Schule des Rades

Arnold Keyserling

Das Erbe der Schule der Weisheit

Neuentstehende Welt

Einführung · I. Etappe

Zusammen mit der Geologie, dem Anliegen seines Großvaters, standen zwei Geister für ihm Pate: Kant als jener, der die Grenzen der Vernunft zu bestimmen versucht hatte, und Bach, der die Gesetze der Musik selbst in Komposition verwandelte. Beide waren mit der Geschichte der Familie eng verknüpft; Kant war eine Zeit lang Hauslehrer in Schloss Rautenburg beim Ur-Urgroßvater, und Bach hatte einen wesentlichen Kompositionsauftrag für die Goldberg-Variationen, von einem Keyserling erhalten.

Aus dem Versuch, die Gesetze der Kristallographie, der Vernunft und der Musik zu vereinen, entstand das Erstlingswerk Gefüge der Welt, in dem das Postulat einer Weltrhythmik aufgestellt wurde, eines Urzusammenhangs, in dem das Denken die Wirklichkeit in ihren Kraftlinien und Wirkpunkten spiegelt.

Dieses Kräftenetz der Wirklichkeit lässt die verschiedenen Wissenschaften als perspektivische Gesichtspunkte begreifen, welcher Gedanke in seinen Prolegomena zur Naturphilosophie weiter ausgeführt wurde; die Erkenntniskritik sei letztlich ein Zweig der Biologie. Alle Wissenschaften sind Karten der Welt, von einem Gesichtspunkt aus geschaffen; wähle ich den anatomischen Ansatz bei der Beschreibung eines Organismus, so bleibt mir der physiologische verschlossen. In keinem der Ansätze ist das Wesen gegeben, denn dieses ruht notwendig im erlebenden Subjekt. Solange der Mensch sich wissenschaftlich als teilbedingt betrachtet — also die Welt als Physiker, Biologe Psychologe beobachtet — kann er zu seinem echten Wesenskern nicht durchdringen. So ergibt sich als letzte Folgerung ein Paradoxon, eine Aporie: nur wer die Allbedingtheit erreicht, ist tatsächlich frei; Teilbedingtheit konstelliert nur einen Teil der menschlichen Anlage. Doch allbedingt kann nur jener werden, der innerlich die Leere erreicht, gleich dem ruhenden Mittelpunkt im rasenden Rad der Vorstellungen.

In seinen ersten Schriften verstand sich Hermann Keyserling als kritischer Naturphilosoph, und fand auch als solcher Anerkennung bei Fachgenossen. Doch die Abschlussvision des Buches, die Allbedingtheit, führte aus dem Rahmen des damaligen Wissenschaftsverständnisses heraus, das auf dem Begriff des Kausaldeterminismus fußte. So verließ mein Vater in seinem nächsten Werk, Unsterblichkeit die Einstellung des Erkenntniskritikers und wurde zum Metaphysiker, jenem, der die Wirklichkeit aus der Möglichkeit antizipiert.

Arnold Keyserling
Das Erbe der Schule der Weisheit · 1981
Der Weg zur Vollendung
© 1998- Schule des Rades
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