Schule des Rades
Arnold Keyserling
Vom Eigensinn zum Lebenssinn
1. Entfaltung der Sinnlichkeit
Rhythmus
Von der klassischen Physik als Illusion gebrandmarkt, ist dies das Gesetz des Sinnes überhaupt und der Lebenswirklichkeit: die Teilung einer Zelle als Erweiterung des Gleichen folgt dem Schlüssel der Verdoppelung
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welche Zahlen, auf die Sekunde bezogen, für das Gehör den Grundtonwert c aufweisen. Zeitlich kann nur in Konsonanz und Harmonie funktionieren, was auf den gleichen Grundton bezogen werden kann. Dies ist das Gesetz der Resonanz; nicht nur Oktaven als gleicher Ton schwingen mit, sondern auch Quinten, Quarten, Terzen und Sekunden, die allesamt ganzzahlige Proportionen bestimmen.
Der gemeinsame Nenner, um Quinten (84 Halbtöne im Quintenzirkel), Quarten, große und kleine Terzen, große und kleine Sekunden aufeinander abzustimmen, ist die temperierte Zwölftonskala, die seit jeher den Generalnenner für alle Strukturen des Lebenskreises und der Zivilisation abgegeben hat; der zwölfteilige Tierkreis, aus der Wechselwirkung von Sonne und Mond, ist ein Ausdruck dieser Gesetzlichkeit. Der Tag kann als Oktave betrachtet werden. In drei Teile geteilt (nach den großen Terzen) haben wie die Achtstunden-Ordnung —
- Arbeit (Geist),
- Geselligkeit (Seele),
- Schlaf (Körper);
und die vier Tageszeiten Morgen-Mittag-Abend-Nacht nach den kleinen Terzen. Ebenso das Leben — die drei Abschnitte des Saturn von 29 Jahren
- als Zeit des Lernens (-29),
- der Bewährung (-58),
- der Fülle und des Lehrens (-90).
Der umfangreichste Rhythmus geht über 84 Jahre als Quintenzirkel, er entspricht dem Zeitmaß von Uranus. Ein anderer, der Quartenzirkel mit 60 Jahren, in enger Beziehung mit der Präzession des Frühlingspunktes von 72 Jahren um ein Grad, und die Periode der Mondknoten mit 18½ Jahren, vor allem der jupiterische Rhythmus der zwölf Jahre, als Heilsplan in vielen Traditionen verstanden — all das sind Möglichkeiten, das Leben tonal zu artikulieren.
Jeder Ton ist letztlich ein Rhythmus, dessen Geschwindigkeit oberhalb der normalen Gehörschwelle liegt. Die Sekunde erscheint als Urmaß des Bewusstseins, da die Aufmerksamkeit des Menschen zwischen Beobachtung und Erinnerung, Yin und Yang, alle Sekunden wechselt. Eine Übung kann dies veranschaulichen: Schaut man 30 Sekunden auf eine helle Lampe von 60 Watt, schließt dann die Augen und bewegt den Kopf, so wandert das Nachbild; erst wenn man den Kopf im Sekundenrhythmus hin und her bewegt, geht es mit und bleibt in der Augenmitte.
Sinn des Lebens von der Zeit her gesehen bedeutet, für alle Erfahrungen freudvoller und leidvoller Art verantwortlich sein zu können, sie zu integrieren. Alle Traditionen haben eine Auswahl von Rhythmen gewählt, wie etwa noch das Kirchenjahr der Christen. Wer einem solchen vorgegebenen Rhythmus folgt — weil er zum Beispiel weiß, dass er mit 65 pensioniert wird — ordnet seine kreative Zeit einer vorgegebenen Struktur ein.