Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

16. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1929

Bücherschau · Johannes von Guenther · Cagliostro

Ich komme selten zum Lesen von Romanen. Aber während meiner letzten Erkrankung kam mir doch einer in die Hände, über den ich ein paar Worte sagen möchte. Das ist Cagliostro von Johannes von Guenther (Leipzig, Grethlein & Co. Verlag). Es ist kein großer Roman. Aber sein Gegenstand ist dermaßen interessant, dass er wohl Beachtung verdient. Im allgemeinen kann man ja wohl sagen, dass ein Schwindler noch nie lange Zeit Erfolg hatte: irgend etwas überaus Wirkliches muss hinter dem Schwindel stehen. Was nun bei Cagliostro auffällt, der vielleicht mehr blauen Dunst gegen Himmel gesandt hat, als irgendein Mensch vor ihm und nach ihm, ist, welch ungeheuer wirkliche Naturkraft hinter dem Scharlatan stand. Hier besteht ein Widerstreit zwischen dem von Guenther benutzten Tatsachenmaterial und seiner unbewussten Deutung desselben; bei einem Mann, der kurz vor der Französischen Revolution im damaligen, so geistigen Frankreich eine so ungeheure Rolle spielte, auf dessen Scharlatananlage den Hauptnachdruck zu legen, ist ebenso verkehrt, wie etwa in Bernard von Clairvaux hauptsächlich den Schauspieler zu sehen. Cagliostro konnte wirklich viel mehr, als die meisten seiner Zeitgenossen, er war auch mehr. Sein Verhängnis war die mit den Jahren immer mehr zunehmende Hypertrophie von Geldgier plus Schlauheit im Rahmen einer exhibitionistischen Natur, zusammen mit einem offenbar von Gefühlsstumpfheit herrührenden Überschuss von Menschenverachtung. Doch ein geborener Magier war er zweifellos; sonst hätte er nicht so viele bedeutende Geister seiner Zeit berückt. Von seinem schöpferischen Geist her beurteilt, hätte er sich ebenso positiv entwickeln können wie irgendein Religionsstifter.

Mir gab dieses Buch viel zu denken. Rudolf Steiner hatte zweifellos Ähnlichkeit mit ihm — aber er war humorlos, und, soweit ich urteilen kann, auch böser; insofern stand Cagliostro menschlich über ihm. Das Ideal dessen, was aus cagliostro-ähnlicher Anlage hervorgehen kann, scheint mir Annie Besant zu verkörpern. Die hat nichts Scharlatanisches. Ich halte sie für die bedeutendste lebende Frau. Aber die Grundanlage ist ähnlich. Auch bei ihr ist der Machttrieb souverän, auch sie will vor allem wirken, auch ihr bedeutet ihr okkultes Können wenig… Wie mag es mit Krishnamurti stehen? Was er lehrt, ist unglaublich vernünftig. Seine Lehre klingt geradezu wie eine Abreaktion des vielen Brimborium, das um ihn von Kind auf gemacht worden ist. Wie er zuerst in meinem Reisetagebuch das darin über ihn Gesagte las, schrieb er in seiner Zeitschrift wie befreit über meine Auffassung. Aber nach allen bekannten Äußerungen zu urteilen, ist Krishnamurti kein großer Geist. Er scheint wenig eigentlich magische Fähigkeiten zu besitzen. Und Machttriebe scheinen bei ihm kaum eine Rolle zu spielen. Insofern hat er nichts von Cagliostro. Aber andererseits reüssiert er äußerlich in dessen Sinne besser, als diesem je gelang. Ich kann mir nicht denken, dass dies an seiner unzweifelhaften Lauterkeit liegt; erst recht nicht etwa an der Göttlichkeit seines Selbstes, denn die Gleichung zwischen spirituellem Wert und irdischer Geltung, gar im Sinne materieller Vergeltung wird hienieden nie aufgehen. Unbedingt gegen seine Bedeutung spricht, dass er so gar keine Gegenbewegungen zu erregen scheint. Heute liegt Krishnamurtis Erfolg zum Teil an seiner Schönheit. Doch wenn der Erfolg an, hält… Das Cagliostroproblem ist tiefer und führt weiter, als die meisten sich träumen lassen…

Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
© 1998- Schule des Rades
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