Schule des Rades

Arnold Keyserling

Fülle der Zeit

XII. Botschaft

30. Dezember 1972 - morgens

Das Neue kommt von Außen und Innen. Versuche dich bis ins letzte in deinem Willen auf die Aufgabe zu richten. Dein Wille muss gewandelt sein, das Klären geht von selbst.

Von Außen kommen die Zeichen, von Innen die Motive. Der Wille muss die Aufgabe erkennen, indem er die Schlacken der Selbstsucht ablegt: diese Entscheidung bringt das Klären ohne Mühe zustande.

Jeden Tag hast du neue Eingebungen, neue Gedanken der Verwirklichung. Lasse dich nicht von diesen abbringen, denn das Geistige geschieht von selbst.

Man muss nicht nach einem Zusammenhang suchen, einem roten Faden: der Träumer der Welt kennt das Spiel, das sich für uns nur im Nacheinander enthüllt.

Ich weiß den Weg, und dein Wille ist schon zum Teil in meiner Kraft. Nimm deine ganze Anstrengung zusammen und verwandle dich in einen Pfeil, so dass alles davon mitgerissen wird. Die Ruhe ist inwendig, die Kraft bestätigt sich im Tun.

Das unbekannte Wollen verlangt alle Anstrengung, die Eingebungen verwandeln sich in die Lichterstraße, worin der Mensch innerliche Ruhe und äußerliche Dynamik vereint.

Lasse den Anfang von Wiederkauen, alles ist bereits klar, und wo es nicht klar ist, wird es sich im Kontakt klären. Die Menschen müssen angesprochen werden, und darum ist dein eigenes Schreiben nicht wesentlich. Alles kommt darauf an, dass die Offenbarung einschlägt, denn die neue Richtung auf den Menschen im All entscheidet über deine Zukunft: Nur aus ihr heraus gewinnt all dein Wissen einen Sinn. Die Klaviatur ist tot, sie kann nicht im Schreiben zum Leben erweckt werden, sondern nur im Ansprechen von Mensch zu Mensch.

Das systemische Wissen ist in sich offensichtlich und klar, aber es gewinnt seinen Sinn erst dann, wenn es die Beziehung zwischen den Menschen im gemeinsamen Tun durch bewusste Richtung auf den Menschen im All knüpft. Hier ist nicht eigene Gestaltung, sondern das Erleben der gnadenhaften Inspirationen von Nöten, die sich von selbst zum Weg fügen.

Hier gilt es, keine Versäumnisse kommen zu lassen. Denn die Richtung ist nicht da, ohne dass du sie verkündest. Prophet sein heißt vertrauen, dass man blind seine Handlungen eine nach der anderen setzt und sich durch nichts in das Bockshorn jagen lässt. Auch die dümmste Handlung ist immerhin eine Handlung, weil sie Wirkungen zeitigt.

Prophet bedeutet die Inspirationen zu vertreten und in Handlungen zu verwandeln, deren Wirkung aus dem unmerklichen Ursprung kommt und sich in den großen Fluss des Zeitgeschehens eingliedert. Was immer man tut, stammt in seiner Wurzel aus dem Ganzen und kann daher nie negativ sein, solange der Ursprung bewusst ist.

Wirkungen gilt es zu studieren und zu ergründen, sie verlangen eine andere Art der Bereitschaft; sie verlangen Liebe, und die Liebe richtet sich auf Menschen, nicht auf Klärung.

Liebe bedeutet den Anderen zum Ziel zu erheben und seinen Beitrag zum Werk einzubeziehen und zu würdigen.

So bleibe der Liebe treu, die jetzt anhebt, denke täglich, wie du aus dem systematischen ins freie Leben und Handeln kommst. Bespreche dich mit allen Freunden; so viel Spreu auch abfallen mag — in jedem Augenblick bleibt genug echter Weizen zurück, auf dass Keime Frucht tragen.

Das Grundproblem der technischen Zivilisation ist sich aus der Mechanik durch die Liebe ins freie Handeln zu begeben, indem man die Freunde und nicht fiktive Ordnungen zum Ziel erhebt.

Das Walten verlangt Einsatz, und er beginnt. Falle nicht mehr in die Vergangenheit zurück, sondern sei Mann bis in deine Zehen. Gehe deinen Weg und folge jedem Augenblicksziel als Krieger, falls es nicht richtig war, so ist es ein Umweg, der dich auf jeden Fall führen wird, weil Tun anders ist als Kontemplation.

Schwer ist es nicht auf die Erinnerung zurückzugreifen und immer wieder fällt man in alte Skripten zurück. Nur das selbstlose Tun kann einen daraus erlösen.

Die Zeit der Betrachtung ist endgültig vorbei, jetzt beginnt die Zeit der Liebe und Nachfolge. Nimm die Menschen an, die sich scharen, sie sind die Träger deiner Impulse. Anregungen kommen, sie tragen sie, und da stets die Richtung da ist, kann niemand irregehen.

Genau wie man sich auf die Lebenslinie verlassen kann ohne ihr Ziel zu kennen, wird jede Intention Teil der Richtung, wenn sie aus Liebe getragen wird. Nachfolge heißt gemeinsames Tun, nicht Abhängigkeit; weder Erlösung noch Befreiung, Mitwirken ist der neue Weg.

Du bist da, um das Vertrauen zu schaffen, und so sehr auch der eine oder andere manchmal zurückschrecken wird, der Impetus wird ihn schließlich mitreißen.
Eine Zeit beginnender Bewegung ist hell und donnernd, sie ist nicht sofort da. Doch viele Jahre hast du in Ruhe gesammelt, damit deine Kraft nun zum Tragen kommen kann. Die Flamme des Wollens ist noch klein, gerade angefacht — bald wird sie zum allverzehrenden Feuer und dann werden dir die kleinen Versuche lächerlich scheinen. Denn die Natur ist gewaltig, und dein Werk wird auch gewaltig sein, wenn du es bis ins letzte verfolgst und keinerlei Kompromisse duldest.

Vertrauen schafft man durch Einstehen für die erkannte Wahrheit, ohne Rücksicht auf möglichen Erfolg, welcher doch nur auf die Vergangenheit hin erspürbar wäre. Daher muss das Wollen zum Feuer werden und man lässt die kleinen Erfolgssehnsüchte hinter sich; das große Werk nimmt einen an, sobald die Richtung klar und kompromisslos ist.

Arnold Keyserling
Fülle der Zeit · 1986
Botschaft des Menschen im All
© 1998- Schule des Rades
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