Schule des Rades

Arnold Keyserling

Geschichte der Denkstile

8. Das rationalistische Denken

Deutsche Theosophie

Doch bevor wir uns dieser Entwicklung zuwenden, gilt es zuerst noch die deutsche Theosophie zu besprechen, die sich in der Nachfolge des Paracelsus entwickelte. Ihre Träger waren Kaspar Schwenckfeld, 1490-1561, Sebastian Franck, 1499-1543, Valentin Weigel, 1533-1608 und Jakob Böhme, 1575-1624. Schwenckfeld verkündete im Gegensatz zu den Lutheranern, dass nicht orthodoxe Frömmigkeit, sondern innere Heiligung und bewusste Gotteskindschaft den Weg zum Heil eröffnen. Für Franck lebt Gott, das Allein Gute, in allen Dingen als ihr Wesen Ist und im Menschen als dessen Wille. Der Einzelne habe nur die Wahl, ob er sich diesem hingeben wolle oder nicht. Dieses Ist stellt den inwendigen Christus dar, das Christentum existierte daher als natürliche Religion vor dem historischen Jesus, also schon in Sokrates und Abraham. Weigel versuchte die Lehre vom inwendigen Christus mit der paracelsischen Makrokosmos-Mikrokosmos-Lehre zu vereinen. Die Krönung erhielt die theosophische Richtung in der persönlichen Schau des Görlitzer Schusters Jakob Böhme:

Ursprung der Welt sei Gott. Er offenbare sich jedoch als Gegensatz: kein Ding könne ohne Widerwärtigkeit existieren. Auch das Böse sei dem Keim nach in Gott enthalten. Aber erst der Mensch mache es zu einem solchen, indem seine Seele, die ihrer göttlichen Natur nach weder gut noch böse ist, sich dazu entscheide, denn der Mensch besitze einen freien Willen. Die Finsternis wolle ihn haben, wie auch das Licht, in ihm stehe das Zentrum und halte die Waage; wir können sowohl einen Engel als auch einen Teufel aus uns machen. Die Wiedergeburt und Erlösung durch Christus bedeute eine Rückkehr zu unserem ureigenen Weg.

Der erste, uranfängliche Wille, Gott der Vater, erzeuge in ewiger Selbstgebärung einen fasslichen Willen, den Sohn, durch den Heiligen Geist. Alle drei sehen und finden sich in der von ihnen ausgegangenen Weisheit. Alle Dinge bestehen aus Ja und Nein. Das Ja ist eitel Kraft und Leben, das Nein sein Gegenwurf, durch den es erst offenbar wird. Ohne ein Gegengöttliches könnte Gott sich gar nicht offenbaren, ohne seinen Zorn seine Liebe nicht zeigen. So gehen aus dem Ursprünglichen Einen sieben Qualitäten hervor: 1. das Herbe (Härte, Hitze); 2. die Süße, das Bewegliche (Wasser); 3. das Bittere (Angst, Empfindlichkeit). Diese drei bilden zusammen das Reich des Grimms. Körperlich entsprechen sie im Yogaweg den drei unteren Chakras. Die 4. Stufe mit dem Herzen ist die entscheidende: das Feuer, welches gleichzeitig Zorn und Liebesbrennen symbolisiert. Gelingt es dem Menschen, sich aus dem Zorn zum Liebesbrennen zu läutern, so gelangt er in das Reich der Freude, das wiederum drei Stufen kennt: 5. das Licht (Belebung); 6. Schall und Ton (Verständigung, Erkenntnis); und 7. Leiblichkeit (Gestaltung überhaupt, Natur).

7. Leiblichkeit
6. Schall und Ton
5. Licht
4. Feuer
3. Das Bittere
2. Die Süße
1. Das Herbe
Reich der Freude

Entscheidung:

Reich des Grimms
Liebe
Zorn

Der historische Glaube war für Böhme nur ein Fünklein, das zur Flamme angefacht werden müsse. Himmel und Hölle seien in uns; die Seele bedürfe daher keines Auffahrens nach dem Tode.

Wer Liebe in seinem Herzen hat und führt ein barmherziges und sanftmütiges Leben und streitet wider die Bosheit, der lebet mit Gott und ist ein Geist mit Gott; denn Gott bedarf keines anderen Dienstes.
Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile · 1968
8. Das rationalistische Denken
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD