Schule des Rades
Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile
11. Das wissenschaftliche Denken
Bolzano - Brentano - Meinong
Wie der Buddhismus, der ja auch von der Empfindung ausging, kam das wissenschaftliche Denken in seiner logischen Vollendung zur Leerheit als Vorausbedingung der Offenheit. Doch der Mensch lässt sich nicht nur formal als Subjekt, sondern auch inhaltlich als Wesen bestimmen. Dieses Anliegen bildete die nächste Richtung des wissenschaftlichen Denkens, die ihren Ursprung in dem katholischen Prager Philosophen Bernard Bolzano, 1781-1848, hatte.
Wenn wir etwas denken, so ist mit dem Denken auch gleichzeitig immer etwas gegeben, was man erkennt: das Bewusstsein ist seinem Wesen nach, wie die Scholastik formulierte, intentional. Es enthält nicht nur die äußere Wahrheit im Sinne der Übereinstimmung von Theorie und Gegenstand, sondern auch innere Wahrheiten, deren Kriterium die kartesische Evidenz, die Vereinigung von Anschauung und Begriff in klarer und deutlicher Weise darstellt.
Die innere Wahrnehmung hat genau den gleichen Evidenzcharakter wie die äußere. Aus diesem Ansatz entwickelte Franz Brentano, 1838-1917, die Lehre Bolzanos weiter. Man müsse die genetische und deskriptive Psychologie unterscheiden; in der Hinwendung zur letzteren suchte er die entscheidende Erkenntnis. Genetische Psychologie erklärt kausal, wie Bewusstsein zustande kommt, beschreibende klärt seinen Inhalt, die Begebenheit, die damit aber nicht als subjektiv im Sinne von persönlich bestimmt und von Person zu Person variierend angenommen wird, sondern einen objektiven Charakter hat: sie wird zum Gegenstand.
An letzterer Theorie anknüpfend entwickelte Alexius von Meinong, 1853-1920, seine Gegenstandstheorie
, die nicht mehr beschreibende Psychologie war, sondern klassifikatorisch-wissenschaftstheoretischen Absichten entsprang; aus der Summe der Gegenstände und ihrer Verknüpfung sollte das Ursystem der Wissenschaft entwickelt werden. In dieses System gehören aber nicht nur Tatsachen, sondern auch Fiktionen; hier traf sich Meinong mit Hans Vaihingers (1852-1933) Philosophie des Als Ob
, in der sich eine letzte Brücke zwischen der Gegenstandstheorie und der machschen Richtung anbahnte. Doch mit dem nächsten Denker wurde der Bruch endgültig vollzogen: Edmund Husserl.