Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Reisetagebuch eines Philosophen

III. Indien

Delhi: Auserwählte des Herrn

Der Islam ist vorzüglich eine Religion des einfachen Soldaten. Ihm macht sie groß wie keine andere es tut seit der Zeit, wo der Puritanismus Cromwellscher Färbung ausgestorben ist. Ich gedenke des nordafrikanischen Arabers: sein Leben ist so klar, wie die Wüstenluft. Sein Ideal ist, gesund und rein zu sein, nie gezweifelt, nie innerlich gekämpft zu haben, gelassen und furchtlos des Rufs der Ewigkeit zu harren; und dieses einfache, klare Ideal verwirklicht er. Das will etwas sagen, denn gering ist es nicht, so einfach es sei: nur der innerlich Überlegene kann es erreichen. Der Fatalismus des Muslim, gleich dem des ursprünglichen Calvinisten, und im Gegensatz zu dem etwa des Russen, ist ein Ausdruck nicht der Schwäche sondern der Kraft. Weder bebt er vor dem furchtbaren Gotte, den er glaubt, noch hofft er auf sein besonderes Wohlwollen noch lässt er sich willenlos treiben vom Geschick: er steht stolz und innerlich frei der Übermacht gegenüber, gleich gelassen der Ewigkeit entgegenblickend wie dem Tod. Der Mohammedaner schielt nicht wie der Christ nach dem Himmelreich, obgleich er seiner viel gewisser ist. Er ist zu stolz, dem Schicksal vorzugreifen. Es mag geschehen, was will: mekhtub (es stand geschrieben).

Der Glaube an die Prädestination wirkt Grandioses überall, wo seine Bekenner stolze Seelen sind. Das waren die Griechen nicht; sie hat er auch nicht größer gemacht. König Ödipus wächst nicht in unseren Augen mit seinem Missgeschick, er wird nur immer bemitleidenswerter. Die Mohammedaner sind stolz. Der Islam macht jeden stolz, der ihn bekennt, so wie der Rock des Königs jeden stolz macht. So eignet dem Mohammedanerleben höchstes Pathos. Mir wurden einmal die Äußerungen einer strenggläubigen ägyptischen Prinzessin wiedergegeben, die viel Kummer in ihrem Leben durchlitten hatte und nun gelassen dem Ende entgegensah. Sie sagte:

Uns Frauen ist nicht, wie den Männern, vom Propheten ewige Seligkeit verheißen worden. Ist das aber ein Grund zur Sorge? oder zur Nicht-Erfüllung unserer irdischen Pflicht? Wir Frauen handeln recht um der Liebe willen, und verlangen keinen Lohn.

Das war echt islamisch gedacht. Das war ein Ausdruck spezifisch-islamischer Größe. Einer Größe, wie sie gleichartig sonst nicht vorkommt. Auch der Buddhist fragt weder nach Leben, noch nach Tod, und wandelt gelassen seine Bahn; aber ihm liegt nicht am Leben; er will das Nirwana; seiner Resignation fehlt dementsprechend das Pathos. Der Mohammedaner ist schlechterdings irdisch gesinnt; alle intellektuelle Transzendenz geht ihm ab. Desto erhabener wirkt sein stolzes Sich-Bescheiden.

Innerhalb des Christentums hat es nur eine Gestaltung gegeben, die ähnlich überlegene Menschen geschaffen hätte: die reformiert-protestantische. Calvinismus und Islam sind in der Tat, wie schon mehrfach bemerkt, sehr nahe verwandt. Beide Religionen vertreten das Dogma von der Prädestination; Puritaner sowohl als Mohammedaner fühlen sich als Auserwählte des Herrn, sind entsprechend selbstsicher; beider Gottheiten haben den gleichen Charakter. Und Mohammed sowohl als Calvin ist gegen die theologische Spekulation und für die Eroberung der Erde gewesen. Ähnliche Ursachen, ähnliche Wirkungen. Aber wenn sich der Puritanismus, dank seiner progressiven Tendenz, in der Gestaltung dieser Welt dem Islam überlegen erwiesen hat, so muss diesem zugute gehalten werden, dass der Puritaner an innerer Vornehmheit dem Muslim nie gleichgekommen ist. Das liegt daran, dass er sich nie hat ganz frei machen können vom sklavischen Sündigkeitsbewusstsein, jener Erbsünde alles Christentums; dass er immer vor seinem Herrn gezittert hat. Während der Muslim ihm vor allem vertraut, wie der Soldat seinem Feldherrn.

Hermann Keyserling
Das Reisetagebuch eines Philosophen · 1919
III. Indien
© 1998- Schule des Rades
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