Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Reisetagebuch eines Philosophen

VII. Nach der neuen Welt

An der Bai von Waikiki: Der amphibische Mensch

Dies ist freilich die Insel der Seligen. Tag aus Tag ein scheint die Sonne gleich belebend auf Berg und Tal hernieder. Abend für Abend spielen kühlende Winde mit den Wipfeln der Casuarinen. Jahr aus Jahr ein stehen Bäume und Sträucher in Blüte, sind die Früchteträger von Früchten bedeckt. Der Ozean aber gehört vollends der Welt der Unsterblichen an. Donnernd und drohend rollen die Brandungswellen heran — und doch spielt der Mensch mit ihnen, als ob sie nur aus Schaum beständen. Da draußen am Riff sind sie so hoch, dass sie einen Walfisch erschrecken möchten. Allein die ewig heiteren Hawaiianer fürchten sich nicht: sie benutzen die Wellen als Reittiere, sie jagen auf ihnen dem Ufer zu, auf dem Kamme balancierend, voltigierend, gleich Tritonen in einem Meeresidyll.

Sind diese schönen, bräunlichen Männer, die sich im Ozean wie Fische zu Hause fühlen, Menschen wie wir? — Ganz sind sie es wohl nicht; ein jedes Element bildet besondere Wesen heran. Der Mensch als Reiter oder als Taucher, als Bewohner der Wüste und der Berge, ist jedesmal ein anderes Geschöpf. An wasserbewohnenden Menschen kannte ich bisher nur den Wasserbezwinger, d. h. das Landtier, das sich durch List auch das Wasser unterworfen hat; der wirklich amphibische Mensch kommt heute allein in der Südsee vor. Hier nun ist er so vollkommen in seiner Art, dass er deshalb übermenschlich wirkt. Der Hawaiianer, der mir im Ozean die Wege weist, ist schön wie ein Gott, von riesenhafter Gestalt und ein berühmter Haifischkämpfer; noch soll er jeglichem Hai, der ihm begegnet, mit seinem Speer die Augen ausgestochen haben. Dabei ist er sanftmütig und mild, und Abends, wenn die Kokospalmen seufzen, singt er schwermütige Weisen vor sich hin. — Wieder einmal schweifen meine Gedanken nach Griechenland hinüber. Wie wunderbar sicher schuf doch die hellenische Phantasie! Was die Natur in der Südsee gebildet, ist ein Abbild des griechischen Ideals. Wahrscheinlichere, lebensfähigere Götter, als diejenigen Griechenlands, sind auf Erden nie erdichtet worden.

Hermann Keyserling
Das Reisetagebuch eines Philosophen · 1919
VII. Nach der neuen Welt
© 1998- Schule des Rades
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