Schule des Rades

Wilhelmine Keyserling

Mensch zwischen Himmel und Erde

V. Heilige Zeit

Das Nord-West Fest

N O R D - W E S T
15° Löwe
August — Ferienmonat. Die Arbeit ist abgeschlossen; man löst sich von den Gedanken, Pflichten, vom Stundenplan des Jahres. Zu dürfen, was wohltuend ist und Freude macht. Monat der Kinder, des Spiels, des magischen Kindes in jedem von uns. Spontaneität: Ansatz der Handlung ist die innere Leere im Herzen, die senkrecht die Beziehung zu Erde und Himmel, waagrecht zum Jetzt und Hier, zu Wetter, Umgebung und zur Wesensart und den Rhythmen aller Mitspieler eröffnet. Die innere Stille der Mitte, ob man sie in der Meditation, im Wandern oder Schwimmen wiederfindet, ist in erster Linie der Urgrund der eigenen Befriedung, wo man in sich ruhend, mit allem verbunden, ganz eigen wird, die Eigenarten ihren Platz um die leere Mitte und ihre Auswirkung aus dieser finden.

Im Auf-sich-bezogen-sein über das Nichts in mir werde ich zum Freund Gottes und zum Freund der Menschen. Keinem verpflichtet, nach niemandem gerichtet, kann ich auf die Eigenheit der Anderen eingehen. Die Selbständigkeit des Löwen ermöglicht die Gemeinsamkeit im Achterkreis. Und diese Gemeinsamkeit erfahren wir im Nordwesten über den Kraftstrom der Mächte des kosmischen Zusammenhalts im Urzeichen des Fühlens das hier Ergänzung und Übereinstimmung in Frieden und Freundschaft bedeutet.

Freundschaft gibt es nur unter Freien.
Potentiell sind wir Menschen Freie, —

Der Krieger wartet auf sein Wollen,
Der Krieger wartet auf seine Freiheit
, — (Don Juan),

wenn wir auch zeitlebens im Lassen und Bemühen, Verstehen und Warten nach dieser Freiheit streben. In der Acht des Raumkreises kommen wir vom Wollen ins Fühlen, das in der Neun, dem Empfinden — Empfinden, das Mitwirken am Werk ermöglicht. Die Richtung, in Bezug auf die Chakras geht der Erde zu. Wir werden Freunde Gottes im Dienst der Erde.

Mittwoch, 7. August 1985 · 16:04 MEZ
Wie können wir uns auf das Fest der Freunde Gottes im Uranusjahr 1985 einstimmen?

Das Fest ist eine Gelegenheit, sich selbst in Einklang mit allen Wesen zu erleben. Hier ist der Durchbruch zur ganzen Natur. Freund ist jener, der sich selbst annimmt und auch den anderen als Wesen fördert, so wie er ist, ohne ihn zu ändern und verbessern zu wollen. Alle Menschen sind gut, wenn sie sich nicht abkapseln. Verschieden zu sein und doch einander achten und gemeinsam auf die ungreifbaren Ziele hinwirken, das ist der Sinn des Festes.

Wie ist der praktische Einklang zu erreichen?
Indem ihr euch nicht verletzt und einander bejaht. Es ist wie bei Krankheiten – die sind immer absichtliches Leiden. Gebt die Leiden auf und ihr habt die Sinne in Fülle und Freude.

Sollen wir das Fest draußen oder im Meditationsraum feiern?
Im Meditationsraum. Erdheiligtum ist nur bei Wien. Es wird kein anderes geben. Stelle dir die Orte in Hintersdorf bei der Anrufung vor.

Sollen wir auf die Naturgeister eingehen?
Nein, es sei denn, du betrachtest Luzifer als den Willen, selber Licht zu werden. Das Fest ist ganz diesseitig auf das Können gerichtet, daher ist es auch Freude. Der Mythos Luzifer geht darüber hinaus.

Zum Schlossberg in Matrei am Brenner, wo wir die Ferien verbringen, habe ich eine ganz besondere Beziehung. Es ist der Ort, wo ich Kraft und Ruhe schöpfen und in Besinnung auf das Ganze und auf die Richtung des Tuns verwandeln kann. Manchen Besuchern geht es ähnlich; oft haben sich fruchtbare Gespräche ergeben, Wohlwollen und Wohlwirken im Kontakt vertieft.
Im Abenteuer der kleinen und großen Wanderungen vom Wunder der Natur ergriffen, dem Licht das die Felsen profiliert, die Täler zum Leuchten bringt, den klaren lebendigen Gewässern, die stürzend und rauschend die Stille des Waldes ergänzen, beginnen wir selbst zu ergreifen — mit den Augen und Händen, der Haut und den Füßen, die den heiligen Grund berühren, jeder Schritt ein liebender Dank an die Erde.

Das Schloss der Ahnen wurde im Krieg von Bomben zerstört; es war die Perle des Wipptals; nur ein Nebentrakt ist geblieben, in dessen Erdgeschoß der Bauer lebt, der die steilen Wiesen mäht und in den Mulden Kartoffel und Hafer erntet, und über ihm die Wohnung des Schlosskaplans, der inzwischen verstorben ist.
Diese Wohnung steht uns zur Verfügung. So sind wir jetzt die Priester der Erde — der Himmel braucht keine und unser Ahn ist der Alte vom Berge — Diener der Erde der in dir grünend sich erneuern will… Vielleicht auch in Dir? Er ist der Ahn aller jener, die dem Wesen der Erde verbunden und keiner persönlichen Geschichte verpflichtet sind.

Hier pflegen wir die Abgeschiedenheit, die Einkehr, die uns Erneuerung der Einstellung auf das Kommende bringt. Zeitweise teilen wir diese Einkehr mit unseren alten und jungen Freunden, die dann den Dachboden bewohnen und das Haus mit Heiterkeit erfüllen. Auch der kleine Simon mit seinen vier Jahren ist dabei, der uns im Umgang mit dem Kind so manches beibringt.

Zu verschiedenen Zeiten trafen die Gäste ein. Es gab kein Programm und keine vorgeplanten Weisungen. Wir wollten einfach zusammen leben und erleben, was allen gelang, die es verstanden, sich auch zurückzuziehen um sich selbst zu begegnen, die eigene innere Zufriedenheit zu finden, um wieder gemeinsam im Kochen, Geschirrwaschen, im Plaudern, Nichtstun und Wandern allen gegenüber offen zu sein. Es ist nicht immer leicht — auch für mich — die Wesensfreiheit in Gemeinsamkeit zu wahren, ja sogar zu fördern, zu erwecken, — nicht ändern und verbessern zu wollen. Oft verdecken die Eigenheiten des Anderen unseren Blick für sein Wesen; dann entstehen Kritik und Beleidigung.

Manchmal fanden wir uns vor dem Abendessen zu einer gemeinsamen Yogastunde ein, um wieder an dieser schweigenden Selbstverständlichkeit des Seins ansetzen zu können.

Nach dem Nachtmahl gab es oft etwas vorzulesen, was uns gerade beschäftigte; auch die Chassidischen Legenden von Martin Buber waren wieder darunter.
Zwei Tage vor 15° Löwe zeigte uns die Natur ihre Kraft. In einem nächtlichen Gewitter und darauf folgendem zarten Dauerregen schwollen die Bäche, rasten zu Tal, mit Stämmen und Steinen beladen. Muren gingen nieder. Die Glocken läuteten. Die Feuerwehrsirenen schrillten immer wieder. Dann wurde es still.

Am 7. August, nach 15:30 Uhr saßen wir im Meditationsraum im Kreis versammelt, dessen acht Richtungen, die uns mit dem unendlichen Raum verbinden, mit Kreide am Teppich eingezeichnet waren. Wir erwarteten mit aller Intensität und Offenheit den Zeitpunkt der Wende, der uns die Kraft verleihen sollte, Freunde Gottes zu werden. — Einführende Worte von Arnold in diesem Sinne, — ich sprach die Anrufung. —
Ein Zeitpunkt ist wirklich nichts; er ist das Nichts, das uns im Rahmen der zyklischen Zeit dem Kraftstrom der Mächte des Kosmischen Zusammenhalts, den Mächten des Bestehenden im Wandel, erschließt, — der Einklang aller Wesen ermöglicht. Wir erlebten diese Kraft der Befriedung, und ich hoffe ihrer bewusst zu bleiben, auf dass sie sich durch mich weiterhin auswirke.
Unser Zusammensein, — beim Fest waren wir dreiundzwanzig, —war in den zwölf Tagen, von den ersten Ankünften zu den letzten Abreisen, so harmonisch und mühelos, wie ich es selten erlebt hatte.

Nach dem Ritus gab es eine Jause. Dann ging jeder seines Weges, spazieren oder lesen. Nach dem Abendessen flüsterte mir Heinz zu, es sei der Tag des Absurden. Mir war klar, dass jetzt keine Vorlesung stattfinden konnte. So holte ich Deckel, Klöppel, klingende Dinge aus der Küche; Arnold hatte eine Trommel; Rhythmen und Tänze entstanden, die das Eigenartige und Absurde befreiend, in gemeinsamer Freude und Begegnung münden ließen. In der Wassermannzeit prägt der Löwe die neue Gesellschaftsform, Gemeinschaft mit Menschen im Freien, die ihren Ausdruck im Tanz, in der Feier der Urgründe der Natur findet, ihre Kraft aus der heiligen Spontaneität schöpft, die Erde und All verbindet.

Wilhelmine Keyserling
Mensch zwischen Himmel und Erde · 1985
V. Heilige Zeit
© 1998- Schule des Rades
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