Schule des Rades

Richard Wilhelm

I Ging · Das Buch der Wandlungen

Drittes Buch: Die Kommentare — Erste Abteilung

I D E O G R A M M

28. Da Go - Des Großen Übergewicht

Kernzeichen:Kiën und Kiën
Die Herren des Zeichens sind die Neun auf zweitem Platz und die Neun auf viertem Platz. Die Neun auf zweitem Platz ist fest und zentral und nicht im Übergewicht. Die Neun auf viertem Platz ist ein Balken, der sich nicht durchbiegt.
Die Reihenfolge
Ohne Ernährung kann man sich nicht bewegen, darum folgt darauf das Zeichen: des Großen Übergewicht.
Nähren, ohne zu gebrauchen, das ruft schließlich Bewegung hervor. Bewegung ohne Ende führt schließlich zu weit, zum Übergewicht.
Vermischte Zeichen
Des Großen Übergewicht ist der Gipfel.
Der Gipfel bezieht sich auf das Bild des Firstbalkens, von dem im Urteil die Rede ist. Das Zeichen zeigt in seinem Innern eine große Kraft. Die beiden Kernzeichen sind Kiën, dessen Eigenschaft die Stärke ist. Aber nach unten zu ist es das sanfte, zwar eindringende, aber luftige Sun, oben das heitere Dui, das einen See darstellt. So sind die Außenenden der starken Struktur des Innern nicht gewachsen: daher das Große im Übergewicht.
Das Zeichen ist das Gegenstück des vorigen.
Beigefügte Urteile
Im Altertum bestattete man die Toten, indem man sie dicht mit Reisig bedeckte und mitten auf dem Land beisetzte ohne Grabhügel und Baumpflanzungen. Die Trauerzeit hatte keine bestimmte Dauer. Die Heiligen späterer Zeit führten statt dessen Särge und Sarkophage ein. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: des Großen Übergewicht.
Das Zeichen stellt Holz dar, das eingedrungen ist bis unterhalb des Grundwassers. Damit ist der Sarg gezeichnet. Eine andere Erklärung geht davon aus, dass durch die beiden Yinstriche oben und unten die Erde und Bäume des Begräbnisplatzes dargestellt werden, während die Yangstriche dazwischen den Sarg andeuten. Wenn so die Verstorbenen wohlversorgt sind, gehen sie in die Erde hinein (Sun) und sind fröhlich (Dui). Das Zeichen ist auch insofern das Gegenstück des vorigen, als jenes die Ernährung der Lebenden, dieses die Versorgung der Toten zeigt.
Das Urteil
Des Großen Übergewicht. Der Firstbalken biegt sich durch.
Fördernd ist es, zu haben, wohin man gehe. Gelingen.
Kommentar zur Entscheidung
Des Großen Übergewicht: das Große ist im Übergewicht. Der Firstbalken biegt sich durch, weil Anfang und Ende schwach sind.
Das Feste ist im Übergewicht und zentral. Sanft und heiter im Handeln. Da ist es fördernd, zu haben, wohin man gehe, dann hat man Gelingen.
Groß wahrlich ist die Zeit des Übergewichts des Großen.
Der Name wird aus der Gestalt erklärt. Das Große, d. h. das Yangelement, ist mit vier Strichen zu den zwei Yinstrichen in der Überzahl. Das würde an sich noch kein Übergewicht bedeuten. Allein das Große ist innen, während es nach außen gehörte. So ist das Kleine im Übergewicht (vgl. Nr. 62), wenn es außen in der Überzahl ist, weil es an sich nach innen gehörte. Als Großes im Übergewicht legt das Zeichen das Bild des Firstbalkens, des oberen Balkens eines Hauses, auf dem das ganze Dach ruht, nahe. Da Anfang und Ende schwach sind, so entsteht die Gefahr des zu starken inneren Gewichts und infolge davon des Durchbiegens.
Trotz dieser außerordentlichen Situation ist Handeln wichtig. Wenn die Last ruhte, so würde Unheil entstehen. Durch Bewegung aber kommt man aus dem abnormen Zustand heraus, zumal, da der Herr des unteren Zeichens zentral und stark ist. Ebenso geben die Eigenschaften der Zeichen Heiterkeit und Sanftheit die rechte Art für erfolgreiches Handeln an.
Das Bild
Der See geht über die Bäume weg:
das Bild des Übergewichts im Großen.
So ist der Edle, wenn er allein steht, unbesorgt,
und wenn er auf die Welt verzichten muss, unverzagt.
Das Alleinstehen und der Verzicht auf die Welt ist durch die Situation des Gesamtzeichens gegeben. Das unbesorgte Alleinstehen ist durch das Bild von Sun, der Baum, nahegelegt, die Unverzagtheit durch die Eigenschaft von Dui, die Heiterkeit.

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:
  1. Unterlegen mit weißem Schilfgras.
    Kein Makel.
  2. Unterlegen mit weißem Schilfgras: das Weiche ist unten.

Der weiche Strich unterhalb des starken Herrn des Zeichens, Neun auf zweitem Platz, zeigt das vorsichtige Aufnehmen der Last an.
Kungtse sagt folgendes über diese Linie: Wenn man etwas nur einfach auf den Boden stellt, so geht es ja auch. Aber wenn man es mit weißem Schilfgras unterlegt, was für ein Fehler könnte dabei sein? Das ist das äußerste der Vorsicht. Das Schilfgras ist an sich ein wertloses Ding, aber es kann von sehr wichtiger Wirkung sein. Wenn man so vorsichtig ist in allem, was man tut, bleibt man frei von Fehlern.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:
  1. Ein trockener Pappelbaum treibt einen Wurzelspross.
    Ein älterer Mann bekommt eine junge Frau.
    Alles ist fördernd.
  2. Ein älterer Mann bekommt eine junge Frau:
    das Außerordentliche besteht in ihrem gegenseitigen Zusammenkommen.

Das Zeichen Holz steht unten am Zeichen Wasser, daher das Bild der Pappel, die am Wasser wächst. Der Herr des Zeichens, Neun auf zweitem Platz, steht in der Beziehung des Zusammenhaltens zu der Anfangssechs. Das gibt einerseits das Bild des Wurzelsprosses, der von unten nachwächst und so den Lebensprozess erneuert, andererseits das Bild eines älteren Mannes (Neun auf zweitem Platz), der ein junges Mädchen zur Frau bekommt (Anfangssechs). Obwohl es sich dabei um etwas Außergewöhnliches handelt, ist doch alles fördernd.

Neun auf drittem Platz bedeutet:
  1. Der Firstbalken biegt sich durch. Unheil.
  2. Das Unheil des Durchbiegens des Firstbalkens kommt daher, dass er keine Unterstützung findet.

Der dritte und der vierte Strich inmitten des Zeichens stellen den Firstbalken dar. Die Neun auf drittem Platz ist fest auf festem Platz, das gibt für eine Zeit des Außergewöhnlichen zuviel Festigkeit, darum droht das Unheil des Durchbiegens. Denn durch Eigensinn verbaut man sich die Möglichkeit der Unterstützung.

Neun auf viertem Platz bedeutet:
  1. Der Firstbalken wird gestützt. Heil.
    Sind Hintergedanken da, ist es beschämend.
  2. Das Heil des gestützten Firstbalkens besteht darin, dass er nicht nach unten durchbiegt.

Der Strich ist besser dran als der letzte. Er biegt nicht nach unten durch. Während Neun auf drittem Platz zu stark und unruhig ist, ist die Festigkeit der Neun auf viertem Platz durch die Weichheit des Platzes gemildert. Während Neun auf drittem Platz als oberster Strich des unten offenen, d. h. schwachen Zeichens Sun der Gefahr des Durchbiegens ausgesetzt ist, ruht die Neun auf viertem Platz auf dem Grunde des oben offenen Zeichens Dui; daher seine Sicherheit. Die Hintergedanken werden dadurch angedeutet, dass zur Anfangssechs die Beziehung des Entsprechens besteht, aus der aber hier keine Konsequenzen gezogen werden dürfen, weil für den Strich in erster Linie seine Stellung als Minister zu dem Herrscher auf fünftem Platz in Betracht kommt.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:
  1. Eine dürre Pappel treibt Blüten.
    Ein älteres Weib bekommt einen Mann.
    Kein Makel. Kein Lob.
  2. Eine dürre Pappel treibt Blüten. Wie könnte das lange dauern!
    Ein älteres Weib bekommt einen Mann.
    Eine Schande ist es aber doch!

Dieser Strich steht im Gegensatz zu Neun auf zweitem Platz. Dort ein älterer Mann, der ein Mädchen bekommt, hier ein älteres Weib, das einen Mann bekommt. Dort bekommt die Pappel einen Wurzelspross, hier bekommt sie Blüten. Dort war die Beziehung des Entsprechens nach unten zu, daher Wurzelspross, hier ist sie nach oben hin, daher Blüte. Dort war die starke Neun auf zweitem Platz der Mann, der das junge Mädchen (Anfangssechs) bekam. Hier ist wohl die obere Sechs die alte Frau, die Neun auf fünftem Platz als Mann bekommt.

Oben eine Sechs bedeutet:
  1. Man muss durchs Wasser.
    Es geht über den Scheitel.
    Unheil. Kein Makel.
  2. Das Unheil des Durchschreitens des Wassers darf man nicht tadeln.

Das obere Zeichen Dui ist ein See, daher das Wasser. Das Kernzeichen ist Kiën, der Kopf. Das obere Kernzeichen endet bei Neun auf fünftem Platz, die obere Sechs zeigt also das Wasser oberhalb des Kopfes. Da es in der Zeit begründet ist und der Wille gut ist, so darf auch das Unheil nicht getadelt werden.
Dieses Orakel. Unheil. Kein Makel gehört zum Höchsten, was sich an Überwindung des Schicksals denken lässt.

Anmerkung:
Ähnlich wie bei den Zeichen I, Dschung Fu, Siau Go gilt in dem Zeichen Da Go nicht die Beziehung des Entsprechens, sondern die oberen und unteren Striche stehen – von der Mitte an gerechnet – zueinander im Gegensatz. So sind der dritte und der vierte Strich das Bild des Firstbalkens, der dritte fest auf festem Platz – hat Unglück: der Dachbalken biegt durch; der vierte – fest auf weichem Platz – hat Glück: der Dachbalken wird gestützt. Der zweite und der fünfte sind beides alte Pappelbäume; der zweite – fest auf weichem Platz – hat Glück: treibt einen Wurzelspross; der fünfte – fest auf festem Platz – hat Unglück: beginnt zu blühen, um dadurch seine letzte Kraft aufzuzehren. Der unterste – weich auf festem Platz – hat Glück durch große Vorsicht, der oberste – weich auf weichem Platz – hat Unglück durch Mut und Durchsetzenwollen. Alle Striche, die auf dem ihrer Natur entgegengesetzten Platz stehen, haben Glück, weil Platz und Natur einander ergänzen. Alle Striche, die auf dem ihrer Natur gleichsinnigen Platz stehen, haben Unglück, weil dadurch das Übergewicht erzeugt wird.