Schule des Rades

Arnold Keyserling

Geschichte der Denkstile

7. Das humanistische Denken

Wandlung der Einstellung

In den objektiven Denkstilen war die Philosophie der Erkenntnis des Menschen im Kosmos, in seinem Verhältnis zu Gott und Welt zugewandt; er verstand sich als Teil der Schöpfung. Und wenn auch seine Rolle in dieser je nach mythischer und ethischer Einstellung verschieden aufgefasst wurde, blieb doch die Richtung des Bemühens bei allen Stilen die gleiche. Mit dem Ende des Mittelalters kam es nun zu einer Wandlung der Einstellung: der Ausgangspunkt des Denkens verschob sich vom Objekt zum Subjekt, vom Weltverständnis zum Selbstverständnis; und als erster subjektiver Denkstil entfaltete sich das humanistische Denken.

Zwar war schon bei den Griechen der Satz Erkenne dich selbst ein Leitspruch des philosophischen Bemühens gewesen; aber von den humanistischen Denkern wurde er auf neue Weise interpretiert: der Mensch als solcher, losgelöst von der Welt, bildete fortan den Ausgangspunkt. Diese Richtungsänderung gab verschiedenen Philosophen den Mut, alle Fragen auf eine neue Weise zu stellen.

Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile · 1968
7. Das humanistische Denken
© 1998- Schule des Rades
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