Schule des Rades

Arnold Keyserling

Geschichte der Denkstile

7. Das humanistische Denken

Humanisten und Reformation

Die Humanisten sympathisierten zuerst mit der evangelischen Partei. Ihr bedeutendster philosophischer Vertreter Erasmus von Rotterdam, 1466-1536, der als Prototyp dieses Denkens galt, wandte sich wegen der Feindschaft Luthers gegen das Denken und die Vernunft, vor allem wegen der neuerwachenden Grobheit im menschlichen Verkehr, von ihr ab und kehrte zum Katholizismus zurück. Seine eigenen Bücher waren geistreiche Kritiken seiner Zeit, von Skepsis durchdrungen, die aber schließlich in der nördlichen Barbarei eine größere Gefahr für die Menschlichkeit vermuteten als in der katholischen Kirche mit all ihren mit Recht gegeißelten Missbräuchen. Überdies nahm in vielen Ländern die reformatorische Bewegung einen antiitalienischen Charakter, wohl auf uralte Römerfeindschaft zurückgreifend, an; und darin erkannte Erasmus mit seiner Liebe zur Antike die gefährlichste Bedrohung seines Lebensstils, ja der ganzen abendländischen Zivilisation.

Die Kämpfe der humanistischen Epoche hatten nicht nur religiöse und geistige, sondern auch wirtschaftliche und soziale Motive. Der städtische Frühkapitalismus der Florentiner fand auf dem Land seine Entsprechung im Wachsen des Großgrundbesitzes und damit der fortschreitenden Versklavung der Bauern. Wie Rom schon von Anfang an durch die politische Auseinandersetzung zwischen Patriziern und Plebejern geprägt wurde, waren auch in Florenz die Medici durch Ausnutzung des politischen Kampfes zwischen Bevorrechtigten und Rechtlosen an die Macht gekommen. Die Auseinandersetzung griff in den Bauernkriegen auf das Land über. Luther, der zuerst mit den Aufständischen sympathisierte, da er selbst ein Aufständischer im kirchlichen Bereich war, schwenkte nach Bekanntwerden der Grausamkeit der Bauern auf die Seite der Herren über, getreu dem paulinischen Wort, dass alle Obrigkeit von Gott sei. Überall wurden die Aufstände niedergeschlagen; und auch der Selbständigkeit der Städte wurde durch den Kaiser und die Fürsten ein Ende gemacht. Die politische Bewegung erfasste das Denken und brachte die ersten Ansätze einer humanistischen Staatsphilosophie, die sich in zwei Richtungen spaltete: in die kommunistische des Thomas Morus, 1478-1535, und die individualistische des Niccolo Machiavelli, 1466-1536.

Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile · 1968
7. Das humanistische Denken
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