Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

21. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1932

Bücherschau · Waldo Frank, Paul Morand, Otto Gmelin

Jetzt endlich ist ein Buch über Südamerika erschienen, das ich als direkte Ergänzung meiner Meditationen empfehlen kann: dies ist Waldo Franks America Hispana, bisher englisch in New York und London (Verlag Charles Seribers Sons) und in ausgezeichneter spanischer Übersetzung bei Espasa-Calpe in Madrid erschienen. Ich nenne es eine Ergänzung insofern, als Franks Buch einerseits wirklich ein Buch über Südamerika ist, was von meinem nicht gilt, andrerseits aber doch Sinneserfassung, und nicht bloße Beschreibung zum Ziel und Inhalt hat. Von dem, was ich in Südamerika gesehen und an ihm erlebt habe, hat Frank wenig bemerkt, und wo er es bemerkt hat, da hat er es meist missdeutet. Er ist kein tiefer Geist, und obschon er andauernd von Religion spricht, versteht er von ihrem Wesen nichts; als Philosoph ist er durchaus unzulänglich. Aber Frank hat all die Feinheit und all das Einfühlungsvermögen des besten jüdischen Intellektuellentyps; und der Amerikaner in Frank hat den Juden weniger verdorben, als im gleichen Fall die Regel ist. Da es nun Frank hauptsächlich um die Tatsache Südamerika zu tun ist, die er als providentielle Ergänzung der Vereinigten Staaten verehrt, so ist alles in seinem Buch, was Tatsächliches betrifft, in diesem oder jenem Sinne aufschlussreich.

Am tiefsten scheint Waldo Frank Mexico und Cuba verstanden zu haben; sehe ich recht darin (ich selbst kenne diese Länder nicht), so hängt das wohl damit zusammen, dass dort nord- und südamerikanische Kulturseelen interferieren. Hochinteressant sind ferner alle Abschnitte, welche Brasilien betreffen, denn hier wird das Positive der Zumischung von Negerblut und die mögliche Bedeutung des Negers überhaupt in der Neuen Welt in vielen Hinsichten neu und auch richtig gesehen. Darüber hinaus ist alles, was Waldo Frank von der Seele des Mestizen sagt, bedeutend und sollte von jedem Rassefanatiker eingehend studiert werden. Aus seinem Verständnis des Mestizen heraus gibt Frank, endlich, die erste einleuchtende Erklärung dessen, warum die Spanier die Indianer besiegen mussten — es hat seelische, nicht materielle Gründe — sowie die erste einleuchtende Deutung der Zukunftsgewissheit des modernen Südamerikaners, der den Blutskonflikt in sich zu überwinden beginnt. Ganz wundervoll sind die Analysen der Seelen von Alt-Peru und Alt-Mexico, obgleich sie nirgends auf Urgründe und Urmotive zurückgeführt werden. Am wenigsten hat Waldo Frank Argentinien verstanden: die Urkraft dieser Landschaft liegt ihm nicht.

Dieses Jahr hat mehrere Bücher gebracht, welche Südamerika zum Gegenstand oder Anlass haben. Am leichtesten zu lesen von den lesbaren darunter ist Paul Morands Air Indien (Paris, Grasset). Es ist ein wesentlich oberflächliches Buch; nicht eins der Probleme, die Südamerika dem Besinnlichen bietet, scheint Morand überhaupt bemerkt zu haben. Nichtsdestoweniger bedeutet Air Indien eine erstaunliche Leistung: es ist Momentgraphie in Telegrammstil übersetzt und dennoch echte Kunst; sie erinnert an jene Kriminaltonfilme, die trotz äußerster Zusammenziehung in Bild und Text doch voll und spannend bleiben. Wer sich, künstlerisch genießend, entspannen will, dem kann ich Morand durchaus empfehlen, und von den künstlerischen Qualitäten abgesehen sind die meisten Beobachtungen scharf. —

In Deutschland nun gibt es jetzt ein Südamerika betreffendes Buch, welches den tiefsten Wünschen deutschen Träumertums gerecht wird. Das ist Otto Gmelins Mädchen vom Zucatlan (Eugen Diederichs Verlag). Hier erscheint der süße, der blumenhafte Aspekt des reinen Gana-Weibes — im Unterschied von seinem furchtbaren und schicksalschweren, mit dem ich mich hauptsächlich befasst habe — mit unvergleichlicher Plastik evoziert. Diese kleine Novelle ist ein großes Kunstwerk. Gute Romanliteratur als echtes Genre gibt es ja in Deutschland wenig; die meisten Romane, die ich kenne, darunter viele der berühmtesten, stellen eigentlich Vorarbeiten zu Philosophien dar; bis auf ganz seltene Ausnahmen bezeichnet gedankliche Auseinandersetzung in Form eines vorläufiglosen Hin und Her den Kern aller Darstellung. Mit seiner mexikanischen Geschichte nun ist Otto Gmelin in die vorderste Reihe von Deutschlands echten Erzählungskünstlern eingerückt. Diese Novelle ist gewissermaßen betäubend süß. Von aller Gana abgesehen, selten ward die Hilflosigkeit, die Einsamkeit der Liebe gleich Nacherlebniserzwingend geschildert.

Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
© 1998- Schule des Rades
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