Schule des Rades

Arnold und Wilhelmine Keyserling

Magie der Chakras

I. Sich der Kraft hinzugeben, um zu tun

Hier geht es also um eine Kraft, die wir nicht haben können, sondern an der wir teilhaben, wenn wir uns hingeben.
Was ist Kraft?
Oft finden wir die Schlange als Symbol des Kraftstromes. In unserer Schöpfungsgeschichte ist sie die Verführung, haben zu wollen.
In der indischen Symbolik ruht die dreieinhalbmal geringelte Schlange im Muladhara, bereit durch die Wirbelsäule aufzusteigen — bei den Pharaonen ist ihr Kopf in der Höhe des Stirnauges zu sehen, bei manchen Abbildungen des Buddha ragt er über dessen Haupt hinaus, und nimmt den Platz des zehnten Chakras ein, der griechische Schlangengott Äskulap ist Heiler und Heiland, der dem Menschen im Tiefschlaf zeigt, wie er die Kraft findet.

Ja, was ist Kraft?
Wir kennen die Kraft einen Kasten aufzuheben, die Kraft des Wasserfalls, der Lawine, der Explosion, des elektrischen Stromes: die Kraft etwas zu bewegen. Wirkt sie immer zentrifugal?
Und was ist seelische Kraft? Sicher ist viel darüber geschrieben worden, aber was fällt mir ein, wenn ich versuche sie zu erinnern? Ich habe sie erlebt, in den Augenblicken der Dankbarkeit, dass ich bin, dass ES ist. Diese beiden sind nicht zu trennen: wenn ich weiß, dass ich bin, weiß ich gleichzeitig, dass ES ist, das Unerschöpfliche, das sich in Leben äußert. Leben ist da-Sein im Vergehn. Ich bin das Bestehende im Wandel, die ungreifbare Mitte des sich Drehenden. Bei manchen Menschen spüren wir eine seelische Ausstrahlung; entspringt sie dem Wesenskern der Seele, den manche Selbst oder Sein nennen? Ist diese einende Kraft der Mitte, Atman, wesensgleich Dir Einender Einer, Brahman — ist sie das Fünklein vom unsichtbaren Licht?

Wenn wir aber von einer mitfühlenden starken Seele sprechen, meinen wir die Person mit ihrem ganzen Drum und Dran, ihrem Charakter, ihren Begabungen und Schwächen einschließlich ihrer körperlichen Eigenart und geistigen Reichweite. Oft sagen wir einfach, er oder sie sei wirklich ein Mensch.

Wie äußert sich diese Seelenkraft in der Person? Ich würde sagen, in der Fähigkeit der Anteilnahme, das heißt, auf andere einzugehen, ohne sich nach ihnen zu richten — negative Äußerungen auszuhalten, ohne mitgerissen zu werden — für sich und andere einstehen zu können. — Lob und Kritik zu ertragen, ja, kreativ zu integrieren — unbestechlich — unerschütterlich ist die starke Seele. Die vielen un- und ohne lassen mich vermuten, dass das allmähliche nicht-mehr-Festhalten zu den wesentlichen Schritten, der eigenen Mitte zu, gehört.

Die Seele selbst ist wiederum Mitte zwischen Körper und Geist:

ich habe einen Körper
blaue Augen, feste Beine
/ ich bin
die Willy
/ ich habe Anteil
am Geist

Oft wird diese Trinität auch als Erde, Himmel, Mensch gezeigt:

Himmel
Mensch
Erde
Geist
Seele
Körper

Von der Erde empfangen wir die Kraft, vom Himmel das Licht. Von der Erde her gesehen ist Muladhara die Empfangsstation der Kraft, vom Himmel her gesehen bringt es als siebtes die Verwirklichung des Lichts auf die Erde. Sahasrara als Geist ist das Gefäß des Lichts, das keinen Schatten wirft, ist der Ort, in dem sich die aufsteigende Kraft mit dem Licht vereint.

Jetzt steht aber noch die Frage offen, wie erreicht man dieses Zentrieren? Indem man die Gegebenheiten der Erde, des irdischen Lebens in seiner Vielfalt annimmt, so ernst nimmt (und so heiter) wie die Vision des Ganzen, die Beziehung zum Ganzen entfaltet und pflegt; — wie es schließlich auch darum geht, die geselligen Beziehungen zu pflegen. Telephonieren Sie häufig mit dem Kosmos — Er freut sich!
Arnold wird die Struktur der kosmischen Gesellschaft klären; meine Aufgabe ist immer, das Tun anzuregen. So will ich mir hier wieder einen Ausflug in das Indianische erlauben, eine Art der Zentrierung, zu beschreiben, die mir viel bedeutet, die ich oft ausführe, wenn es mir notwendig scheint. Sorge und Not sind schließlich ein guter Anstoß, sich ganz hinzugeben — Yin — und ganz einzusetzen — Yang — in Liebe.

Und ich möchte diese Anrufung so beschreiben, dass jeder sie ohne Weiteres vollziehen kann, auf seine Weise, wenn ihm danach ist. Ich will versuchen, die Intention der Anrufung teils in den Worten wie ich sie von meinen Freunden gehört habe, teils in meinen wiederzugeben, wobei ich etwas wortreicher verfahren muss, da ich ja die Gesten (oben-unten etc.) und die darin enthaltene Bedeutung zu vermitteln suche.

Ich zeichne mir am besten einen Kreis auf den Tisch, in den Sand, oder lege auf der Wiese die vier Himmelsrichtungen mit Steinchen aus (Kompaß). Dann finde ich meinen Platz; I sit in a sacred way ich kann natürlich auch stehen. —

Ich wende mich dem Himmel zu — meinen Geist und jede Zelle des Körpers;
und rufe Dich, Urmutter, Urgrund, unendliches Überall das uns umfängt, absolute Leere, der alles entspringt, und Dich, Urvater, Ursprung, heilige Schöpfung,

hier in unserer Mitte zu sein.

i m · R a u m · s i t z e n

Ich versenke mich in das Wesen der Erde,
und bitte Dich, heilige Erde, Mutter die uns Leben gibt, weise Großmutter, die uns lehrt, auf die unser Tun notwendig bezogen ist — ich bitte Dich, anwesend zu sein, jetzt,

hier in unserer Mitte.

Ich wende mich dem Osten zu, wo der Himmel in jedem Augenblick aufgeht,
und bitte Dich, heilige Kraft der Eingebung, der Erneuerung, der Offenbarung

hier zu sein;

hier, vor mir — in unserer Mitte. Als rufender Mensch bin ich immer, auch wenn ich allein sitze, Teil des Kreises, das heißt an einer bestimmten Stelle in Zeit und Raum, wie ich ja auch nur ein Tierkreiszeichen als Sonne vertrete. Und wenn wir zu zweit, zu dritt sind, ist unser gemeinsames Zentrum immer die Mitte des Lebenskreises. Wenn ich also in der Anrufung vor mir die Mitte des Kreises (zwischen oben und unten und den vier Kräften der Heiligen Richtungen) konstelliere, erfahre ich auch meine Mitte. Ich kann niemals allein für mich, ohne Bezug zum Leben, Mitte sein wollen! Vater unser ist auch mein Vater.

Ich wende mich dem Westen zu, wo Tag und Nacht vergehen,
und bitte Dich, Kraft des Einblicks, des Ergreifens und Lassens, der Einwirkung und Wandlung

hier in unserer Mitte zu sein.

Ich wende mich dem Süden zu
und bitte Dich, Kraft der Seele, der Unschuld und des Vertrauens,

hier in unserer Mitte zu sein.

Der Süden entspricht dem Tageslauf im Licht der Sonne, die Zeit des Austausches und der Bewährung. Die verletzbare Seele muss alle Kränkung vergessen, um nicht aus der persönlichen Geschichte, der emotionellen Energie zu handeln, sondern das eigene Werk als Teilhabe am Ganzen auf die Urkraft selbst zu begründen.

Ich wende mich dem Norden zu — wo der Polarstern als Mitte aller Bewegungen der Gestirne Integration ermöglicht —
und bitte Dich, Macht der Weisheit und des Verstehens

hier in unserer Mitte zu sein.

Dieses Rufen ist so konkret, als ob ich tausend Arme in die Richtung ausstrecken würde, um die göttliche Kraft einzuholen. Wer sich auf diese Weise zentriert, erfährt die heilige Kraft der Mitte.

Wer den Achterkreis (bzw. Zehnerkreis, 5 und 10 sind in der Mitte) kennt, kann in der Folge auch die Kräfte der 6, 7, 8 und 9 anrufen. Alle zehn sind Wesenheiten, Eigenschaften der göttlichen Kraft, die über die Chakren in uns wirksam werden können — ob wir es wissen oder nicht — dass das Vertrauen zum Beispiel gerade in der Nabelgegend seinen Sitz hat.

Nun knüpfen wir wieder an: Sahasrara ist das Gefäß des Lichts, der Ort, in dem sich die aufsteigende Kraft mit dem Licht vereint. Man spricht vom Licht des Geistes; aber gibt es auch eine geistige Kraft?
Ist sie das Streben nach dem Licht, nach Erleuchtung?
Ist sie die Fähigkeit, den Zusammenhang von Mensch und All, den man in Lichtblicken gewonnen hat, nicht wieder versinken zu lassen — zu seinen Überzeugungen zu stehen — ist sie die Kraft des Glaubens? — das Glaubensbekenntnis immer wieder zu erneuern?
Das Glaubensbekenntnis des Menschen der Wassermannzeit mag für jeden und in jeder Epoche des Lebens seinen besonderen Ausdruck finden, der anderen vielleicht unverständlich scheint:

Ich glaube daran,
dass das Nichts etwas ist,
dass das Unerwartete jede Situation wenden kann,
dass die Gegenform (Nichtform) Wirklichkeit hat,
dass wir als Menschen nur einen kleinsten Teil des Wunderbaren kennen,
dass unser Bewusstsein Anteil hat am Unbegrenzten, Ewigen
dass es die Allverbundenheit der Liebe gibt…

Das Überzeugungsbekenntnis eines Physikers wird anders klingen als das eines Gärtners, auch wenn ihm die gleiche Gewissheit zugrundeliegt. Jeder muss im Wort Zeuge seiner Überzeugung werden — und wenn es in einem einzigen Satz geschieht, und dieser Satz muss für ihn mehr Wirklichkeit und Kraft enthalten als Leben und Tod, Angst und Mühe.

Die dreimal geringelte Schlange ist die Kraft des Körpers, der Seele und des Geistes, über die wir in das zehnte aufsteigen.

Ist die aufsteigende Kundalini eine symbolische Redewendung? Nein. Ich habe diese Empfindung zweimal in der Form erlebt, wie sie beschrieben wird.
Einmal war es, als ich mit ganzem Einsatz bestrebt, eine bestimmte Angst zu überwinden, jedem Wort eines Absatzes im zweiten Band von Castaneda folgte. Es war die Stelle, wo Castaneda Don Juan sagt, er müsse seine Lehrzeit abbrechen, weil er furchtbare Angst habe, und Don Juan erwidert: (nicht wörtlich) Du hast keine Angst, du glaubst nur Angst zu haben. Der Satz hat bei mir so eingeschlagen, dass ich, in glücklichem Staunen, in meiner Wirbelsäule, die mir so breit vorkam wie ein Ofenrohr, etwas Weiches Warmes, Schmiegsames allmählich aufsteigen spürte, das mich wie eine gewaltige Schlange aufrecht hielt.
Hätte ich niemals von Chakren gehört, hätte ich vielleicht erzählt, in diesen zehn Minuten habe ich wieder Rückgrat gewonnen.

Ich bin kein fanatischer Meditant oder Chakrenkletterer. Die meisten wesentlichen Erfahrungen sind mir unabsichtlich, oft in Zusammenhang mit der Überwindung von Engpässen des Lebens zugekommen. Meditation ist eine Einstimmung, die mir so wichtig ist, wie das Zähneputzen, das Kochen für Freunde, das Frühstücksgespräch mit meinem Mann, das Arbeiten an Büchern, Wohnung-Anstreichen, kurz, das ganze Leben — alles kann beitragen die Chakren zu öffnen, den Atem Gottes durchströmen zu lassen.

Schlange — Drache — Adler — Taube. — Warum ist der Heilige Geist in Gestalt einer Taube erschienen? Ist es in Form einer Tierheit, dass sich Das Licht oder Die Kraft dem Menschen als Freund und Helfer darstellt, mit ihm in Kontakt treten kann?
Ich habe Die Kraft einmal ohne Gestalt, als reine Kraft erlebt. Es war die Erfahrung von etwas so Ungeheurem, Unsagbarem, dass ich sie über Nacht für zwanzig Jahre vollständig vergaß. Sie wirkte wohl auf einer Bewusstseinsebene, zu der ich keinen Zugang hatte. Es blieb nur eine unbewusste Gewissheit zurück, dass es all das Allmächtige, und alles was in den heiligen Schriften darüber angedeutet wird, wirklich gibt. Ich habe die Erfahrung in meinem Bändchen Gedichte an Gott und andere wie folgt geschildert:

Ich war schon verheiratet, in Wien, vielleicht achtundzwanzig Jahre alt. Ich sollte für Stuttgart eine Jersey-Kollektion machen; die Stoffe waren noch nicht gekommen, kein Geld im Haus, die Lage war recht katastrophal.
Ich war gerade eine Woche bei Bennett, einem Gurdjeff-Schüler, in England gewesen. Bennett hatte mir gesagt, ich solle mich, wenn ich Kraft brauche, hinsetzen und dreimal tief atmen — die Atemkraft durch die Nase bis ins Geschlecht hinunterführen, und spüren, dass in jedem Atemzug eine feine Kraft enthalten ist, mit der ich meinen zweiten Körper baue. Ich hatte nie etwas von Atemtechnik oder zweitem Körper gehört, wusste aber, das jemand Kraft braucht, und dass es nicht mein Körper war.
So setzte ich mich am Abend aufs Bett, im Türkensitz, wie ich es von Gurdjieff gelernt hatte, entspannte mich, versammelte den ganzen Körper, und atmete mit voller Aufmerksamkeit dreimal tief. Die Aufmerksamkeit schien mir nicht vollständig. Ich atmete noch zweimal — und da begegnete mir eine ungeheure Kraft in diesem letzten Atemzug. Jetzt ist Es da — in Diesem ist alles enthalten nun brauche ich nicht mehr zu atmen — stundenlang!
Und dann meldete sich ein anderes Ich: Nicht mehr atmen? Tod! Ich erschrak und schüttelte mich wach und legte mich schlafen. Am nächsten Tag erledigte ich, was zu tun war.

Das war eine große Erfahrung. Inzwischen habe ich gelernt, die kleinsten Lichtblicke und Zeichen zu beachten, die mir zum nächsten Schritt verhelfen, und den muss ich bereit sein, selbst zu tun. Nur wenn ich nichts erwarte, kommt mir das zu, was die Lage erfordert. — Sich der Kraft hingeben — um zu tun.

Arnold und Wilhelmine Keyserling
Magie der Chakras · 1983
Urstimmung des Gemüts
© 1998- Schule des Rades
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