Schule des Rades

Arnold Keyserling

Das magische Rad Zentralasiens

III. Yoga

Himmelsleiter

Gurdjieff sprach vom planetary body, nicht vom fleischlichen Körper. Die sieben Stufen der embryonalen Entwicklung bis zum Säugling bedeutet eine Organisation der Materie, die dem Mondrhythmus folgt. Nun ist durch das Oktavgesetz auch fraktal der Tag gleich dem Jahr. Um die Chakras planetarisch zu verstehen, müssen wir ihre Rhythmen als innerkörperliche Zeitabläufe betrachten.

  1. Muladharachakra wird durch den Mond mit seinen neunundzwanzig Tagen Umlauf bestimmt. Er erzeugt die Unterscheidung der zwölf Tierkreiszeichen oder Inbegriffspaare. So ist die Vision des Ostens, der Zeitgeist immer im Rahmen eines der Zeichen. Das Ausgehen von ihrer Gesamtheit ist die Voraussetzung des Empfindens: der Quintenzirkel, der Farbkreis, und das periodische System der Elemente in ihren drei Aggregatzuständen fest, flüssig und gasförmig, die durch die Körpersinne tasten, schmecken und riechen erfahrbar sind. Die Integration dieses Chakras bedeutet das Verständnis des Torus-Attraktors. Man darf keine Vorlieben als Gesetz betrachten, sondern muss bei jeder der Sinneserfahrungen immer das ganze Rad berücksichtigen.

    Aristoteles sprach von der sublunaren Sphäre, in der allein der Tod herrscht. Gelangt man nicht über den Mond hinaus, dann wird das Selbst bis zur Wiedergeburt im Traumzustand verharren, oder bei entsprechender Motivation gemäß der Lehre des Buddha in eine niedrigere Lebensform von Tier oder Pflanze zurückwechseln. Dies wird für das Bewusstsein als Hölle erlebt, wie der alchemistische Roman Der goldene Esel von Apuleius veranschaulicht.

    Der Mond ist im Osten; es gibt also nur Inspirationen in einem der zwölf Tierkreiszeichen, nicht in allen zugleich. Mond bedeutet die Geburt, die Rückbindung an das väterlich-mütterliche Erbe und daher die Motivation, die sich statisch als Trägheit auswirken kann, gleich einem Atom, das immer nach dem energetischen Grundzustand strebt.

  2. Swaddhistanachakra. Der Merkur ist im Westen. Hier ist es nicht der römische Planet, sondern der griechische Hermes Trismegistos, der imstande ist alle Bereiche der Materie in Makrokosmos, Mesokosmos und Mikrokosmos zu meistern. Während die Motivation des Muladhara von der Urkraft getragen wird, aber die Wünsche sich sinnlich äußern und auf Befriedigung von außen warten, ist Hermes-Merkur imstande durch Geschichtlichkeit im Denken sich die notwendigen Bedingungen zu schaffen. Die Weisheit des Merkur ist die Fähigkeit des Grenzzyklus-Attraktors, ein Gedächtnis zu bilden und darauf aufzubauen, also der Welt aus dem Wissen zu begegnen.

    Hermes war sowohl Gott der Kaufleute als auch der Diebe. Das gegebene Wirtschaftssystem, im Inbegriff Geist-empfinden, ist ein mögliches, man könnte immer auch anders verfahren. Auf der Welt ist es notwendig sich zum Überleben den Bedingungen anzupassen, wie im früheren Balkan die Annahme von Bestechung als Ergänzung des Gehalts auf das standesgemäße Niveau betrachtet wurde.

    Merkur ist im Hara, dem Bewegungszentrum. Das Leben des Menschen hat als praktische Grundlage die wirtschaftliche Selbständigkeit, die Fähigkeit der Vermögensbildung. Hara ist also nicht nur als körperliche Bewegungsmitte wichtig; wird es aber integriert, dann verliert der Betreffende seine Angst, er kann die Glieder frei bewegen.

    Westen bedeutet, dass die Entscheidung aus dem Streben nach Unabhängigkeit kommt, deren Ursachen im Mond und in der Inspiration liegen. Die Eigengesetzlichkeit des Merkur ist die Fähigkeit zu unterscheiden, zu wählen, zu vergleichen und ein Vermögen zu bilden. Jeder Schritt der Integration führt zu einem höheren Niveau im Tun.

    Merkur mit seinen achtundachtzig Tagen verselbständigt die Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die als Bedeutungseinheiten erlebt werden. Sie haben ihren Niederschlag in den Kasten gefunden, europäisch in den Ständen, wo für jeden Stand ein bestimmtes Verhalten, Gehalt oder Besitz und Kleidung vorgeschrieben war.

  3. Manipurachakra, die Stadt der Wünsche, hat als Planeten die Venus, die Schönheit und den Stil, die das Fühlen befrieden. Das Nabelchakra ist die körperliche Verbindung zur Mutter, zur Vergangenheit. Aber das Fühlen äußert sich auch im Verlieben, in der Sehnsucht nach geschlechtlicher Vereinigung im Zeichen der Venus.

    Die Umlaufszeit von zwei Drittel des Jahres weist auf den Ablauf der drei Kurven im Leben. Der Höhepunkt des körperlichen Zeiterlebens liegt bei achtundzwanzig Jahren und des seelischen bei zweiundvierzig. Das geistige Leben erreicht die Kulmination mit sechsundfünfzig Jahren, doch mündet es in eine menschheitliche Ebene.

    L e b e n s z y k l e n

    Alle drei Zyklen setzen bei der Geburt an. Wenn in der Erziehung die Qualitäten von Seele und Geist, bei den Ständen die ethischen Forderungen von Adel und Priester, Treue, Höflichkeit und Wahrhaftigkeit, Demut, Liebe und Frömmigkeit nicht angepeilt werden, wird der Erwachsene sie schwerlich später im Leben erreichen.

    Auch der Tag gliedert sich in drei Abschnitte: acht Stunden wache Arbeit, acht Stunden Geselligkeit und acht Stunden Schlaf, woraus die Wünsche für den nächsten Tag auftauchen.

    Venus ist Morgenstern oder Abendstern abwechselnd im Jahresrhythmus. So gibt es einerseits die Nachahmung des Stils, andererseits die Verwirklichung des Wesens in bestmöglicher Gebärde und Form. Der Mensch hat seinen Stil nicht nur in Körper, Haartracht und Kleidung. sondern auch im Wohnen, in der Lebensform, der Arbeit und gesellschaftlichen Stellung. Venus bestimmt das pflanzliche Wachstum, das zur vollen Gestalt tendiert.

    Das Fühlen ist die Fähigkeit des Fixpunkt-Attraktors der Energie, mit Anziehung, Abstoßung und Sattelpunkten. So kommt die Energie im Unterschied von Teilhabe des Muladharachakras an der Urkraft aus der Fähigkeit, Motivationen und Intentionen aufeinander abzustimmen.

  4. Das vierte Chakra des Nordens ist die Sonne. Anahata ist die Ruhe der Aufmerksamkeit. Durch den Mond werden die zwölf Tierkreiszeichen, Häuser, Inbegriffe oder Konstellationen unterschieden, in der Sonne, im Jahr werden sie zum räumlichen Bild des ganzen Lebens.

    Die Sonne ist weiß und schwarz, vereint Tag und Nacht. Das Wollen ist der seltsame Attraktor der Selbstorganisation, der allein Neues im Leben verwirklicht und das Chaos in den Kosmos verwandelt.

    Nur wer das Ganze kennt, kann strahlen und die Liebeskraft positiv einsetzen. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, lautet die christliche Botschaft. Sich selbst bezieht sich auf die unteren Chakras, die Nächsten auf die oberen. Das Herz ordnet den Kreislauf, nur das Jahr und der Tierkreis kann alle Rhythmen einbeziehen.

    Sämtliche Resonanzen außer den Quinten fallen nach kurzer Zeit wieder ins Chaos zurück. Nur das Verhältnis 3/2 schafft eine stabile Bahn. So weist die Sonne den Planeten im Tierkreis ihre Umläufe zu.

    Der astronomische Tag von 24 Stunden umfasst Tag und Nacht, Wachen und Traum, Leben und Tod. Im Tag geht die Sonne von Osten nach Westen und verschwindet, bei Nacht kehrt sie unter der Erde vom Westen nach Osten zurück. Im Jahr bewegt sie sich gegen den Uhrzeigersinn, wie der große Wagen in seinem Kreislauf um den Polarstern, bei Tag verläuft sie im Uhrzeigersinn, sie schafft die erfahrbare Zeit. In der Nacht kann man diese nur durch geometrisch astronomische Berechnung erkunden.

    In der Sonne kommt die Umkehr. Jakob Böhme nannte die drei unteren Chakras das Reich den Grimmes und die drei oberen das Reich der Freude. Das mittlere der Sonne war für ihn die Entscheidung entweder zum Feuer oder zum Licht, also zur Kraft oder zur Klärung.

    Astronomisch sind die Planeten der unteren Chakras unterhalb des Sonnenlaufe, die Planeten der oberen ab Mars oberhalb. Die drei ersten bestimmen die Kraft des Selbstes; mit dem fünften beginnt die Integration des Ich. Von nun an sind die Rhythmen länger als der Lauf der Sonne.

  5. Das fünfte Chakra der Reinheit und des Körpers, Vishuddha, hat den Planetenkreislauf des Mars mit zwei Jahren. Mars ist der Mut, das Bekenntnis zu einer Aufgabe, die über den Tod hinausreicht. Nur mit Hilfe dieses Chakras kann man den Tod eines anderen verschmerzen, weshalb auch im Islam die Trauerzeit zwei Jahre und die Entsühnung, bevor man wieder die Moschee betreten durfte, zwei Tage dauerte. So ist es das Chakra der Menschwerdung. Vishuddha ist auf der Fähigkeit des Tastsinnes, der Harmonisierung der Bewegungen gegründet. Darum sind die chinesisch-japanischen Kriegskünste hilfreich um das Chakra zu erwecken. Der Mensch sollte nicht emotional kämpfen, sondern nur siegen, siegen in dem Sinne, dass nicht die Kraft entscheidet, sondern die Einsicht, was für das gemeinsame Wohl sinnvoll wird.

    Durch den Mut wird das Sprechen befreit; so kann man auch Menschwerdung als Wortwerdung bezeichnen.

  6. Ajnachakra · Das sechste Chakra des Gehorsams hat den Kreislauf des Jupiter von zwölf Jahren. Für die chinesische Astrologie kennzeichnet dieser Rhythmus den Zusammenhang der Generationen, der im Südosten über die Erde zu den Ahnen führt. 12 × 7 = 84 — der Quintenzirkel mit seinen sieben Oktaven. Die Wesenswerdung kann diesen Rhythmus verwirklichen, wenn der Adept weiß, dass nach jedem Jahrzwölft — wobei das einzelne Jahr die Inbegriffe wiederholt — ein nächsthöheres Chakra in der Entwicklung erreicht werden soll.

    Jupiter, der größte Planet, war in allen Traditionen der Götterkönig. Man muss ihn integrieren im inneren Auge, um den geistigen Rhythmus in der seelischen Läuterung nie zu verlieren. Durch Jupiter, in den Ziffern die 1, wird die Integrität und Integration und damit der Sinn als zeitlicher und räumlicher Zusammenhang geschaffen. Dieser Sinn verlangt das Bekenntnis, nie mehr am einmal als richtig erkannten zu zweifeln. Der körperliche Sinn ist das Lesen, also das Deuten eines Ereignisses oder einer Handlung gemäß dem limbischen System als entwicklungsfördernd oder entwicklungswidrig. Glaube ist Voraussetzung des Überstiegs in die Transzendenz. Wer sein Leben nur aus den unteren Chakras führt, der kann die Klippe des Herzens nicht überwinden und sein Dasein geht dem Tode zu.

  7. Sahasrarachakra des Geistes wird durch den Saturnumlauf bestimmt, der die drei großen Lebensabschnitte von 29 Jahren trennt: den körperlichen bis 28-29 Jahren, den seelischen bis 58-60, da der Rhythmus mit dem Jupiterumlauf zusammentrifft, und der geistige nach 56 Jahren. Hier werden die Generationen zu Stufen der Wesenswerdung: der Schüler bis 28, die gesellschaftliche Bewährung bis 56 und die Sinneserfassung und das geistige Lehren bis zum Tod.

    Über dieses Chakra werden einem die Elementale des Südwestens zugänglich, die im Rad zur Tagseite gehören. Man muss sein Sehen verändern, die Wesen der Natur einbeziehen, um die Urkraft aus der Möglichkeit jenseits des Todes, aus der Traumwelt einzusetzen.

    Die drei letzten Planeten sind für das Auge nicht mehr sichtbar. Sie bestimmen das Dreieck im Enneagramm:

    • Uranus im Geist-denken Zwillinge,
    • Neptun in Seele-denken Waage,
    • Pluto im Körper-denken Wassermann.

    Sie stehen im Rad in genauer Opposition zu den Kraftpunkten:

    • Uranus im Gegensatz zu Ketu im Schützen, dem absteigenden Mondknoten, der auf das Zentrum der Milchstraße weist;
    • Neptun im Gegensatz zu Rahu, dem aufsteigenden Mondknoten im Widder, mit dem der astrologische Häuserkreis beginnt;
    • Pluto im Gegensatz zu Luzifer, dem Neutronenstern, der Licht nicht aussendet und reflektiert, sondern nur aufnimmt.
  8. Uranus entspricht dem Kreislauf des Lebens mit 84 Jahren. Er ist der Planet des Werdegangs, er hat sein Maß im Quintenzirkel mit seinen 84 Halbtönen. Nur auf Ketu, die Offenbarung der Milchstraße und der Neuen Erde gerichtet, kann der Lebenskreis in eine Spirale des Aufstiegs verwandelt werden. Der körperliche Schwerpunkt der Uranussphäre liegt in den Knien. Sein Feld ist die Kraftaura, die den Körper elektromagnetisch, erkennbar in einem Umkreis von wenigen Zentimetern umgibt, wie die Kirlianphotographie zeigt. Sie zeigt die Gesundheit des Menschen, die also an den dynamischen Sinn des geistigen Denkens gebunden ist.
  9. Neptunsphäre. Der Umlauf beträgt 165 Jahre. Dies bedeutet die Fähigkeit des Führens von anderen über die Lichtaura, die andere mitreißen kann. Wenn diese Aura im Ruhezustand kleiner ist als die Bewegungsfähigkeit des Menschen, wie sie der Tai Chi ausmisst, dann kann man sich sozial nicht auswirken. Sie mag über Rahu erweitert werden, um eine große Hörerschaft zu begeistern wie im Theater, bei einer politischen Versammlung oder einem Pop-Konzert. Körperlich ist diese Sphäre mit den Knöcheln in Zusammenhang.
  10. Plutosphäre. Sein Umlauf beträgt 254 Jahre. Er bestimmt das Höhere Selbst oder die Krone, ist nicht im Körper gegründet. Der Vision erscheint er als Werkzeug des Wortleibes. Der Mensch findet seine Unsterblichkeit nicht durch Verhalten, sondern durch Teilhabe an der göttlichen Kreativität in einem sprachlich artikulierten Gebiet. Die Unsterblichkeit ist historisch, indem etwas, also ein sachlicher Zusammenhang zur Brücke zur Neuen Erde, zur kosmischen Zivilisation wird.

    Das Höhere Selbst entscheidet über Leben und Tod. Spürt der Engel im Menschen, dass in dieser Inkarnation kein Durchbruch mehr möglich ist, so veranlasst er ihn zum Verlassen des Körpers und zur Rückkehr in die Tod- Traumwelt, um neuerlich, zum göttlichen Spiel durchzustoßen.

Der Yoga in all seinen Aspekten der Wesensentfaltung ermöglicht als Letztes das Verständnis des Zusammenhangs aller Wesenskomponenten in der Kaaba, dem Hyperkubus. Um die Materie zu begreifen, muss man das Zusammenwirken von Empfinden und Körper, Strahlung und Schwerkraft im Torus-Attraktor begreifen, als Vereinigung von Neptun und Saturn. Um die Energie mit dem punkthaften Attraktor anzujochen, muss man Fühlen und Geist, chemische Energie und dissipative Fissionsenergie erleben, in der Verbindung von Jupiter und Uranus. Um das Bewusstsein im Grenzzyklus-Attraktor zu klären, muss man den Elektromagnetismus auf die Fusionsenergie, das Denken auf die Seele abstimmen, also Sonne und Venus vereinen. Und um der Selbstorganisation teilhaftig zu werden zwischen Osten und Westen, muss man die gestaltgebende Schallenergie der Offenbarung der Zahlen, der starken Kräfte eingliedern, Gewahrsein und Wollen, Mond und Merkur verbinden.

Durch Erfassen der Eckpunkte des Hyperkubus kann man die Mitte ergreifen, die Senkrechte, Erde als Horoskop, Mars als Initiation und Pluto die Überwindung der Eigengesetzlichkeit der Assoziationen als Jivanmukti, als befreiter Mensch wirken. Die Kombinatorik dieses Wirkens werden die nächsten drei Kapitel erhellen.

G e s e t z t e

Arnold Keyserling
Das magische Rad Zentralasiens · 1993
Schlüssel der Urreligion
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD