Schule des Rades

Arnold Keyserling

Geschichte der Denkstile

8. Das rationalistische Denken

George Berkeley

George Berkeley wurde 1685 in Irland geboren. Er studierte und lehrte an der Universität Dublin, wurde später Bischof in Südirland und starb 1753 in Oxford. Den Anstoß zu seiner Philosophie gab die lockesche Unterscheidung zwischen primären und sekundären Qualitäten. Berkeley erwies diese Trennung als falsch. Der Körper ist in keiner anderen Weise gegeben und erfahrbar als Farben und Töne. Da das menschliche Bewusstsein nur seine Vorstellungen erlebt, ist die Realität der Tatsachen als von den Vorstellungen geschieden nicht zu beweisen. Auch Solidität und Ausdehnung sind nur Wahrnehmungsinhalte, Ideen. Die sogenannten körperlichen Dinge sind nichts weiter als Komplexe von solchen anschaulichen Ideen; ein Apfel zum Beispiel ist der Zusammenhang einer bestimmten Gestalt, Härte, Farbe, eines bestimmten Geschmacks und Geruchs. Ziehe ich diese Eigenschaften, die alle subjektive Bewusstseinsinhalte sind, ab, so bleibt nicht etwa eine Substanz übrig.

Alle Vorstellungen sind anschaulich und unterscheiden sich in nichts — es sei denn durch geringere Intensität — von der Wahrnehmung. Ein abstraktes Dreieck ist unvorstellbar; versuche ich eines zu denken, so hat es sofort Größe und Winkel bestimmter Art.

Gerade die Gedanken, die bei Locke rein empiristisch blieben und die Vorstellungswelt auf Beobachtungen und deren Verknüpfung im Verstand beschränkten, führten Berkeley zu einem radikalen Idealismus oder besser Phänomenalismus. Sein Kernsatz lautete esse est percipi, sein ist gleich wahrnehmen, oder wahrgenommen werden, da nur in diesem Vorgang eine echte Verbindung der Tatsachen im Sinn des parmenidischen Seinsbegriffes als Kopula besteht. In Wirklichkeit gibt es nur die eine Welt, die Gott als deren Ursprung unserer Vorstellung vorführt, und deren Dasein oder innerer Zusammenhang durch ihr Wahrgenommenwerden verbürgt wird. Da Gott allgegenwärtig existiert, ist auch die Existenz der Wirklichkeit gewährleistet.

Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile · 1968
8. Das rationalistische Denken
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