Schule des Rades

Arnold Keyserling

Geschichte der Denkstile

8. Das rationalistische Denken

David Hume

Die abschließende systematische Begründung erhielt der rationalistische Empirismus im Werk von David Hume. Dieser wurde 1711 in Edinburgh geboren. Nach kurzer Zeit kaufmännischer Tätigkeit, die ihn nicht befriedigte, reiste er nach Frankreich und verfasste dort sein erstes philosophisches Werk: eine Abhandlung über die menschliche Natur, die in drei Teilen Verstand, Leidenschaft und Moral behandelte und von ihm selbst als ein Versuch bezeichnet wurde die experimentelle Methode auch auf geistigem Gebiet einzuführen. Das Buch hatte keinen Erfolg, jedoch fanden eine Reihe moralischer, politischer und literarischer Essays in England und auch Frankreich viel Verbreitung. Er wandte sich der diplomatischen Laufbahn zu; 1747-48 war er Gesandtschaftssekretär in Wien und Turin.

Er begann nun sein Jugendwerk umzuarbeiten. Als erster Teil seines Systems erschien die Untersuchung über den menschlichen Verstand; 1751 folgte die Untersuchung über die Prinzipien der Moral, 1752 seine Politischen Diskurse und 1757 die Natürliche Geschichte der Religion. Später veröffentlichte er nichts mehr, weil er ganz vom politischen und gesellschaftlichen Leben in Anspruch genommen wurde. 1767-69 führte er als Unterstaatssekretär des Außenamtes die diplomatische Korrespondenz. Er starb 1776 zu Edinburgh.

Humes Lehre wird gewöhnlich als Skeptizismus bezeichnet. Man würde sie besser in Entsprechung zu Kant empirischer Kritizismus nennen. Ihre wesentliche Leistung war die Umbildung der etwas nebulösen Vorstellung von Locke und den späteren schottischen Philosophen von der Allmacht des common sense zur kritischen Gewissheit.

Laut Hume beruht alle Vorstellung auf Assoziation: nirgends lässt sich im Denken ein Ich feststellen. Wenn ein Mensch denkt, dann geht er von Vorstellung zu Vorstellung, etwa von Bildern zu Tönen über. Das Material der Vorstellungen gliedert sich nach zwei Arten: den Eindrücken — wir würden sagen Sinnesdaten — und den Ideen. Eine Assoziation besteht dann aus Ideen, wenn sie in sich, über das reine Denken zu verstehen ist, wie etwa mathematische Gleichungen. Geometrische Vorstellungen im Sinne des Dreiecks Berkeleys betrachtete er als eine Mischung von Idee und Eindruck.

Ideen und Eindrücke verbinden sich zu Assoziationen nach drei Gesetzen: Ähnlichkeit, Übereinstimmung in Raum oder Zeit, und Ursache und Wirkung. Allen drei Arten kommt kein objektiver wissenschaftlicher, sondern nur ein subjektiver Wert zu. Die Kausalität ist kein Naturgesetz, sondern eine Denkgewohnheit. Wir pflegen Dinge, die immer zusammen in der Erfahrung auftreten, wie das Kochen des Wassers, wenn ein Feuer unter dem Topf angezündet wird, als Naturgesetze zu betrachten. Doch niemals können wir zu absoluter Gewissheit gelangen. Wissenschaftliche Erkenntnis kann nur über die Induktion, also die Verallgemeinerung aus einer Mehrzahl von Beobachtungen erreicht werden; sie hat nicht Wahrheits-, sondern Wahrscheinlichkeitscharakter.

Hume betonte in seiner ersten Schrift die ethische Ausrichtung seiner Bemühungen: er wolle die experimentelle Methode der Vernunftschlüsse auf moralisches Gebiet anwenden. Auf diesem erntete er auch seine größten Erfolge, während Physik und Chemie sich weiterhin an die lockeschen Begriffe hielten. Die abendländische Zivilisation von der Theologie bis zum Recht war auf der vermeintlichen absoluten Gültigkeit des Kausalprinzips begründet; so setzte die humesche Skepsis eine irrationalistische Strömung frei, deren revolutionäre Kräfte bald zur Auswirkung kamen.

Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile · 1968
8. Das rationalistische Denken
© 1998- Schule des Rades
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