Schule des Rades

Arnold Keyserling

Geschichte der Denkstile

2. Das mythische Denken

Bhagavad Gita

Zwölf Kapitel der Bhagavad Gita zeigen die Tierkreiszeichen als Tore der Befreiung, die sechs weiteren bringen eine Einführung in die ihnen zugrunde liegende Metaphysik. Die Symbolik des Tierkreises wird somit astrologisch verstanden, doch mit dem Unterschied, dass nicht eine kausal­wissen­schaft­liche Bestimmung, sondern eine mythische ganzheitliche Schau in ihrem Rahmen ausgedrückt wird. So gewinnen die Tierkreiszeichen folgende Bedeutung als Thematik der Kapitel:

Nr.
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Zeichen
Widder
Stier
Zwillinge
Krebs
Löwe
Jungfrau
Waage
Skorpion
Schütze
Steinbock
Wassermann
Fischen
Inbegriffe
Seele-wollen
Körper-empfinden
Geist-denken
Seele-fühlen
Körper-wollen
Geist-empfinden
Seele-denken
Körper-fühlen
Geist-wollen
Seele-empfinden
Körper-denken
Geist-fühlen
Thematik
Person, Schuld
Erkenntnis, Besitz
Wissen, Handeln
Familie, Geschichte
Erziehung, Meisterung
Arbeit, Dienst
Gemeinschaft
Tod, Esoterik
Glaube, Ideen
Öffentlichkeit
Freundschaft
Liebe

Der Ausgangspunkt der Bhagavad Gita ist die Schlacht von Kuruk Shetra. Arjuna, vor die Notwendigkeit gestellt, gegen seine Verwandten zu kämpfen, das heißt, sein Schicksal, sein Karma anzunehmen, zögert vor dieser Entscheidung. Doch sein Wagenlenker ist eine Inkarnation des Weltenerhalters Vishnu, Krishna, der nun Arjuna über den Sinn des Daseins aufklärt.

Die Schlacht von Kuruk Shetra bedeutet das Leben auf der Erde. Der Mensch tritt mit der Geburt in eine Schicksalsverkettung ein, für die er sich nicht verantwortlich weiß, von deren Erfüllung aber der Weg zum Heil abhängt.

  • Das Gewahrwerden dieser Verstrickung, das Aufgeben der gefühlten Unschuld durch Beginn des irdischen Weges zeigt nun das erste Kapitel der Bhagavad Gita, das den Begriff der Person erläutert. Der Mensch wird dann eine Persönlichkeit, wenn er seine Notwendigkeit zur Schuld, in christlicher Ausdrucksweise seine Sündigkeit erkennt. Um sein Leben zu erfüllen, kann er oft nicht umhin, Unrecht zu tun, muss er notwendig Leid in die Welt bringen.

Das Verursachen des Leides ist böse, doch kann er nicht davor zurückschrecken; denn erst durch die auf sich genommene Schuld kann er die Vorgänge zum Guten lenken. Als Person steht er nicht allein, sondern ist das Glied einer Kette. Durch seine Geburt ist er bereits in eine Verstrickung gesetzt, aus der es nur den Ausweg nach vorne in das Handeln gibt.

  • Von der Person aus ist das Bewusstsein der eigenen Schuld der richtige Ansatzpunkt. Von der nächsten Einstellung des zweiten Kapitels, aus der Erkenntnis der Objektwelt, wird es unwesentlich. Die Sündigkeit erlebt der Mensch für sich allein; sie versetzt ihn in den Zustand der Reue, der existentiellen Verzweiflung. Doch, wenn er sich nun fragt, wie dies alles so ist, so wird ihm von Krishna die folgende Antwort zuteil: Leben und Tod, Freude und Trauer sind unwesentlich; sie betreffen nur die sterbliche Existenz. Wie der Mensch alte Kleider ablegt, wenn er sie nicht mehr gebrauchen kann, so legt das Wesen Verkörperung auf Verkörperung in der Kette der Wiedergeburten auf dem Heilsweg nieder. Erkennt der Mensch die Vergänglichkeit der Körperwelt, so ist er erleuchtet. Gewinnt er die rechte Unterscheidung, so ist er nicht mehr an seine Sinne und Leidenschaften verhaftet. Wie die Schildkröte Beine und Kopf in ihre Schale einzieht, so findet der Mensch des Weges der Erkenntnis seine Ruhe im Rückzug auf den inneren Sinn. Diese Ruhe ist vergleichbar der Stille des Ozeans. Wie dieser nicht durch die Flüsse der Erde in Unruhe gebracht werden kann, wie viel Wasser sie auch führen mögen, so wird der Erkennende nicht mehr durch die Wallungen seiner Leidenschaften in Erregung versetzt. Er lebt ohne Ichverhaftung, ohne Eitelkeit; und selbst im Tode geht er der Verbindung nicht mehr verlustig, da er mit dem Weltenursprung eins geworden ist.
  • Der Weg der Erkenntnis ist für den Kontemplativen. Im dritten Gesang lehrt Krishna Arjuna den Karma-Yoga, den Weg des Handelns, dem alles wahre Wissen entstammt. Jeder Mensch hat seine Anlagen; er ist nicht als leere Existenz, sondern als Wesen mit bestimmten Möglichkeiten von Gott geschaffen. Der eine mag den Weg der Kontemplation gehen, doch der andere muss die Straße der Tat beschreiten, die unter dem Leitbild des Dharma, der persönlichen Pflichten, steht. Diese Pflichten sind in den menschlichen Wünschen vorgebildet. Wesenswünsche sind nur als Vollendung des Weges zu erfüllen. Krishna sagt: Gut getane Pflicht erfüllt die Wesenswünsche.

Der Mensch spürt aber nur den Drang dieser Wünsche, der sich als Forschungsdrang, als unbestimmte Sehnsucht äußert. So muss er im Erlernen der Riten, in der Unterscheidung des Wahren vom Falschen den Weg der Läuterung über das Handeln finden. Doch diese Unterscheidung ist noch nicht die ganze Antwort: es gilt die Handlungen als Opfer zu vollbringen, ohne Rücksicht auf Lohn. Die Gefahr des Menschen am Karmaweg ist die Verhaftung an die Lust und den Zorn, die nur über das Opfer zu überwinden ist.

  • Beim Weg des Karma gibt es nicht nur die persönlichen Handlungen und Verfehlungen aufzuarbeiten, sondern jeder Mensch ist in seiner Familie in ganz bestimmte Verstrickungen hineingeboren. Im vierten Weg gilt es nun das Familienkarma bis auf seine Wurzeln zu durchschauen, um auch hier zum göttlichen Ursprung vorzustoßen. Krishna beschreibt dies nun mit folgenden Worten: die Lehre des Karma-Yoga habe er selbst (Der Aufleuchtende) dem Lehrer des Manu mitgeteilt, von dem aus sie in der Reihe der großen Weisen und Lehrer weitergetragen wurde, bis schließlich in der Wirrnis der Zeiten die Tradition verloren ging und Krishna nun in neuer Inkarnation die Lehre wieder verkündet. Jedesmal, wenn das Übel überhand nimmt, kommt Gott wieder auf die Erde, um die Wahrheit in zeitgemäßer Form darzustellen und dem Menschen den Weg zum Ursprung zu eröffnen. Alle Familientradition, alle Geschichte hat demnach immer im Göttlichen ihren Anfang; und der Mensch, der seine Familienwurzeln erforscht, findet dann zum Heil, wenn er die zeitlich letzte gültige Offenbarung wiedererkennt und versteht.
  • Doch nicht nur in der Geschichte findet der Mensch Zugang zu Gott: im fünften Weg, Dhyana, findet er diesen in der Ruhe und Freude des eigenen Wesenskerns. Dieser Kern ist von Gott erschaffen; doch verliert der Mensch die Rückbindung in der Verwirrung der irdischen Geschäftigkeit; er wird durch die Vorstellungen des Bewusstseins überlagert. Stößt er nun durch diese Vorstellungen zum Licht, das sie erhellt, dann erreicht er bereits im Leben den Zustand der Unsterblichkeit. In der Meditation, dem Finden der eigenen Mitte, wird er gleich der strahlenden Sonne dem Symbol dieses Zeichens im Tierkreis die durch ihr bloßes Dasein die anderen erleuchtet. Der Weise zieht sein Bewusstsein in den Wesenskern zurück und weiß, dass seine Sinne und Leidenschaften nicht er selbst sind, sondern nur die Mittler zwischen Wesen und Welt. In sich ruhend, ist er aber nicht auf sich selbst zentriert, sondern wird zum Lehrer, zum Meister der anderen; ohne selbst von einem Lehrer gelernt zu haben, hat er den Guru in sich gefunden. Das reflektierende Bewusstsein, der Spiegel wird zum Kristall, das die Strahlung konzentriert und dem Schüler zum Durchbruch zu seinem Wesenskern verhilft. Im Meister sind Handeln und Kontemplation eins, das Tun berührt ihn nicht, gleichwie der Lotus unbenetzt auf dem Wasser ruht.
  • Das sechste Kapitel behandelt den Weg der Arbeit: wer aktiv ist, ohne sich um die Früchte seiner Taten zu kümmern, bleibt ihr Herr. Doch wer sich aller Taten enthält, kann nie den Weg der Enthaftung gehen. Er gleicht einem Menschen, der vergisst, das Feuer anzuzünden, auf dem sein Opfer gebracht werden soll. Die Enthaftung von den Dingen ist nur auf dem Weg der Arbeit zu erreichen. Wer diesen wählt, der kümmert sich nicht mehr um das rituelle Opfer. Seine Tätigkeit selbst, was immer diese auch sei, wird für ihn zum Übungsfeld. Durch Konzentration auf das Wesentliche stößt er im Strom der Geschehnisse zu seinem Kern, seinem ruhenden Pol vor. Hierbei ist der Wille einerseits der einzige Freund, andrerseits der wahre Feind des Wesens. Wird er auf die Dinge gerichtet, so reißt er den Menschen ins Verderben. In der Arbeit bewertet er diese nach Nutzen und Schaden, doch darf er die Mitmenschen nicht der gleichen Wertung unterziehen: Freund und Feind, Verwandte und Fremde, Verbrecher und edle Menschen seien ihm gleich lieb. Nur wenn er den wahren Gleichmut, die echte Unparteilichkeit erreicht hat, dann kann man ihn als groß auf seinem Weg bezeichnen. Doch die Unparteilichkeit ist nur der Beginn des Weges; erst wenn der Mensch in Mitleid zu allen Geschöpfen entbrennt und nicht ruht, bis auch der letzte die wahre Heiligkeit erreicht, dann ist er der wahre Yogi des Weges der Arbeit, den Krishna hier als seinen echten Nachfolger bezeichnet.

Die ersten sechs Wege wählt der Mensch aus eigener Initiative. In den nächsten sechs stellt er sich der Wirklichkeit und nimmt sie auf.

  • So ist der siebte Weg das Erfassen des Wesens im Anderen. Er steht damit in Opposition zum ersten Weg, dem Erfahren der eigenen Schuld. Der Mensch, der zur Persönlichkeit erwacht, verfällt in Trauer, wenn er sieht, dass ihn seine klar erkannte Pflicht in eine Schuldverstrickung führen muss. Doch betrifft die karmische Schuld nicht das Wesen der Menschen und der Schöpfung. Alles was besteht, stammt ursprünglich aus göttlichem Keim, wie Krishna es formuliert: Gott ist im Wesen des Wassers, im heiligen Geruch der Erde, im Urlaut Om und im Streben des Asketen. Die wahre Unterscheidung des siebten Weges führt dazu, den göttlichen Kern in allem nicht nur zu erkennen, sondern auch aktiv und personal mit ihm in Beziehung zu treten und damit den Schleier der Maya zu durchschauen.
  • Doch nicht nur im Anderen, auch in sich selbst findet der Mensch den Zugang von seinem Wesenskern zur Urkraft Gottes: dies geschieht als bewusste Überwindung des Todes im achten Weg. Nicht nur beim Menschen, auch im All gibt es Wachen und Schlafen. Beim Menschen wechselt es zwischen Tag und Nacht, Wachen und Traum, im Kosmos wechselt der Schwerpunkt von Unbewusstheit zu gestalthafter Erscheinung in der Welt: der Zyklus der Wiedergeburten, wie ihn Krishna im gegenüberliegenden zweiten Weg beschrieb. Dieser Zyklus ist nicht unausweichlich; Krishna zeigt, wie man ihm entrinnen kann, in astrologischer Symbolik: wer den Weg der Sonne durch ihre sechs nördlichen Häuser und mit dem zunehmenden Mond beschreitet, wird zu Brahman gelangen! Wer dagegen den Weg der südlichen Sonne geht, also von der Waage bis zu den Fischen, und dem abnehmenden Mond folgt, dessen Schicksal führt letztlich zu neuer Inkarnation auf der Erde. Beide Wege bestehen seit Beginn der Schöpfung; kein Yogi darf sie verwechseln. Sie bildeten den Gegenstand der Geheimlehren und in der Bhagavad Gita wird nur ihre Existenz erwähnt. Doch ihre Erklärung findet sich in den Upanishaden: der Weg des zunehmenden Mondes führt zur Fülle. Ist der Mensch imstande, die Urkraft wie ein Spiegel aufzunehmen, so verwandelt er sich in ein Kristall. Doch wenn er von seinen eigenen Vorstellungen ausgeht, wird der abnehmende Mond, seine abnehmende Kraft, immer schwächer und schließlich von der Natur aufgesogen. Das Eigenbewusstsein verliert sich. Ebenso verhält es sich mit dem Sonnenweg. Strebt der Mensch nach
  1. Pflichterfüllung,
  2. Wirklichkeitserkenntnis,
  3. Ortung seiner Triebe auf geistige Ziele,
  4. Klärung seiner Wurzeln,
  5. Finden des Wesenskerns,
  6. Selbstbehauptung im Austausch der Dinge im Sinne der unteren Tierkreiszeichen, so wird ihm seine Stellung in der Öffentlichkeit von selbst zuteil. Bemüht er sich hingegen direkt um die Außenwelt und strebt nach
  7. gesellschaftlicher Anerkennung,
  8. Macht,
  9. Ruhm,
  10. Verantwortung,
  11. Vermögen und
  12. geistige Autorität im Sinne der oberen Zeichen,

so mag er das Gewünschte zwar schneller erreichen, doch da sein Streben in Reaktion auf die Außenwelt entstand, verliert es mit dem Erreichen seine Kraft, und nichts bleibt dem Wesen übrig als die Potentialität zu neuerlicher Verkörperung.

  • Der neunte Weg ist die Einstellung des Glaubens: wer Gott und die Offenbarung gläubig annimmt, ohne sich von ihrer Wirklichkeit vergewissern zu können, dem wird sein geistiges Auge geöffnet und er wird die geglaubte Wahrheit schauen. Gottes Ort ist nur dem Glaubenden zugänglich, und wird von diesem gewiss erreicht, was immer für einen Weg er auch wählen mag. Alle heiligen Schriften sind gleicher Achtung würdig, sofern sie zu solcher Dynamik erwecken, wie sie im Symbol des Schützen veranschaulicht ist. Dem zielgerichteten Menschen wird seine Existenz zum Pferd des Kentauren, zu seiner Triebkraft, die ihn sicher seinem Ziel zuführt. Krishna wirkt in allen Religionen, doch ist er jenseits von ihnen. Eine Warnung wird diesem Weg hinzugefügt: die religiöse Observanz weist zwar aufwärts zum Himmel im Sinne des Paradieses. Doch falls sie von Wünschen genährt ist, selbst den reinsten Wünschen der Hilfe für die Anderen, so führt sie immer noch zurück zur Wiedergeburt.
  • Nicht nur im Glauben kann man das Wesen Gottes erleben; es offenbart sich auch in den Menschen, die zu ihrer höchsten Ausbildung, ihrer höchsten Strahlkraft gekommen sind. Im vierten Kapitel lehrt Krishna Gott als die Wurzel von allem. In dem in der Kreisordnung entgegengesetzten zehnten Kapitel schildert er den gleichen Zusammenhang von der Vollendung her: dass die großen Weisen ihre Vollkommenheit erreichten, verdanken sie ihrer inneren Teilnahme am Wesen Gottes. So kann der Mensch auch im Streben nach irdischer Stellung und Auszeichnung, nach Verantwortung den Kreis der Wiedergeburten überwinden, sofern er diese Leistung nicht sich selbst zuschreibt. Nicht nur der Keim und die Wurzel, auch die Erfüllung ist in Gott vorgegeben.
  • Doch alle menschliche Vollendung ist nur ein schwacher Abglanz der göttlichen. Im elften Kapitel offenbart sich Krishna dem Arjuna in seiner Übermenschlichkeit, seiner kosmisch furchtbaren Gestalt. Sie entzieht sich der Beschreibung: Myriaden von Beinen und Armen, von Mündern und Augen vereinigen sich zur Weltenpotenz. Krishnas Gestalt bedeutet hier die magisch zeugerische Kraft, aus der alle menschliche Erfindung kommt.

    Im entgegengesetzten fünften Kapitel erreicht der Mensch die Befreiung im Durchstoßen des Wesens zu seinem Kern und im Lehren dieses Weges. Der Mensch des elften Weges dagegen kennt den Urreichtum der Schöpfung in ihrem furchtbaren und prachtvollen Aspekt. Er darf nicht, wie es die Magier versuchen, sich zum Herrn der Kraft aufschwingen wollen, sondern er muss in der menschlichen Gestalt des Freundes gemäß dem Symbol des Wassermanns dem anderen beistehen, so wie Krishna dem Arjuna als Freund bei der Erfüllung seiner Lebensaufgabe hilft und nur jene Kräfte einsetzt, die für die Bewältigung der Lage erforderlich sind. Als Freund kann er dem anderen Reichtum und Kraft übermitteln, ohne ihm zu schaden; er spricht mit Gott von gleich zu gleich im Gegensatz zur absoluten Hierarchie der Lehrer-Schüler-Beziehung.

  • Doch nicht allen kann der Mensch Freund sein, sondern nur den Weggenossen, die mit ihm an der gleichen Aufgabe arbeiten. So bleibt als letzter zwölfter Weg der des Bhakti, als die Erfüllung des Menschen, der in Liebe alle gleichmütig umfängt, die zu ihm kommen, hoch oder niedrig, Sünder oder Gerechte, würdig oder unwürdig.

    Der Bhakti strebt nach Vereinigung mit Gott über die Liebe. Dieses rein jenseits gerichtete Streben verwandelt ihn in ein Durchgangstor der Urkraft; wer in seine Nähe kommt, wird durch die Intensität seiner Freude geläutert. So hilft er auch denen zum Heil, die einen geistigen Weg aus eigener Kraft niemals zu gehen vermöchten.

Jeder Mensch hat laut indischer Auffassung in einem der Wege seinen Schwerpunkt. Dies hat auch die indische Astrologie davor beschützt, zu einem reinen Schicksals-Fatalismus im späteren arabischen Sinn zu entarten. Es war die Aufgabe des Guru, den jeweiligen Weg des Menschen zu erkennen und ihn darin zu führen. Aus diesem Anliegen wurden dann auch in den weiteren sechs Kapiteln die Grundbegriffe des Brahmanismus in einer Synthese zusammengefasst, deren Sinn aber im wesentlichen mit unserer früheren Schilderung übereinstimmt.

Die Bhagavad Gita bedeutet den Übergang vom Brahmanismus zum Hinduismus, wie er die folgenden zweitausend Jahre in Indien bestimmt hat. Doch wie in China der Konfuzianismus sich im Gegensatz zum Taoismus entfaltete, erwuchs im Hinduismus sein Gegenpol im Buddhismus, der ihm durch fast tausend Jahre die Herrschaft streitig machte.

Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile · 1968
2. Das mythische Denken
© 1998- Schule des Rades
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