bei der Geologie zu bleiben. Ich ließ mich nicht beirren — und tat recht damit. Ich war wirklich Ästhet geworden, zumal mit allen Schwächen dieser Menschenart behaftet und prädestiniert zu jenem scheinbar wurzellosen und ziellosen Dasein, das ich seither etliche Jahre lang in den Hauptstädten Europas führte.

Vom Sinnbilde Kassners her konnte ich meine erste Pariser Periode, die von 1903 bis 1905 währte und die für mich das zusammenfassende Symbol aller meiner Stationen und Perioden in fremden Ländern Europas geblieben ist, am besten ins rechte Licht setzen. Später nannte ich meine damalige Pariser Existenz oft und gern ma période d’existence Balzacienne. In Wahrheit lebte ich gar nicht wie Balzac, sondern wie Rastignac. Ich hauste in einem allerbescheidensten hotel garni, dem Hotel du Volga, 11 rue de Seine, welches 1936 noch unverändert existierte. Gleich bei meiner Ankunft in Paris nahm ich dort ein Zimmer und blieb dort dann haften, bis ich fortgerissen wurde — in Frage des Wohnens und Umzugs war ich von jeher passiv und über die Maßen schwerfällig. Man mag’s vom sogenannten Reisephilosophen nicht glauben: tatsächlich reist keiner, welchem ich je begegnet bin, mit soviel inneren Hemmungen wie ich. Denn bei meiner Atmosphären-Empfindlichkeit bedeutet jeder Ortswechsel mir ebensoviel, wie anderen eine Besteigung des Himalaya, und um nur für zwei Tage zu verreisen, packe ich oft schon eine Woche vorher. sintemalen nun mein Ideal ist, vom banalen äußeren Leben möglichst wenig zu spüren, so ziehe ich beim Wohnen alles Gewohnte beunruhigender Neuerung vor. Da lebte ich denn an jener dunkelsten Stelle der Straße, hinter dem Institut de France, wo sogar tags oft die Fledermäuse fliegen. Meine Mahlzeiten nahm ich in irgendwelchen billigen Studentenlokalen des Quartier Latin ein. Nach dem Mittagessen machte ich gewöhnlich den folgenden Spaziergang: erst ging ich die Quais entlang bis zum Jardin des Plantes, wo meine alte Liebe zu wilden Tieren neue Nahrung fand. Dann besuchte ich die Morgue, sah mir die letzten Leichen an. Darauf hörte ich die Vesper in Notre-Dame de Paris. Gegen vier Uhr kehrte ich heim, um zu lesen oder einen neuen Versuch zum Schreiben zu unternehmen. Zu Nachmittagsbesuchen ging ich schon damals selten und ungern aus; die Teestunde ist ja gerade die, zu der sich, wahrscheinlich wegen der dann herrschenden höchsten Körpertemperatur, am besten schöpferisch arbeiten lässt, also taugt sie nicht für den banalen Verkehr. Eine Ausnahme machte ich allein im Fall der Wagner-Gönnerin Gräfin Wolkenstein, der damaligen österreichischen Botschafterin in Paris, welche die ganze Sonne ihres warmen Herzens auf mich ausstrahlen ließ und mir mit ihrer Begeisterung über meine ersten, wirklich wenig versprechenden schriftstellerischen Versuche immerzu neuen Mut einflößte. Abends jedoch dinierte und soupierte ich so oft als möglich in der großen Welt. Hier stimmt der Vergleich mit Rastignac genau: niemand wusste, wie bescheiden ich lebte, niemand wollte es wissen. Doch zuvorkommend wurde ich überall so aufgenommen, wie ich mich selber vorstellte. So wurde ich von ganz Paris — denn bald kannte ich das sogenannte Tout Paris — als kunstsinniger Ästhet, als ironischer Causeur und vielversprechender junger Schriftsteller gelten gelassen. Diese erste Pariser Zeit steht in meiner Erinnerung als die glücklichste Zeit meines ganzen Lebens da. Ob solche Erinnerung ein wissenschaftlich exaktes Bild festhält, ist nie festzustellen. Doch das Folgende stimmt und rechtfertigt zugleich mein sonderliches Bild vom goldenen Zeitalter meines Lebens. Damals fühlte ich mich, wie nie später, aller Bindungen ledig. Der Familientradition war ich entrückt, keiner wusste in Paris etwas von Balten, geschweige denn von Keyserlings; so konnte ich ein rein persönliches Leben beginnen. Meine Lernjahre hatte ich auch hinter mir, die unpersönlichen Normen eines Lebens für die Wissenschaft erkannte ich für meine Zukunft nicht mehr an. Es regten sich die ersten schöpferischen Kräfte — 1904 in Paris, schrieb ich Das Gefüge der Welt. Eine erste große Liebe rührte meine Seele auf. Alles in allem fühlte ich mich dort zuerst wirklich leben, und zwar ganz und ausschließlich auf meine Art leben. So gestaltete sich meine Pariser Existenz beinahe vom ersten Tage an dem Stil jener besonderen Einsamkeit gemäß, die mir seither für immer Element geblieben ist. Zeitlebens habe ich mit sehr wenig Menschen richtig verkehrt, mit sehr wenigen persönliche Beziehungen unterhalten. Solange ich mir über die Möglichkeit abgeschiedenen inneren Lebens für mich nicht klar war, lebte ich außer mir. In Paris, wohl mit dank der Distanziertheit der Franzosen Fremden gegenüber, die selbst bei täglichem Zusammensein in der Welt und wirklicher Freundschaft einen großen Abstand einhalten — welche Distanziertheit ich als unendlich wohltuend empfand —, erkannte ich, wessen ich bedurfte. So lebte ich allein, ohne Freunde. Nie im Leben habe ich je an Alleinsein gelitten. Und als, nachdem ich zehn Jahre tatsächlich ganz allein gelebt hatte, meine Schwester Leonie, die ich damals von allen Menschen am meisten liebte, 1914 bei Kriegsausbruch zu mir nach Rayküll zog, da litt ich monatelang darunter, dass überhaupt ein zweiter Mensch im weiten Schlosse hauste, und musste später, um die Zweisamkeit auszuhalten, das Leben für mich aufgeben, worin bis dahin mein größtes Glück bestanden hatte. Denn nun musste ich reden, im Reden reagierte ich meine inneren Bilder ab, die mir, solange ich ganz allein war, tagaus, tagein die schönste Beschäftigung und Unterhaltung boten. Als ich mir meines Bedürfnisses nach Einsamkeit in Paris bewusst wurde und gleichzeitig die Möglichkeit hatte, es durchaus zu befriedigen, da genügte mir das allein zu einem so vollkommenen Glück, wie ich es nie später gekannt habe. Auch heute noch schaue ich Menschen lieber von innerer Distanz her zu, als dass ich mit ihnen rede — es sei denn, das Reden gehöre in meinen jeweiligen Produktionsprozess hinein oder ich könne anderen, die etwas von mir wollen, Wesentliches geben. Die besondere Art von Intuition, die wohl meine am seltensten aussetzende Gabe darstellt, irrt am seltensten, wenn sie rein von sich aus walten darf; jedes Wort, das ein Mensch, für den ich mich interessiere, zu mir spricht, verdeckt mir einen Teil seiner Seele, die ich sonst günstigenfalls nackend schaue. So habe ich nur ganz wenige Menschen näher zu kennen, kaum zu lesen und überhaupt keine Fragen zu stellen nötig gehabt, um das herauszustellen, was Reisetagebuch, Amerika, Spektrum und Südamerikanische Meditationen an Völkerpsychologie Richtiges enthalten. In jener Frühzeit war diese Art Intuition nur als zarter Keim in mir vorhanden; das Problem der Sinneserfassung hatte sich mir damals noch gar nicht gestellt, ich war überhaupt noch in keinem Sinne Philosoph. Doch wie sehr das, was später mein Eigenstes werden sollte, ohne dass ich darum wusste, mein Leben von innen her bestimmte, bewies mein Glück, innerlich geöffnet, doch ohne etwas Spezielles zu beobachten, draußen vor den Boulevardcafés zu sitzen und die Menschen an mir vorübergehen zu lassen, oder inmitten großer Menschenmengen zu spazieren, ohne jemand zu kennen, oder aber zu großen Gesellschaften zu gehen, in denen ich redend eine bestimmte Rolle spielte, für mich jedoch vor allem zuschaute und zuhörte und inneren Kontakt mit den Seelen anderer nahm. Heute sehe ich, dass sich aus dem undifferenzierten Zustand, welcher dazumal der meinige war, bei größerem Interesse für den Einzelnen und größerer Gestaltungskraft ein Spezialist im Sinne Balzacs hätte entwickeln können, und dass das, was ich heute wesentlich darstelle, auch Spezialismus ist. Sicher jedenfalls beruht das eigentümliche Gefühl der Nähe, das mich bei jeder Lektüre Balzacs überkommt und das wohl mit einen Hauptgrund meiner positiven Bewertung Rastignac-ähnlicher Existenz ist, auf tatsächlicher Verwandtschaft meiner Intuitionsart mit der seinen. Über Balzacs specialité schreibt Albert Thibaudet in der ersten sinngerechten Würdigung, welche Balzac in Frankreich überhaupt bisher erfahren hat (Histoire de la Littérature Française de 1789 à nos jours, pp. 222, 234/35) das Folgende:

Le terme spécialite est employé par Balzac à peu prés au rebours de son sens courant, mais en son vrai sens étymologique et philosophique. Le don de spécialité, c’est le don de voir à travers les choses, les espéces, les idées qui sont à leur principe, sofft depuis Platon, le don du philosophe. Mais ici le don du romancier… La Cornédie Humaine est le témoignage et le musée vivant d’un siecle français. Mais à vrai dire eile contient plus que ce siècle: elle a ses racines dans la génération de 1789, mais elle préforme la société du Second Empire. Le monde Balzacien et le XIX siècle qui avait commencé en 1789 et finissait en 1914… Les personnages saillants de Balzac sont des personnages souterrains, géants, qui sont dans le bon et le mal comme les personnages d’un tableau dans l’ombre et la lumière.

So wie Balzac dichtete, habe ich Menschen allzeit primär erlebt. Jeder, dessen ich überhaupt gewahr wurde, hat mir viel mehr repräsentiert als sich selbst allein. Doch wenn Balzac vom Sinne her Welten schaffen konnte, muss ich mich dabei bescheiden, Welten zum Sinn und auf den Sinn zurückzuführen.

Was ich hier über mein Sein und Leben berichte, werden mir die, welche mich nicht sehr gut kennen, kaum glauben, weil ja die meisten in mir, seit ich in die Welt hinausgetreten bin, den Dynamiker und ununterbrochenen Redner, den esprit torrentiel sehen, wie mich Charles Du Bos einmal bestimmte. Der bin ich aber nur, wenn ich mich in einem Kraftfelde befinde, das mich in bestimmter Beziehung zu anderen Menschen festhält. Dann kann ich schwer umhin, andauernd zu reden, weil ein solches Kraftfeld augenblicklich einerseits meine Improvisator-Anlage zur Tätigkeit aufruft, andererseits meine Sensitivität dermaßen bedrängt, dass ich reden muss, um nicht zu viel zu spüren; denn nicht immer weniger, sondern immer mehr leide ich unter zu nahem Kontakt. Von den Zeiten, da ich viel rede, habe ich natürlich wenig; allenfalls empfinde ich Befriedigung über das Gefühl, anderen etwas gegeben zu haben, oder über die Tatsache, dass der Springbrunnen noch vom lebendigen Quell gespeist wird. 1903, von meiner Verwundung noch recht mitgenommen, war ich überhaupt ein viel stillerer und zarterer Mensch als nach meinem vierzigsten Jahr; auf niemanden wirkte ich dazumal als Kraftpodol. So fehlte mir jedes Bedürfnis nach Verausgabung: ich wollte ganz still für mich fühlen, zuschauen, lauschen und im ganzen abwarten, was von selber in mir werden würde. So bestand denn das Wesentliche in jener Pariser Zeit und deren Fortsetzung in anderen Hauptstädten darin, dass ich im üblichen Sinne wenig oder gar nichts tat, mich einfach leben ließ und mit sehr wenigen Menschen zusammenkam; dabei habe ich von denen, die mich wirklich interessierten, wenige mehr als im ganzen ein paar Mal gesehen.

Doch desto stärker und fruchtbarer war der Eindruck, den jede Beziehung hervorrief und hinterließ. Ich will einige Erinnerungen blitzlichtartig festhalten. Da war der Jugendfreund Chamberlains, Édouard Dujardin, damals ein würdiger langbärtiger alter Herr, ganz unähnlich dem glattrasierten, mit einer jugendlichsten Frau jungverheirateten Jubelgreis, der mich zu meiner Verblüffung 1933 in Paris aufsuchte, um mich um Freikarten zu meinen Vorträgen in der Salle Pleyel zu bitten. Er hatte dem Mallarme-Kreise angehört, war ein feiner Dichter, unter Franzosen einer der ersten Entdecker Richard Wagners, gab die Revue des Idées heraus, lebte aber von irgendwelchen merkwürdigen Annoncengeschäften, wie er denn früher einmal sogar von Pornographie gelebt haben soll. Geld musste er sehr viel verdienen, denn sein Kredit war groß: in den Restaurants unterzeichnete er Rechnungen in Riesenschrift mit Édouar Dujardin und zog meines Wissens nie das Portemonnaie. Er hatte eine Kokotte geheiratet, wie man erzählte Alphonse Daudets Ratschlägen folgend, der bekanntlich behauptet hatte, nur eine Professionelle bleibe später in der Ehe totensicher treu.

Sie war damals schon tot, doch ihr Geist lebte noch fort in Dujardins Villa bei Fontainebleau, wo ich einmal mit ihm und George Moore denkwürdige Bohème-Tage verbrachte. Damals schrieb er an einem religionsgeschichtlichen Werk La Source du fleuve chrétien. Es soll geistreich und stellenweise dichterisch schön ausgefallen sein, aber nicht gerade wissenschaftlich exakt. Letzteres kann ich mir denken. Mir gegenüber sprach er anlässlich des Alten Testaments oft von Jehova et sa digne compagne, und nachdem er mich einmal gebeten hatte, ihm in zwei Worten zu sagen, was Adolf Harnack eigentlich vorstelle, unterbrach er mich, wo ich gerade erst zwei Sätze ausgesprochen hatte, mit den Worten: Das genügt, ich weiß schon: Harnack repräsentiert das, was ich den Neo-Protestantismus heiße. — Da war Adolphe Appia, der schöne Genfer italienischen Bluts, welchen Chamberlains Romeo hießen, einer von deren ältesten Freunden, mit welchem ich schon einen Sommer in den Alpen verbracht hatte. Ein wunderbar tief künstlerisch veranlagter Mensch, zugleich ganz Auge und ganz Ohr, doch völlig ausdrucksunfähig — sein Stottern war symbolisch und symptomatisch — außer in der einen Situation, wo er im Zusammenwirken von Auge und Ohr auf der Bühne inszenierte. Einen seiner Berufung entsprechenden Beruf hat er nie auszuüben Gelegenheit gehabt; doch hat er es mit seinem Buch Die Musik und die Inszenierung und seinen Anregungen im Gespräch und vorgeführten Skizzen wenn nicht zum anerkannten, so doch nichtsdestoweniger zum authentischen geistigen Vater aller späteren Bühnenreform von Fortuni bis Emil Preetorius gebracht, zumal zum geistigen Vater aller besseren Wagner-Inszenierung. In Paris organisierte er bei der Gräfin Martine de Béarn Privatvorstellungen; hier wirkte ich ein wenig mit. Aber auch dieser Versuch zu regelmäßiger Betätigung scheiterte. Appia war zu sehr Künstler im Sinn der Undisziplinierbarkeit. Mir jedoch gab er sehr viel. Er zuerst führte mich ins Leben des Quartier Latin ein, er brachte mich im Hotel du Volga unter und in meinem ersten Pariser Jahr sahen wir uns beinahe jeden Tag. Auch später verlor ich ihn niemals aus den Augen, bis dass er bald nach Kriegsende starb. Er wurde immer seltsamer, hatte aber die Energie, sich mit geringsten Mitteln genau den Rahmen zu erhalten, dessen er bedurfte, um einigermaßen normal zu sein. Er war der reinst kontemplative Mensch, welchen ich gekannt habe. Den ganzen Tag über lag er, wenn möglich, draußen in der Natur und lauschte und schaute, und alles ging in seine Seele ein. — Da war Gauthier-Villars mit seiner unter dem Schriftstellernamen Colette berühmt gewordenen Frau; damals genoß er dank seiner unpassenden Romane der Claudine-Serie große Popularität. Aber Willy — unter diesem Namen schrieb er — machte sich keinerlei Illusionen über deren Wert. Wie er mir seine Sammlung zuschickte, schrieb er mir: Vous savez, ce n’est pas de la littérature que je fais là, c’est de l’argent. Er behauptete sogar, seine Romane zum großen Teil von anderen schreiben zu lassen, was aber schwerlich zutraf. Er war ein sehr kluger Mensch und damals wohl der erste Musikkritiker von Paris. Bei ihm begegnete ich öfters Claude Debussy, der so ganz anders war, als man von seiner Musik her schließen möchte: ein sehr großer, mächtiger, sanguinischer, jovialer Mann, voller Geist und nicht ohne Brutalität. Einmal traf ich auch den alten Massenet. Henri de Regnier und Gerard d’Houville, die Tochter Heredias, waren Stammgäste in Gauthier-Villars Hause. Doch die Gespräche, die diese Berühmtheiten untereinander führten, waren alles eher als erbaulich. — Da war vor allem André Gide, den ich in jenen Jahren verhältnismäßig am häufigsten sah. Er sah damals viel bedeutender aus als später, da Haar- und Bartlosigkeit seinem Antlitz die Tiefe genommen haben (er bewies durch sein Rasieren dieselbe Stillosigkeit wie Eugene d’Albert, der mit Abnahme seines Schnurrbartes einen kaum geringeren Fehler beging wie seinerzeit Absalom). Damals, wo Gide die schwarzen Hinterkopfhaare tief in den Nacken hingen, wirkte sein kahler Schädel mächtig, und der ebenfalls lang herabhängende schwarze Schnurrbart vollendete sein Gesicht zu schöner Mandschu-Ahnlichkeit. André Gide wird heute merkwürdig überschätzt; warum er das wird, ist mir noch nicht ganz klar; vielleicht hängt seine Popularität mit seinem dauernden Frontwechsel bei gleichbleibendem Charakter zusammen — die allermeisten Menschen sind ja so, dass sie alles mitmachen, ohne am Erleben zu wachsen oder anders zu werden, und hält ihnen jemand ein vergrößerndes Spiegelbild dieser ihrer Eigenart vor, so fühlen sie sich dadurch bestätigt und geweiht. Ich bin keinem begabten Menschen von auch nur annähernd so geringer Wandlungsfähigkeit begegnet. Als ich André Gide 1932 nach langen Jahren in Darmstadt wiedersah, sagte ich mir erschreckt: genau so, in allen Hinsichten, war er schon 1903. Sein Bekenntnis zu dieser oder jener Gesinnung oder Bekehrung hatte niemals tiefe Gründe gehabt. Zu der Zeit, da ich ihn kennenlernte — es war für ihn die Periode des Immoraliste — war sein Ideal die Homosexualität. Er tat alles, il se battait les flancs, um mannmännlicher Liebesgefühle fähig zu werden; Abend für Abend sah er dem schönen Schauspieler de Max zu, in der Hoffnung, von einer grande Passion gepackt zu werden. Mich aber schleppte er in alle möglichen Lokale, wo Homosexuelle tanzten oder in Schauspieler-Milieus ähnlicher Einstellung. Mich interessierte diese mir äußerst fremde Welt, doch sie bedeutete mir nichts. Gleiches nun war aber auch offensichtlich bei André Gide der Fall. Er ging nur überall herum und flüsterte mit seiner hohen Stimme immer wieder: C’est très curieux. Ich glaube nicht, dass er je im Leben ernstlich einem Laster gefrönt hat. Auch hier war und blieb er der Hugenotte, der er zutiefst immer gewesen ist, das heißt der Puritaner nichtangelsächsischer Artung, nur den Gegenstand seines Puritanismus fortlaufend wechselnd. Die Enttäuschung — wie zuletzt die an Sowjetrussland — brauchte er offenbar für seinen inneren Haushalt weit mehr als die Bewunderung. 1937 las ich Santayanas Der letzte Puritaner: an diesem Buch erkannte ich vollends, wie nahe verwandt André Gide — eben als Hugenotte — dem Puritaner war. Santayanas Helden und vor allem Heldinnen sind sämtlich stolz darauf, wenn sie vom Leben enttäuscht werden, sie brechen gern mit vorher teuerster Wirklichkeit, wenn diese ihnen die Möglichkeit zum Bewusstsein dessen bietet, dem Ideal ein schweres Opfer gebracht zu haben. André Gide war nun von Hause aus viel zu ehrlich, um sich ohne Irreführung durch sein Unbewusstes je den Illusionen über Sowjetrussland haben hingeben zu können, welche er jahrelang so laut vertreten hat. Sein Bestes war vielleicht von jeher seine Aufrichtigkeit, die sich in immer schöner werdender Sprache verkörperte; sein Urteil war von jeher unsicher, seine Intelligenz nie groß. Letztlich war Neugierde das ihn beherrschende Erkenntnismotiv — und aus Neugierde erwuchs noch niemals tiefe Einsicht. Vor allem aber führte sein Unbewusstes Gide in immer neuen Richtungen irre, musste es ihn irreführen, denn dort herrschte der absichtlich weltfremde puritanische Idealist. Dieser ist denn auch verantwortlich dafür, dass sich der Schriftsteller Gide mit seinem Retour de URSS dermaßen lächerlich machen konnte, ohne es zu merken (sehr viele andere haben es freilich auch nicht gemerkt). Keine Unschuld vom Lande erschien jemals so grün, wie Gide erschien, als er darob entsetzt tat, dass es im bolschewistischen Osten nicht so rosig ausschaut, wie er es sich vorgestellt hatte. Und kein Sünden-Bekennen Buchmanscher Abstammung war jemals so naiv wie Gides Absage an seine Illusionen in besagtem Buch. Er war eben wohl zwar ein glänzender Schriftsteller, in seiner Tiefe jedoch ein starrer und oberflächlicher und aus Verhaftung an Vorurteile — freilich wechselnde Vorurteile — zur Weltoffenheit unfähiger Puritaner, dessen Puritanismus darum so wenige durchschaut haben, weil er ohne Kraft und Größe, geschweige denn Tiefe war. Nein, imponiert hat mir Gide schon in jenen frühen Jugendjahren nicht, so gern ich ihn hatte; dazu war er ein zu offenkundig mittelmäßiger Geist und kleiner Mensch zugleich. Mir aber war der Umgang mit ihm, trotz allem, sehr förderlich, weil er mit seltener Ausschließlichkeit und durchaus Schriftsteller war und alles nach literarischen Kategorien beurteilte, wie denn die sinnwidrig hohe Stellung, die er in der Welt des Geistes errungen hat, in diesem einen doch ihre Berechtigung hat, dass sein Schriftstellertum als solches ein selten reines ist. — Da war der belgische Maler Henry de Groux, äußerlich eine Höllenbreughel-Figur, phantastisch vielseitig begabt, phantastisch unmoralisch, phantastisch zuchtlos; ein Bohémien, von dem ein Mäzen einmal sagte: Tout moyen lui est bon pour ne pas travailler. Aber sein Malerauge war begnadet; seine Begabung hatte mit derjenigen Turners Ähnlichkeit, und bei anderer Grund- und Gesamtstruktur wäre er ein ganz großer Maler geworden. Statt dessen wurde er noch während meiner Pariser Jahre verrückt und gelangte ins Irrenhaus, in dem er jahrelang behauptet haben soll, ich sei an seinem Verrücktwerden schuld. Später gelangte er, wie ich erst 1937 hörte, von dort wieder heraus, erreichte aber nie irgendein Gleichgewicht in sich und mit der Welt und starb, ohne auch nur annähernd seinen großen Gaben Entsprechendes geleistet zu haben. — Da war vor allem Rodin. Dass er mir von allen den stärksten Eindruck machen musste, ist klar. Er ist der eine große Künstler als Handwerker, der mir begegnet ist; ein Mann, an welchem Phidias seine Freude gehabt hätte. Er dachte mit den Händen und nur mit diesen dachte er gut (seine meisten sogenannten Gedanken sind von Octave Mirbeau nicht nur formuliert, sondern wohl auch als Gedanken zuerst gedacht worden). Mich fesselten seine Hände vom ersten Augenblick an. Sie waren häßlich, klobig, skizzenhaft, aber ihre Bewegungen waren immer Schöpfungsakte. Neben dem Atelier lag eine Kammer, welche beim ersten Anblick an eine Wursthandlung gemahnte: überall lagen und standen schnell mit den Fingern gedrehte Kurven und Linien in Ton; das waren Rodins Notizen. Und als ich mich in seine Seele versenkte, erlebte ich es mit, wie seine Fingerbewegungen in jene Plastik auslaufen mussten, welche als einzige mir bekannte Bildhauerkunst mit musikalischen Werten in der Skala vom Fortissimo zum Pianissimo arbeitet: Rodins Nichtausführen bedeutet in der Tat allemal ein Piano und nicht Andeutung, wie sie chinesische Künstler üben. — Da waren endlich die vielen Mitglieder der Académie Française, denen ich in der großen Welt viel begegnete; am häufigsten traf ich Paul Bourget. Diese Gesellschaft war für mich, der ich nach Kultur des Schriftstellers strebte, eigentlich die bildendste. Denn sie vertrat die literarische Ebene als solche; nicht die individuelle Bedeutung bestimmte beim Akademiker die Wahl. An diesen Herrschaften lernte ich die Wirklichkeit und Wichtigkeit bestimmter Stilformen und Spielregeln erkennen. Tradition kann nur auf dem Niveau des sicher Vererbbaren fundiert, weil sicher tradiert werden: diese Erwägung erklärt die Besetzung der Unsterblichkeitsposten. Selbstverständlich sind auch gelegentlich große Geister zur offiziellen Unsterblichkeit berufen worden; dann aber hatte der Typus in ihnen hohe Vollendung erfahren; keinem Exzentrik ist je in diese ehrwürdige Gemeinschaft Eintritt gewährt worden. Und war es nicht ein entzückend geistreicher Gedanke — ich möchte annehmen, dass er Richelieu selber einfiel — dass die eigentliche Facharbeit der Akademiker in der Ausarbeitung eines als nie vollendet konzipierten Lexikons besteht, in welches neue Worte und Wendungen aufgenommen werden oder auch nicht, und im Fall der Aufnahme ihre Legitimierung von Frankreichs ewigem Geist erhalten?

Aber alle diese interessanten Menschen sah ich im ganzen selten, und verkehren tat ich mit keinem von ihnen je. Und wenn ich sie kennengelernt hatte, so verzichtete ich eben darum meist darauf, sie zu lesen oder sie zu hören. Damals war mir höchstes Glück, dass niemand wusste, was ich eigentlich trieb und so auch niemand mit mir im Rahmen eines Schemas oder von einem Vorurteil her verkehrte. Noch heute halte ich es mit anderen Geistern grundsätzlich so: ich fingiere Unbekanntheit mit ihrem Werk, wenn keine tatsächliche vorliegt, um nur ja nicht mit ihnen über ihre Sachen reden zu müssen, und zu gleicher Haltung versuche ich andere mir gegenüber zu bringen. Sonst aber ist es leider nicht möglich, Jugendeinstellungen im Alter festzuhalten. Es ist nicht möglich, weil der Mensch mit den Jahren tatsächlich ein anderer wird; jedes Erlebnis schafft mit an der Persönlichkeit. So bin ich heute noch genau der gleiche Einsiedler wie mit zwanzig Jahren; doch unerkannt zu sein, bereitet mir keine Freude mehr. Erstens bin ich lange Jahre des Berühmtseins gewohnt, das Bewusstsein dessen ist mir intime Voraussetzung geworden: so bin ich nicht unbefangen, wo man mich nicht kennt oder ver-kennt. Vor allem aber habe ich heute das Bedürfnis, persönlich zu wirken, und das kann ich, so wie ich’s möchte, einzig und allein von der Basis meiner Gesamtleistung her. Dieses Zusammenbestehen von Einsamkeits- und Wirkungsbedürfnis ergab denn in meinem späteren Leben Konflikte, die ich als junger Mensch nicht kannte. Man hat es als älterer geistiger Mensch überhaupt nicht leichter, sondern schwerer, denn als junger und unbewährter. In der Jugend trifft einem kein Ausbleiben von Erwartetem und Erhofftem schwer, weil man in dem Stadium ja bewusst ein Versprechen ist und die Nichterfüllung von Versprechen das Selbstgefühl nie tief verwundet. Anders steht es mit dem, welcher schon erfüllt hat … Die traditionelle Ordnung, gemäß welcher das Alter Stellung und Macht selbstverständlich innehat, ist, wenn nicht allemal sinngemäßer, so doch allemal menschlicher als die jüngste Ordnung, welche der Jugend sämtliche Vorzüge zuerkennt…

Doch zurück zu meinen Pariser Tagen. Damals sah ich, wie gesagt, nur ganz wenige Menschen, und diese selten, und fand mein Glück dabei. Keine einzige Vorlesung habe ich in jener Zeit besucht, nur selten war ich in Theatern und Konzerten. Und erlebte ich je sehr Schönes und Ergreifendes, dann zog ich daraus den Schluss, dass ich es nie wieder erleben dürfe: nimmt man einmaligen Erlebnissen ihre Einmaligkeit, so nimmt man ihnen ihren tiefsten Sinn. Immer aber bedeutete mir das persönliche Zusammensein mit einem bedeutenden Menschen mehr als das Bekanntwerden mit Werken. Persönlichkeiten teilen eben das Große mit, welches sie sind; ihre schöpferische Substanz ergreift unmittelbar den, welcher sich ihnen hingibt; sie erhebt und bereichert ihn, soweit er steigerungs- und wandlungsfähig ist. Und dies gilt ganz ausschließlich vom lebendigen Menschen: nur der Lebendige verkörpert Ausstrahlungskraft. Und solches Außerordentliche kann sich auch keiner, der es nicht persönlich wahrnahm, in der Phantasie rekonstruieren, ganz abgesehen davon, dass Phantasiegebilde nicht verwandeln. Es gibt nichts Irrsinnigeres, als die Höherstellung des Werks gegenüber dem Schöpfer, selbst, ja gerade wenn es vollkommener als dieser ist; ich sage ja gerade, weil dessen Vollkommenheit meist persönliche Disharmonie kompensiert und insofern nicht Seins-Ausdruck ist, als solches stellt es sogar im Höchstfall nur den Niederschlag des Menschen dar, der sich überdies nicht dagegen wehren kann, dass er missdeutet wird.

Aber freilich liegt es menschlich nahe, das wehrlose Werk dem meist sehr wehrhaften Schöpfer vorzuziehen. Dieser ist meistens dermaßen anders als andere Menschen und dementsprechend ein solches Ärgernis, dass sich bei Lebzeiten erfahrungsgemäß nur wenige soweit überwinden, dass sie ihn in sich aufnehmen — und diese wenigen die bedeutendsten meist nicht sind. Ich glaube wirklich, dass die ganze typische Höherstellung des Werks gegenüber dem Schöpfer und die ganze Bedeutung der Nachwelt, auf welche sich alle berufen, auf Ressentiment oder Abwehr beruht. Aus dem gleichen Motive wird der Interpret so irrsinnig hochgestellt. Kein Beethoven, kein Wagner genoß je bei Lebzeiten auch nur annähernd ähnliches Prestige wie, zumal in dieser ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ein großer Dirigent. Und so wird auch im Falle kleinerer und insofern doch erträglich-sein-müssender Geister aus deren Werk nie die sinngemäßeste Konsequenz gezogen: deren persönliches Sein fruchtbar zu machen… Was habe ich selber, seitdem ich Bücher schreibe, unter der Auffassung gelitten, diese seien gegenüber dem Menschen das Wichtigere! Viele, allzuviele derer, welche ein wesentliches Verhältnis zu meinem Schaffen haben, haben mich nie kennenlernen wollen. Andere, von denen ersteres auch gilt, und die ich persönlich kenne, tun alles, um gerade mir die Tatsache zu verbergen, wodurch die fruchtbarste mögliche Polarisierung zwischen uns verhindert wird. Andere wiederum scheiden reinlich zwischen Mensch und Werk, ziehen dieses in meiner Gegenwart jenem vor. Einmal, in St. Moritz, an den Meditationen arbeitend, wollte ich abends lustig sein und ließ eine hochgeistige Südamerikanerin bitten, doch auch an unseren Tisch zu kommen; sie trat dann ernstesten Gesichts heran und sprach: Leider kann ich heute abend nicht, ich muss Ihr letztes Buch weiterlesen. Ich fiel beinahe zusammen… Was wird doch uns armen Autoren alles zu schlucken zugemutet! Nicht nur gehen die Werke dem lebendigen Menschen vor: ergeht es diesem schlecht, so wird ihm bedeutet, dass dieses für sein Schaffen gut sei oder zum Bilde gehöre, das sich die Welt von ihm mache. Wie ich 1906 wieder einmal tot erklärt wurde, sagte mir Georg Simmel, da, ich wieder auftauchte: Schade, ich hatte einen so schönen Nekrolog fertig! Andere wiederum behandeln einen so, dass man deutlich spürt: die finden es taktlos, dass du noch nicht tot bist. Eine der schwierigsten Lagen entsteht dort, wo durch Revolutionen der Abstand von Generation zu Generation vergrößert wird und neue Beziehung zu Älteren für Junge nur so möglich wird, dass diese sie im Fall der Anerkennung so behandeln, als seien sie schon aus der Zeit in die Ewigkeit hinübergegangen. Doch diese Einstellung macht gerade die produktive Beziehung von Mensch zu Mensch schwierig, wenn nicht unmöglich. — Denke ich heute zurück, so fühle ich, dass das größte Hindernis bei menschlichen Beziehungen in meinem Fall zeitlebens meine — Natürlichkeit gewesen ist. Ich kann und will vom Werk her keine dem Menschen, der ich bin, nicht gemäße künstliche Rolle spielen — gerade das aber wird von den anderen verlangt. Nach Erscheinen des Reisetagebuchs wollten erschreckend viele in mir einen Gott sehen oder zum mindesten einen abgeklärten Weisen, wie sie sich ihn vorstellten. Selbstverständlich tat ich als ehrlicher und anständiger Mensch von vorneherein mein Möglichstes, um solche absurde Legenden zu zerstören. Ich habe zu dem Ende viel mehr Ärgernis erregt, viel mehr herausgefordert, Toternsten gegenüber viel mehr Witze, und zwar böse Witze gerissen, als in mir allein (von der Situation abgesehen) gelegen hätte. Doch anstatt dass diese Ehrlichkeit mir den Weg zu den anderen geebnet hätte, versperrte sie ihn weiter. Die meisten wollen nur ihren Vorurteilen Entsprechendes sehen. Deswegen spielen die allermeisten Berühmtheiten auferlegte Rollen, erniedrigen sie sich dazu, die Schauspieler, wenn nicht gar Komparsen ihres Werks zu sein, so wie es die anderen verstehen. In meinem Fall ist der Wille zur Absurdität oft so weit gegangen, dass in die allerbanalsten Situationen Tiefstes hineingedacht wurde. Einmal erzählte ich so nebenbei von Buddha und inwiefern ich anders dachte: nachher hörte ich vom gewaltigen Ringen, das zwischen Buddha und mir stattgefunden hätte. Ein andermal war ich in Gesellschaft besonders müde und entsprechend schweigsam und trank besonders viel Burgunder, um nicht einzuschlafen: nachher hörte ich, ich sei gerade damals der weltüberlegene Geist gewesen, der alle Tragik lächelnd überstiegen hätte. Es ist zum Verzweifeln. Die meisten der Vielen, welche ich enttäuscht habe, habe ich durch meine Natürlichkeit und Einfachheit enttäuscht.

Kein Wunder, dass ich von jeher mit nur wenigen und gerade mit wesentlichen Menschen nur in seltenen Stunden verkehrt habe und dann in der Art, wie sie die menschlichste Beziehung zwischen allen Beteiligten schuf. — Doch zurück zu meinen zwanziger Jahren. Zweifelsohne habe ich viel, viel mehr von meinem äußerlich inhaltsarmen Leben in den Großstädten dieses Planeten gehabt und von meinem relativ kleinen Kreise naher Bekannter, als alle die zusammengenommen, welche andauernd mit ungewöhnlichen Menschen verkehren. Und speziell in meiner Pariser Periode war es die Polarisierung mit nur ganz wenigen Menschen zu seltenen Stunden, dank der ich so viel von jedem gehabt habe. Je jünger ein Mensch, desto mehr kann ihm Weniges bedeuten, und desto leichter, umgekehrt, ein Zu viel um das Erlebnis bringen. Was von Kindern gilt, die desto besser gedeihen und desto weiter kommen, je stiller man sie hält, gilt von allen proportional ihrer Jugend. Ich aber lernte schon in Paris die hier niedergelegten Erkenntnisse künstlerisch verwerten. Schon damals bildete ich meinen Stil der richtiggestellten Beziehung zu Menschen endgültig aus. Doch dass dies mir so früh schon gelang, verdanke ich in erster Linie dem, dass ich mich Jahre entlang einem Menschen öffnete, den ich besonders schlecht verstand in allen Hinsichten außer der einen, dass ich seine Tiefe und Bedeutung fühlte.

Hermann Keyserling
Reise durch die Zeit · 1948
I. Ursprünge und Entfaltungen
© 1998- Schule des Rades
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