Schule des Rades
Arnold Keyserling
Geschichte der Denkstile
7. Das humanistische Denken
Natursphilosophie
Giordano Bruno wurde 1548 in Nola geboren und trat mit fünfzehn Jahren in den Dominikanerorden ein. Da er wegen seiner freien Anschauungen Schwierigkeiten hatte, verließ er diesen und führte ab 1576 ein freies Wanderleben. Er lebte anfangs in Norditalien, später in Genf, bis er mit der calvinistischen Orthodoxie in Konflikt kam, dann in Toulouse, in London, in Paris und mehreren deutschen Städten als freier Schriftsteller und Lehrer. Vor allem unterrichtete er die Ars Magna des Ramon Lull
. 1592 fiel er in Venedig durch Verrat in die Hände der Inquisition. Er stand zu seiner Auffassung, die er als die wahrhaft christliche bezeichnete, wurde nach Rom ausgeliefert und dort nach sieben Jahren Kerkerhaft 1600 öffentlich verbrannt. Als ihm sein Todesurteil verkündet wurde, rief er dem Richter zu: Ihr möget mit größerer Furcht Euer Urteil fällen, als ich es empfange.
Die Lehre Brunos leitet sich aus drei Quellen her: der lullischen Kunst, der cusanischen Lehre und der Naturphilosophie des Bernardinus Telesius, 1508-1588. Dieser hatte im Unterschied zu den antikisierenden Humanisten und Reformatoren die aristotelische Philosophie nicht zugunsten des Platonismus, sondern eigener Naturforschung bekämpft. In Neapel, der Heimatstadt Brunos, begründete er die erste wissenschaftliche Akademie Academia Telesiana
, nach deren Muster sich später viele andere bildeten.
Kopernikus hatte seine bahnbrechende Lehre De revolutionibus orbium celestium
erst nach seinem Tod veröffentlichen lassen, begleitet von einem Vorwort seines Freundes Osiander mit dem Vermerk, dass die heliozentrische Theorie nur als Hypothese gewertet werden solle. Giordano Bruno gelangte aus ihr im Verein mit der Maximal-Minimal-Theorie des Cusanus zu Schlüssen, die der Vorstellung des biblisch-scholastischen Glaubens stracks zuwiderliefen: das Weltall bestehe aus einer unendlichen Menge von Sternen und Sonnensystemen gleich dem unseren, zu deren Umläufen kein erster Beweger denknotwendig wäre, da sie als Monade als Vereinigung von Kraft und Stoff — welches Paar Bruno im Gegensatz zum aristotelischen Form-Materie postulierte — selbständige Größen seien. Gott sei die dem Universum immanente erste Ursache, und die Materie selbst bringe aus sich die einzelnen Gestalten und Monade hervor. Die Elemente alles Existierenden seien die Minima oder Monaden, die zugleich psychisch und materiell sphärisch vorgestellt werden. Bei den Monaden nahm Bruno eine aufsteigende Stufenordnung der Natur an, die sich vom Einfachsten bis zum Komplexesten erstreckt.
Im unendlichen Weltenraum ist zufolge der cusanischen coincidentia oppositorum jeder Himmelskörper, jedes Einzelwesen, ja jede Monade virtueller Mittelpunkt, äußere Unendlichkeit und innere schöpferische Potentialität ergänzen einander. Diese Auffassung bedeutete geistig einen Schritt über das Kugelbewusstsein hinaus, mit dem sich die Kirche noch abfinden konnte. Sie verlangte aber nach einer rationalen Durchdringung des Verhältnisses von Einzelmonade und Weltall und damit nach einer Rückkehr zum systematischen Denken, die sich dann im rationalistischen Denkstil verwirklichte.