Schule des Rades

Hermann Keyserling

Das Spektrum Europas

Portugal

Ironie

Wie ich neulich in Ricardo Palmas Tradiciones Peruanas blätterte, fiel mein Blick auf die folgende Satzfolge:

Es ist eine unumstößliche Wahrheit, dass sogar im Himmel auf schmeichlerische Behandlung Wert gelegt wird. Der Christ, dem daran liegt, sich in der ewigen Glorie beliebt zu machen, muss zunächst einmal mit größerem Enthusiasmus, als je im Theater, dem Gesang der Seraphine Beifall klatschen, und unter keinen Umständen darf er dem Heiligen Joseph begegnen, ohne ein paar vernehmliche Küsse auf das Lilien-Stäbchen zu drücken, das er in der Hand trägt. Vor jedem Heiligen muss er respektvoll die Knie beugen, wobei er den obligaten Satz ausspricht: ich küsse die Füße Ew. Gnaden.

Lima war — und ist noch heute — das höfisch-höflichste Zentrum der spanischen Welt. Doch wie ich die zitierte Stelle las, die sich weiterhin bis zur gebührenden Art, sich mit der Mutter Gottes und Gott dem Vater gegenüber zu benehmen, voranwagt, da musste ich an erster Stelle Portugals gedenken. Nirgends haben mich je auch nur annähernd so viel höfliche Phrasen umschwirrt; nirgends musste ich selbst, um nicht unartig zu erscheinen, auch nur annähernd so viele Superlative aussprechen. Selten war es möglich einen anderen, bei nur einigermaßen offizieller Gelegenheit, nicht Ew. Exzellenz zu titulieren.

Und das Superlativische in Portugal ist so ganz anderen Sinnes als das ihm äußerlich ähnliche in Italien. Dieses bedeutet zutiefst einen Ausdrucks-Ersatz des Leidenschaftlichen und dabei innerlich Armen; der Superlativ in Italien besteht an sich gleichsam, setzt keinen Komparativ noch Positiv voraus. Es ist dies ja der Zug, der den Italiener zutiefst vom Spanier unterscheidet und der bedingt, dass es dem Fremden beinahe unmöglich ist, beider Sprachen gleichzeitig gut zu sprechen: der Spanier ist gefühlswarm und -tief, der Italiener gefühlsdürftig und -oberflächlich. Portugal nun verkörpert die äußerste Differenzierung des emotionellen Reichtums des iberischen Menschen. Dem Gebrauch übertreibender Superlative steht der ebenso übertreibender Diminutive gegenüber, wobei der Sinn beider wiederum zwei- oder mehrdeutig ist; dies allein schafft eine überaus weite Skala. Dazwischen aber liegen alle nur möglichen Erlebnis- und Ausdrucksabarten, und dies zwar nicht nur in einer Tonleiter oder Dimension, wie beim Spanier, sondern in vielen. Trotzdem aber wirkt der Portugiese letztlich unnuanciert. Dies kommt daher, dass er stets der jeweiligen Stimmung restlos hingegeben ist, ohne relativierende Überlegenheit und ohne Humor; auch als Ironiker und Satiriker ist er nicht überlegen, sondern er lebt einseitig eine bestimmte Gemütslage aus, weshalb portugiesische Ironie typischerweise häßlich wirkt. Das Phänomen kompliziert sich noch durch zwei organische Widersprüche, an welchen unentwegte Logiker verzweifeln mögen: bei allem differenziertem Reichtum fehlt dem Portugiesen der Sinn für das Maß. Und trotz aller Hingegebenheit an den Augenblick wirkt er nie einfach, und im ersten Augenblick nur ausnahmsweise echt: der vorhandenen und spürbaren Hintergründe sind zu viel.

Schon nach der ersten Stunde intimeren Zusammenseins mit Portugiesen fühlte ich mich beunruhigt durch eine so noch nie gesehene Komplikation; und bald darauf befremdet durch ein letztes Disparate (im spanischen Sinn des Worts), das jede portugiesische Situation typischerweise als Gleichung kennzeichnet, die nicht aufgehen kann. Meiner Gewohnheit gemäß schaute ich nach einem konkreten Bilde aus, das in seiner Einmaligkeit doch das Allgemeingültige vollkommen typisiert. Bald fand ich es in der folgenden Überlieferung. Als der furchtbare Herzog von Alba im Jahre 1580 an der Spitze seines Heers, das damals das gewaltigste Europas war, in Portugal einbrach, ließ er seine Truppen vor einer Brücke halten. Darauf stand ein kleiner, höchst unbedeutend ausschauender Portugiese. Mit dem Hut in der Hand trat er auf Alba zu und bedeutete ihm höflich, um seinetwillen nicht stehenzubleiben: Passai, passai, que não vos farei mal (Geht nur ruhig vorwärts, ich tue Euch nichts Böses). Aus dieser sicher ernst- und echtgemeinten Geste sprach der Stolz oder vielmehr Hochmut des — Zwerges. — Eine ähnliche Spannung kennzeichnet alles spezifisch Portugiesische.

Hermann Keyserling
Das Spektrum Europas · 1928
Portugal
© 1998- Schule des Rades
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