Schule des Rades

Arnold Keyserling

Weisheit des Rades

4. Wortleib der Seele

Engel

Die Überwindung des Engels mit dem flammenden Schwert bedeutet das Überschreiten der Todesschwelle in den Mysterien, wie wir es im Asklepiosritual geschildert haben. Hierdurch wird Sahu von der fünften auf die erste Stufe gebracht, das höhere Selbst als der Glaube wird Ausgangspunkt, und Ka, die Seele zur Mitte im Rad: der wieder geborene Mensch.

In den alten Kulturen war das Erreichen der Vision die Voraussetzung des Erwachsenwerdens. Von den nordamerikanischen Indianern heißt es: they lament for a vision. Unzählige Methoden wurden entwickelt, um den weisen Alten zu entdecken: fasten, die Schwitzhütte, Askese, das gemeinsame Ergriffenwerden im Gottesdienst wie bei den Quäkern, der Tempelschlaf im Asklepios-Tempel. Vom Wissen her gibt es einen einfacheren Weg. Die Personen werden über das magische Kind durch die Vertikale Nord-Süd erreicht, der weise Alte durch die Horizontale: man legt sich mit dem Kopf nach Osten, und einer, der seinen weisen Alten gefunden hat, führt den anderen mit Hilfe des magischen Kindes und des Tierfreundes durch die acht Welten, wobei einen das Kind in der Vorstellung bei der linken Hand hält.

Zuerst gilt es festzustellen, wo das magische Kind beheimatet ist.

  • Hat es seinen Ort im Osten, im Gewahrsein, dann ist es reines Fragen und Glauben.
  • Im Nordosten ist es Teil der irdischen Gestaltung, ein solcher Mensch hat Freude an allen praktischen Unternehmungen.
  • Im Norden freut es sich an den Strategien, ist den Tieren verschwistert.
  • Im Nordwesten will es anderen Freude und Lust bereiten.
  • Im Westen steht es für sich selber und andere ein, ist heldisch, freut sich über Prüfungen und Bewährung.
  • Im Südwesten ist es zum Kämpfen eingestellt, sucht nach Gegnern oder ausweglosen Situationen.
  • Im Süden ist es auf das eigene Wachstum und jenes der anderen gerichtet, kann immer wieder zu Vertrauen und Unschuld zurückfinden.
  • Im Südosten freut es sich an Traditionen und Geschichten, fühlt sich wohl im Lehren und Lernen.

So gilt es zuerst einmal die Kräfte durchzugehen, um das Kind zu lokalisieren. Ist das geschehen, beginnt man zusammen mit ihm im Himmel die Suche nach dem Engel, dem Verbündeten, dessen Namen man erkennt und der notwendig ist, um die eigene Rolle als Brücke zwischen Himmel und Erde zu verstehen. Hier beschreitet man den Kreis des Himmels und der Sonne, also im Uhrzeigersinn.

  • Im Südosten ist der Engel die Erinnerung an den Impuls eines verstorbenen Pioniers, dessen Werk durch einen tragend wird.
  • Im Süden erreicht man mit den Geistern der Pflanze einen Engel, der anderen zur Erfüllung ihrer Seele hilft.
  • Im Südwesten, dem Reich der Feen bringt er die Wünsche und die Fähigkeit des Kämpfens und Einsatzes.
  • Im Westen gehört er zu den Geistern der Erde, der Berge, Flüsse und Winde. Hier steht einem der Weg zu Frau Holde selbst offen, und sie zeigt einem die unsichtbaren Silberfäden, die alles auf der Erde zusammenhalten, ohne dass man es spürt.
  • Im Nordwesten, dem Reich der Elfen, bringt der Engel die magische Kraft des Befriedens: hier findet man die Fähigkeit, so unbemerkt in die Welt einzugreifen, dass sich die Umstände zum Guten wenden.
  • Im Norden ist der Engel Freund der Tiere, wird für sich und andere die wahren Strategien entdecken, um ihnen bei Not zu helfen.
  • Im Nordosten, dem Reich der Trolle und der Musen, eröffnet der Engel den Zugang zu Gestaltungskräften, die einem die Mitarbeit am Werk zugänglich machen.

Wer seinen Engel gefunden hat, wird zur charismatischen Persönlichkeit; sein Einfluss ist größer als die Macht seiner Stellung. Man mag auch zufällig von einem solchen Impuls ergriffen werden, und dann werden die Menschen oft verstiegen. Nicht nur ein Hitler aus der Dunkelwaltung, auch ein Popsänger hat einen Archetypus verwirklicht. Darum ist es entscheidend, die Ebene zu bestimmen, wo alle Engel letztlich eins sind im Sinne des Weisen Alten der Hunas.

Da Kind und Weiser Alter jeder aus einer Richtung wirken, ergibt sich eine geistige Ebene, die durch das Buch der Wandlungen zugänglich wird: jeder Mensch hat als unteres Trigramm den Kraftleib oder seinen Körper und als oberes den Lichtleib, seine Seele. Der Ort im Rad ist also auf der Nord-Süd-Achse. Der Weise Alte vereint Körper und Geist, wie das magische Kind fühlen und empfinden.

Daher gibt es 64 mögliche Brückenbauer oder Archetypen, die Anzahl der Worte des genetischen Codes, und wenn man die eigene Brücke erkannt hat und ebenfalls ihr Gegenzeichen im I Ging — wie ich es im Das Nichts im Etwas analytisch dargestellt habe — dann ist man endgültig dem falschen Überich und auch dem falschen Leiden entronnen, und kann damit nach Entdeckung des Kraftleibes des Körpers und des Lichtleibes des Geistes den Entfaltungsrahmen des Wortleibes der Seele artikulieren.

Arnold Keyserling
Weisheit des Rades · 1985
Orphische Gnosis
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD