Schule des Rades
Wilhelmine Keyserling
Anlage als Weg
VIII. Die Planeten im Enneagramm
Der Jupiterimpuls, die Fähigkeit, aus einer überpersönlichen Schau zusammenfügend zu wirken, wird fruchtbar, wenn er sich auf die persönlichen Wünsche der Menschen, ihre Motivationen bezieht, die den unsichtbaren Wurzeln der Seele entspringen, auf den Mond.
Der Krebs ist die Pflanzstätte der Seele, deren Wurzeln im Dunkel liegen. Er ist der Ort der persönlichen Vertraulichkeit (oder des Misstrauens) und des Wohlseins: die Brüste und der Magen der Welt, Ernährung spendend und aufnehmend in intimer Geborgenheit. Er ist das Zeichen der Psychologen, die dem Wunsch zum erkennenden Leben nachkommen, indem sie die unbekömmlichen Familienverhältnisse der Vergangenheit entgiften.
Der Mond bewirkt das persönliche Verhältnis des Menschen, sei es zur Arbeit, Religion, zu Farben, Menschen, Pflanzen… Wenn man sagt, jemand habe eine Bildung in künstlerischen Belangen, aber kein Verhältnis zur Kunst, dann fehlt ihm das Mondhafte, die Affinität, die ein Gebiet zum lebendigen Anliegen macht. Wer ein Verhältnis zu Ideen, zu Dingen oder Menschen hat, kann sich einfühlen, hat die Phantasie, die Einblick gewährt, aber auch der Einbildung unterliegt — Proportionen erkennt und verkennt. Der Mond ist es, der aus einer Mücke einen Elefanten macht, das Blaue vom Himmel herunterschwätzt. Der Mond ist die strömende Einbildungskraft, die Objekte der Wirklichkeit in einem subjektiven Verhältnis erscheinen lässt. Wir kennen sie aus der Traumwelt, in der wir auf Dächern spazieren gehen, unter Wasser Kristallschlösser finden, auf der Kärntnerstraße von reißenden Wölfen verfolgt werden. Unsinnig oder tiefsinnig ist dieser Bilderstrom der Seele, des Fühlens, der angstvoll oder wundersam märchenhaft verknüpfend Wunschtraum oder Alptraum vorspiegelt. Können wir die Träume lenken, beeinflussen? Wer kann es?
Träume die Träume die du erfüllst
Träume dir Mut
Träume dich gut.
Erleben wir das Geheimnis des Wachstums, indem wir ewig jung und uralt, am Stamm des Gewesenen neue Triebe ansetzen und die Wurzeln vertiefen, oder erwarten wir zur Winterszeit Birnen am Apfelbaum?
Der Mond erzeugt dies Ungreifbare, das wir Atmosphäre und Stimmung nennen, aber auch die Verstimmung, Kränkung, die Verletzbarkeit, die der Vorstellung entspringt, die eingebildete Dramatik. Irreal, lunatisch, verrückt, wahnsinnig ist, wer sich mit der Einbildungskraft identifiziert, wer sich im Strom der Vorstellungen verliert, nicht Zeuge des Traumhaften bleiben kann.
Und doch schätzen wir das Phantasievolle, das uns an einem Roman, Film, Kunstwerk berührt; wie langweilig wäre das Leben ohne Phantasie! Die Mondkraft beleuchtet, was uns nahe steht, nahe geht, erahnt die Neigungen, schafft Zuneigung, Abneigung: Der eine sehnt sich nach Weite, der andere nach intimer Geborgenheit; nicht jedem ist das Badezimmer oder der Spinat, Mozart oder Kant ein Bedürfnis.
Der Mond deutet. Wenn wir gemeinsam einen Sonnenuntergang erleben, so wird mancher das Abendrot mit der Morgenröte des kommenden Tages verbinden, ein anderer mit friedlicher Einkehr oder blutigem Tod am Schlachtfeld.
Die Sonnenkraft, in den meisten Sprachen männlich, ist lebensspendend; die Mondkraft, meist weiblich, lebenserfüllendes Wachstum der Erde. Sie ist das schwesterlich, mütterliche Prinzip der einfühlenden Wunscherfüllung, die Zufriedenheit schafft und auf Zufriedenheit beruht (oder gerade das Gegenteil bewirkt). Wer in der Wunschkraft lebt, lebt in der Erfüllung; wird der dauernden Erfüllung gewahr. Es ist jener, der die Mondkraft integriert hat, wessen Tagträume kein Unerfüllbares ersehnen, wer sich von der Mondkraft tragen lässt wie ein Schwimmer, der Spaß daran hat, vom Wellenberg ins Wellental zu gleiten, um wieder emporgetragen zu werden, dem Rhythmus der Abnahme und Zunahme ohne Panik zu folgen. Aber nur die reine Seele, bar aller Ichvorstellungen, kann als Königin der Meere, als Fürsprecherin auf der Mondsichel stehen, kann sich von der Einbildungskraft tragen lassen, die den Keim der Verwirklichung birgt, der sich über den Impuls 2, die Venus, verkörpert.
Ich habe die Wirklichkeit als Schein geschaffen, der in sich den Born der Verwirklichung trägt, wenn die Aufmerksamkeit dauernd auf das Wunder, auf das noch nicht Bekannte gerichtet bleibt.
Freund im All