Schule des Rades

Arnold Keyserling

Geschichte der Denkstile

12. Das ganzheitliche Denken

Indianer

Die indianischen Kulturen sind nicht jünger als die Hochkulturen von Europa und Asien. Doch schienen sie mit der europäischen Eroberung endgültig vernichtet, wobei die Mayas und Inkas sich im Rahmen der Koordinaten der Stierzeit und Zwillingszeit, die der Stämme der großen Ebene der Zwillingszeit und Krebszeit begreifen ließen; beide hatten ihre Kontinuität durch Widder- und Fischezeit bewahrt.

Zwar waren Teile der indianischen Lebensform, der Ethos und das Kriegertum, bald in die Jugendromantik im Westen eingegangen; man denke nur an die Popularität von James Fenimore Coopers Lederstrumpf und Karl May, der Boy Scouts etc. für die Gruppe der Sieben- bis Vierzehnjährigen: also jene Mentalität, die im Weltenjahr der Zwillingszeit entspricht. Doch die wesentlichen Koordinaten des indianischen Denkens konnten erst in der Gegenwart, mit Anbruch der neuen kosmischen Periode der Wassermannzeit einbezogen werden. Sie bergen den Schlüssel, wie sich die Rückbindung zur Natur vom Bewusstsein her erringen ließe — ein Schritt vom Mythos zum Logos, der in seiner Bedeutung jene Wandlung des griechischen Denkens in den Schatten stellen mag.

Niemals ist den Indianern ein Zweifel an ihrer künftigen Aufgabe aufgestiegen. Die Mayas und Inkas gingen ihrer Vernichtung bewusst entgegen, erwarteten die spanischen Eroberer gemäß ihrer Prophezeiung ohne Widerstand; und die eingangs zitierten Hopis werteten nach zeitgenössischen Berichten die Explosion der Atombombe als Ankündigung der neuen Ära, in der sich die Problematik der Menschheit nicht mehr äußerlich kriegerisch, sondern im Bereich der Psyche mit der Gefahr von kollektiven Wahnsinnsausbrüchen abspielen soll. Und erst dann werde die Rolle der Indianer sich erfüllen, wenn nicht nur ihr Stamm, sondern alle Landbewohner ihre wirkliche Aufgabe erkennen: der Natur, deren Teil sie bleiben, zur Entfaltung und Eingliederung in den Kosmos zu verhelfen.

Bei Teilhard blieb dies Anliegen eine dichterische Vision, und die Wege zu deren Erfüllung verborgen; sein Werk ist eher die Schilderung eines Wunschtraumes als ein Einstieg in die natürliche Wirklichkeit. Bei den Indianern war dagegen die Kosmogonie von jeher auch innerlich verstanden worden, weshalb wir zu Beginn des kosmischen Denkens auch den Mythos der Navahos wählten. Dieser schied sich von verwandten Anschauungen dadurch, dass er experimentell über Kommunion mit Pflanzen und Tieren zu verwirklichen ist; eine Kommunion, die den Menschen auf direktem Weg die unbestimmbare Angst transzendieren lässt, während die anderen Denkstile sie letztlich nur über den Bereich der Vorstellung, und dann auch nur für eine Elite wie die Heiligen Weisen und Berufenen in China, oder die zweimalgeborenen Kasten in Indien konstellieren konnten, zu denen sich die Massen des Volkes im Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern verstanden.

Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile · 1968
12. Das ganzheitliche Denken
© 1998- Schule des Rades
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