Schule des Rades

Wilhelmine Keyserling

Anlage als Weg

II. Der Tierkreis

Das Körperkreuz

K ö r p e r k r e u z
KÖRPER-empfinden S T I E R Stier

Was vermittelt uns das Empfinden als Realitätsfunktion, die Wahrnehmung im körperlichen Bereich? Die körperliche Wirklichkeit; die Welt wie sie ist, in ihrem Materieaspekt, in ihrer Stofflichkeit. Alles, was in seiner Form und Gestalt verharrt, was greifbar, sichtbar, vernehmbar ist; Mensch, Tier, Pflanze, Gestein in ihrer Körperlichkeit — körperliche Schönheit — aber auch Unform, Übermaß, Übergewicht, Schwere und Trägheit des Materiellen, der Materie (Freude oder Entsetzen darüber gehören ins Gegenzeichen des Körper-fühlens). Den Kontakt zur Erde und zu Körperlichem aller Art als materielle Basis; die Welt der Dinge als solche und als Besitz; alles, was man körperlich haben kann: ein Schuh als Besitz oder Gestaltung gehört in dieses Gebiet. Die Arbeit in der Schuhfabrik, am vorgestellten Schuh oder seine Funktion als Ware im Umsatz gehören zu Geist-empfinden, Jungfrau.

Während der Krebs die Fruchtbarkeit — Krebsmenschen haben oft zahlreiche Kinder — den Wachstumsvorgang durch Pflege und Ernährung beinhaltet, kennzeichnet der Stier das Gewachsene, Geborene, die Frucht oder den Baum als Bestehendes. Der I Ging bezeichnet dieses Gebiet als Das Schöpferische das wir aber in seinem weiblichen Aspekt als materialisieren und gestalten erfahren. So ist in Indien, dem Stierland (die Erdkugel ist in Entsprechung zum Tierkreis geographisch gegliedert) die Kuh geheiligt.

Der Reichtum der Gestaltungsfähigkeit der Natur wie auch der Menschen ist überwältigend. Der Bildhauer verkörpert am eindeutigsten den Stiermenschen, der die Dinge nicht in ihrer Funktion versteht, sondern in ihrer Gestalt sichtbar macht. Beim kreativen Menschen setzt man voraus, dass seine Gestaltung einzigartig sei wie die der Natur; keine Blume, kein Stein gleicht dem anderen vollständig. Zwischen Keim (Körper-fühlen) und lebendiger Form ist das Unfassbare, das niemals gänzlich vorauszusehen, zu steuern ist: das Geheimnis des Lebens. Es heißt, die Frau schenkt dem Mann ein Kind. So bleibt die Vielfalt des Lebens ein Geschenk der Natur.

Das Bestehende birgt in sich den Keim des Vergehens. Dem Materieaspekt gegenüber steht der Energieaspekt des Lebens: Tod und Erneuerung — Tod als dunkler Born der Fülle. Wenn der Energieaspekt überwiegt, wird die Materie zerstörend: der ruhende Berg wird im Steinschlag, im Erdrutsch vernichtend, der glitzernde Schnee als Lawine verheerend, der bedächtige Stier im Zorn ein gefährlicher Gegner. So finden wir im Gegenzeichen der Ruhe den Ursprung der Kraft.

KÖRPER-fühlen S K O R P I O N Skorpion

Fühlen ist Sehnsucht: Wunsch — Erfüllung, Begehren — Sättigung, verbinden — trennen, lieben — hassen.

Im körperlichen Bereich äußert sich die Triebkraft des Fühlens in ursprünglicher Weise, wie sie sich am eindeutigsten in der Tierwelt verkörpert. Wünsche, Begehren als männliche Initiative bilden den Anfang der Erneuerung des Lebens. Die körperliche Vereinigung in der Liebe hat ihr Gegenbild im Kampf, im Zerstören und Verletzen des Körpers, im Tod.

Aber auch der Nahrungstrieb — nicht im Sinne der Ernährung als Stoffwechsel sondern als Einverleiben und Ausscheiden, als Konsumation — hat hier seinen Ursprung: der Apfel wird verzehrt, in verfügbare Energie verwandelt. Bei der fleischlichen Nahrung kommt klar zum Ausdruck, dass ein Lebewesen stirbt, um anderen Lebenskraft zu vermitteln. So gehören Jäger und Krieger in dieses Gebiet, jene, die sich körperlichen Gefahren aussetzen, die im Grenzgebiet zwischen Leben und Tod wirken; auch solche, die Insekten bekämpfen, Schädlinge vernichten, um Leben zu erhalten; die Häuser niederreißen, auf das andere entstehen können, die Urwälder roden, Unkraut jäten, Abfälle beseitigen. Auch die Chirurgie, das Reißen von Zähnen sind Eingriffe, die zerstören, abtrennen, um Leben zu erhalten.

Der Gegensatz zum körperlich Bestehenden drückt sich einerseits in der Stimulanz zur Konsumation, dem sexuell anreizenden, Pornographie, dem Eroberungstrieb aus, aber auch in der Entsagung, der Enthaftung, die eine Reinigung, Entfernung von Ballast darstellt, im Wunsch, größere subtilere Energien freizulegen: ein Lassen, um zu bekommen. Verlieren und erben, entfernen und entfesseln, Spannung und Entladung stehen in enger Beziehung. Kraftentfaltung oder Lähmung, Erschlaffung (vom menschlichen Organismus gesehen: die Muskelkraft), Mut und Angst fallen in dieses Gebiet.

Körper-fühlen ist Energie als Spannkraft, die zum Einsatz, zur Initiative führt. Während der Stier Reichtum und Anreicherung bringt, sind Beschränkung auf das Notwendige, Initiative in Notlagen, Not als Ansporn, aber auch die Todessehnsucht, der Hang zur Katastrophe, zur Selbstzerstörung Auswirkungen des Skorpions.

In der Zuordnung der zyklischen Hexagramme des I Ging steht hier das Empfangende. Die Stute ist das Sinnbild, die Erde als empfangende Hingebung die Einstellung. Das Schöpferische kann nur durch das Empfangende wirksam werden.

Das achte Tierkreiszeichen ist der geheimnisvolle Ort, wo Yin in Yang, wo Energie in Masse umschlägt, wo durch Leere der Keim empfangen wird.

KÖRPER-wollen L Ö W E Löwe

Wollen ist die potentielle, in sich schwingende Kraft. Sie entspringt der einenden Mitte und erfasst in ihrer Einstellung wie der Scheinwerferkegel das Objekt als Ganzes; intuitiv oder spontan, ohne in Beziehung zu setzen wie das Denken oder zu verbinden wie das Fühlen. So stellt sie, auf den Körper gerichtet, diesen als Ursprung und Ziel heraus, erfasst die körperliche Gegebenheiten in Hinsicht auf ihre Gesamtwirkung.

Der Löwe ist zufrieden mit seiner Rolle im Tierreich. Ein unzufriedener Löwe ist undenkbar (außer vielleicht im Käfig) aber auch eine Maus hat ihre bestimmten Fähigkeiten, ihre Rolle in der Natur. So kann auch jeder Mensch seine Rolle erfüllen, wenn er seine Anlage bejaht, die dem Genom entspringt, die sowohl seine Körperlichkeit als auch seine Wahrnehmungsfähigkeit, seine besondere Denkweise, Gefühlsbegabung, geistige Struktur und seelische Tragfähigkeit einschließt — und dies als Material versteht, als Instrument, auf dem er seine Lebensmelodie spielt.

Körper-wollen ist der dynamische Aspekt der Körperlichkeit: Vermögen, Potenz in jeglicher Bedeutung. Es ist das Erwecken der Begabung, daher auch Erziehung und Einstellung zu Kindern; Meisterung der eigenen Anlage, eines Instruments, eines Handwerks, Meisterung als Kunstausübung; ferner Übung, jegliches Spiel, Spiel eines Instruments, Schauspiel, wo der Körper selbst der Darstellung dient und Lebensspiel.

Immer ist die Auswirkung der körperlichen Gegebenheiten und Begabungen als Ganzes auf die leere Mitte bezogen, die unbewusst und bewusst vereint: sie ist ein Durchwirkenlassen.

Wer wirkt? Der Künstler weiß, dass ES manchmal durch ihn wirkt. Die Meister früherer Zeiten nannten es Fortuna, Glück. Die Teilnahme an diesem Glück über Meisterung, Spiel, Yoga, Theater, Musikausübung, in denen der Körper zum Ausdrucksmittel, zum Gefährt des Bewusstseins wird, verleiht Intensität, Lebensfreude. Lernen und Arbeit gehören in andere Gebiete; hier geht es darum, in der Zuwendung und Offenheit des Wollens diese Ganzheit zu erfahren, die ein Glück ist, das keinen direkten Gegensatz kennt außer vielleicht der Stockung, die im I Ging die Unfähigkeit symbolisiert, die Anlage zu verwirklichen.

Wer seine Anlage bejaht, schöpft aus dem Vollen, selbst wenn der Körper harte Beschränkungen auferlegt. Andrerseits kann das akzeptieren der Gegebenheiten an sich zu einer Selbstzufriedenheit führen, die nicht der Strahlkraft des inneren Wesens entspringt, welche allein die echte Gelassenheit und Selbstverständlichkeit dieses Zeichens vermittelt, und die jedes körperliche in seiner Auswirkung bestätigt.

KÖRPER-denken W A S S E R M A N N Wassermann

Die Funktion des Denkens spielt sich auf der Fläche ab, wo zweierlei in Beziehung gesetzt ein Drittes, ein Neues ergeben: in der Division, die jenes Dritte in zwei Urteile zerlegt; 12 : 4 = 3. So ist alles Denken auf der Gleichung begründet. Wenn es sich in diesem Zeichen verkörpert, wird es zum Erfinden eines Zusammenhangs von Ding und Vorgang; also das Ersinnen von Werkzeugen, Geräten, Maschinen, Computern. Dies ist die Welt der Technik, und alle Technik bedeutet eine Erweiterung der menschlichen Organmechanik, die selbst die Eigenschaften der Tier, Pflanzen-, Mineralwelt umfassen möchten.

Synthetisch bedeutet Körper-denken planen und konstruieren, das Schaffen neuer Denkzusammenhänge (im Unterschied zum Koordinieren im Staat, das an Person und Gegebenheit ansetzt).

Analytisch ist es das Aufschlüsseln von Zusammenhängen, wie es das Rad, der I Ging, die Astrologie, das periodische System der chemischen Elemente und die Grammatik einer Sprache ermöglichen.

Es ist das systematische, konkrete Denken, das eine Blindenschrift erfindet, das die Übersicht eines Fahrplans versteht oder schafft, eine Gesamtkomposition erfasst, und damit auch Regie führen, Kongresse entwerfen und mittels eines Schemas steuern kann.

Dieses Denken ist sowohl aufhellend, klärend, Zukunftsperspektiven schaffend an weltweiter menschlicher Verwirklichung interessiert, als auch der Ordnung und Übersicht der Vergangenheit, der Zusammenfassung kultureller Werte als Werk fähig. Die Auffassung des Menschen als Mitgestalter der Kultur kann den großen Geistern der Vergangenheit wie den Zeitgenossen neidlos Anerkennung und Ruhm zollen. Im Buch der Wandlungen ist dem Wassermann das Zeichen des Friedens zugeordnet.

Körper-denken versteht den Menschen als einen, der einen Beitrag an der Welt als Werk leistet. Es sieht dieses als Notablen und als Freund, im Sinne der Beziehung zwischen Meistern.

Wenn wir im Löwen den Pianisten in seiner Ausübung sehen, so können wir das Klavier als Denkprodukt des Wassermann verstehen, sowie die Partitur, die er spielt.

Daher müsste in unserer Zeit die Technik zum Freund des Menschen werden, zum Gerät, das ihn entlastet und befähigt, in spontaner Entscheidung seine Intuition spielen zu lassen, seine Anlage aus der Wesensmitte zu verwirklichen (Löwe).

Das Finden der eigenen Möglichkeit und das sich-Verlieren in der Vielfalt denkerischer Ansätze, der Hauptgegensatz unserer Epoche, kann nur durch eine systemische Übersicht überbrückt werden, die alle Urgründe als Klaviatur umfasst, auf dass der einzelne auf dieser frei seine eigene Lebensmelodie spiele.

Körperkreuz
Wilhelmine Keyserling
Anlage als Weg · 1988
Theorie und Methodik der Astrologie der Wassermannzeit
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD