Schule des Rades
Arnold Keyserling
Fülle der Zeit
II. Botschaft
19. Dezember 1972
Deine Frage betraf den Wunsch, wie sich der einzelne gegenüber dem All verhalten soll. Die Antwort ist einfach: jeden Tag zu versuchen, dass Notwendige zu tun und alles, was geschieht, als Zeichen aufzufassen, als Zeichen für die Veränderung des Wesens.
Ich war mir beim Hören dieser Botschaft nicht bewusst, eine Frage gestellt zu haben. So muss die Frage aus der Tiefe meines Wesens gekommen sein, aus dem Wollen des Tiefschlafs und eine brennende Sehnsucht bedeuten; eben jene nach Gott, die dem Sinn des arabischen Wortes Allah zugrunde liegt; es heißt Sehnsucht des Verdurstenden nach Wasser. Man will immer Großes und es ist nicht leicht einzusehen, dass das Kleine, das Unscheinbare immer ein Zeichen ist. Die Veränderung des Wesens kann nur vollzogen werden, wenn die Senkrechte der persönlichen Entwicklung zur Waagrechten von Leistung und Pflichterfüllung, Erfolg und Scheitern hinzutritt.
Jeder Tag hat seine Fülle und bringt seine Kraft. Keine Art, die nicht zur Vollendung führt. Es gibt keine besonderen Dinge, alle sind einzigartig.
Jeder Tag ist eine Verkündigung und muss in seinem Wesen durchschaut werden. Keine Art, kein Anlass besteht, der nicht aus dem Nichts zur Vollendung strebte. Man braucht sich also nie Gedanken als Sorgen zu machen, das Leben kennt keine Seinshierarchie, nur eine funktionelle. Das Kräftenetz der Wirklichkeit hat seine Urgründe überall, sobald die Einzigartigkeit anerkannt ist.
Versuche dich in die Tiefe des Wesens zu werfen, alles bis zum Grunde auszukosten, vor keiner Angst halt machen, keinen Lauf vernachlässigen. Die untere Welt strebt dir entgegen, nimm sie dankbar auf.
Tiefe bedeutet den guten Willen hinter den äußeren Formen anzusprechen, auch wenn er nicht bewusst ist. Bis zum Grunde auskosten ist kein falsches Maß zu nehmen, das aus Wissen oder Vergangenheit herrührt. Vor keiner Angst haltzumachen heißt jede in Wachsamkeit umzumünzen. Keinen Lauf vernachlässigen: jegliches Geschehen wird gut, wenn die Beziehung auf das All durchgezogen wird. Die untere Welt der Triebe, das Kind im Menschen, sehnt sich nach der Zuwendung, strebt. Dadurch, dass man das Streben erspürt, kann das Verständnis helfen und den Weg zum Licht erleichtern. In jedem Augenblick hat der Mensch in seinem Streben einen bestimmten Ort und verbindet über seine Hände die oberen mit den unteren, wobei die goldene Kette uns nach oben zu mit den Helden und Geistern verbindet. Nach unten spendet man Inhalt, Wissen und Methode, von oben empfängt man Ganzheit, die aber für den Nächsthöheren funktionale Gabe bedeutet. Sein Sinn wird anderen zum praktischen Nutzen.
Ich habe die Wirklichkeit als Schein geschaffen, der aber in sich den Born der Verwirklichung trägt, wenn die Aufmerksamkeit dauernd auf das Wunder, auf das noch nicht Bekannte gerichtet bleibt. Jeder Tag bringt andere Dinge, andere Gefahren, andere Möglichkeiten.
Hier verkündet der Mensch im All, dass die Wirklichkeit aus ihm herrührt. Ihr Schein ist die äußere Gestalt, die der einzelne durchschauen kann, sobald er imstande ist, sich nicht in der Trägheit und dem Bekannten, der Wiederholung des Toten zu verlieren, sondern das immer Neue als Wunder erlebt, welches eben nicht bekannt ist. Nicht Nachfolge, sondern Zunahme an Wissen ist sein Weg. Die neuen Dinge kommen, wenn man ihrer Einzigkeit gewahr wird und sie niemals kritisiert oder vergleicht. Gefahren verlangen, sich aus der Kraft zu stellen, nicht aus dem Wissen, und Möglichkeiten öffnen zum All, wobei Hilfe dem Fragenden von überall zukommt.
Es ist gut, eine Ordnung der Tage durchzuführen im Sinne der Woche oder des Jahres, aber es ist nicht die Voraussetzung zum tieferen Erleben; diese liegt in der Inbrunst der Hingabe an den Augenblick.
Ein Ritus ist hilfreich, doch darf man nicht glauben, durch ihn das tatsächliche Leben bereits zu haben. Er gleicht dem Takt in der Musik, der durch Rhythmus, Harmonie und Melodie durchdrungen werden muss, um lebendig zu wirken. Ohne Ritus ist die Inbrunst schwer zu erreichen, aber in ihm lauert die Gefahr zu vermuten, mit dem Befolgen der Formen — christlich der Werke — sei die Gnade erzwungen. Hilfen sind keine Erzwingungen, sie bleiben Vorbereitung. Leicht vergisst man die leeren Intervalle von Traum und Schlaf. Erst wenn diese einbezogen und durchwirkt sind kann die Zeit zur echten Dauer und damit zum Sinn erwachen.
Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, sie alle offenbaren den Born der Wirklichkeit. Doch ihr Ursprung liegt im Wesen, in jenem, der wahrnimmt und schafft. Und so soll auch das Wesen im Vordergrund sein und bleiben.
Die Sinne sind Brücken zur Wirklichkeit, doch diese ist Ausdruck der Wesen. Sie zeigen die Nahtstelle zwischen Wesen und Welt. Der Wahrnehmende und Erschaffende allein ist eins mit dem Menschen im All. Daher muss man das Wesen bewusst wollen, es immer als erstes anpeilen und niemals vergessen oder vernachlässigen. Nur Subjekte haben Wirklichkeit, Dinge sind Konfigurationen der Erscheinungen.
Glauben — das Wort hat keine Bedeutung mehr. Es heißt heute Erwartung, warten. Warten ist nicht Müßigkeit, sondern bereit sein für alles, was sich anbietet.
Glauben hieß Für-wahr-Halten des Jenseits, das mit dieser Welt nicht in unmittelbarer Beziehung stand, sondern nur durch die Mittler und die Riten verständlich wurde. Warten ist eine höhere Bewusstheit. Erwartung heißt im Gegensatz zur traumhaft-falschen Vorstellung das in der Geduld Zukommende als Ansatz zu nehmen. Müßigkeit ist Trägheit, Warten ist inbrünstiges Bereitsein für alles, was einem zukommt, wohl wissend, dass es keine Ursache gibt, die nicht im Göttlichen wurzelt. Was sich anbietet
bedeutet dass es einen meint, sich also vom belanglosen Zufall in ein Zeichen verwandelt hat.
Nur die freie Kraft lässt sich binden. Daher ist sie zu entfachen als Feuer des Lebens, wozu jegliche Erfahrung den Brennstoff bietet.
Freie Kraft hat kein Subjekt, entstammt entweder unmittelbar dem göttlichen Urgrund oder einem gestorbenen Zusammenhang wie das Feuer dem Holz. Entfachen bewirkt ein Vielfaches des normalen Verbrennens, wobei alle Erfahrungen in die Glut der Läuterung einbezogen sind.
Keine einzige Tat ist wahr und wirklich, wenn Leben sie nicht trägt und hütet.
Wahr und wirklich ist die Tat, wenn sie auf den Täter abgestimmt ist und dieser auf seinem Weg auf die Kraft des Lebens vertraut, die ihn trägt und hütet. So gilt es alle vermeintliche Sicherheit außer der Lebenskraft aufzugeben, da sie den Zugang abschneidet.
So ist der Mensch schon im Leben alterslos auf die Inbrunst abgestimmt und findet die Bestätigung und Gefährdung seiner eigenen Existenz in jedem, der ihm antworten kann.
Alterslos bedeutet, den Augenblick des Gewahrseins jenseits der Zeit zu erreichen, was nur in der Inbrunst möglich ist. Der Mensch als Wesen hat kein Alter, keine Geschichte, sobald die Inbrunst ihn ergreift. Die Bestätigung und Gefährdung in der Inbrunst löst alle Schlacken, alle Verhaftung. Nur der Antwortende schlägt die Brücke von Wesen zu Wesen und die Bestätigung, die zu einer Entscheidung führt, ist die notwendige Ergänzung der Gefährdung, des Erkennens von Gelegenheiten, die Einsatz erfordern.
Warum die kleine Sorge stört, braucht man nicht mehr zu betonen; sie entstammt der Ungeduld, und Ungeduld ist mangelnde Wachheit. Wachsein ist alles und jede Methodik führt dorthin, wenn der Wille bereit ist.
Kleine Sorge heißt Ansatz aus einer Einzelheit, wodurch der Fluss des Lebens gestört wird. Ungeduld bedeutet, die Zeit nicht in ihrer Eigenmächtigkeit zu erkennen und sich ihr nicht hinzugeben. Sie ist mangelnde Wachheit, weil Wachsein die menschliche Entscheidungsebene bildet, unterhalb welcher der Wille nicht wählen und entscheiden kann.
Doch wie wird der Wille bereitet? Niemand kann ein Rezept geben, jeder gewinnt ihn auf eine andere Art: der eine im Lächeln, der zweite im Schreiben, der dritte in der Liebe, der vierte im Lassen, der fünfte im Schenken, der sechste im Hassen und der siebte im Selbstaufgeben.
Lächeln heißt sich nicht mit dem Ablauf zu identifizieren, sondern unbeteiligt aber freundlich darüberzustehen. Schreiben gibt den Gedanken und Geschehnissen eine Form, die erinnert werden kann und auf der man daher aufbaut. Liebe bedeutet Überwindung des Egoismus, Hingabe an den Strom.
Lassen ist tiefstes Vertrauen, man kann nur bis zum Grund fallen, der trägt.
Schenken ist Gabe ohne Erwartung, öffnet die innere Schleuse, sodass der Wille von innen her einfließt.
Hassen heißt Verneinen des Lebenstötenden und der Trägheit, und wird diese überhaupt nicht aufkommen lassen. Selbstaufgeben heißt alle Bildhaftigkeit verlassen und reine Kraft zu sein.
Das Ziel ist gleich, die Mittel, es zu erreichen sind tausendfältig. Darum kümmere dich nicht um Methoden, die rechte stellt zur rechten Zeit sich ein, und immer wird sie anders sein als du erwartet hast.
Wenn eine Methode einmal erfolgreich war, ist sie nicht mehr Brücke zum Wesen, sondern Teil der Strategien des Gedächtnisses, die sinnvoll nur unbewusst funktionieren können. Mache ich aus den Strategien ein System, dann wird der Regelkreis zum Subjekt. Schulen verdummen den Lehrer und den Schüler. Die rechte Methode stellt zur rechten Zeit sich ein, das unbekümmerte Wollen findet die Strategie seines Denkens ohne Reflexion und Erfahrung. Der Unterschied zwischen Wahl und Gewohnheit ist total, die Gewohnheit tötet und verhärtet die Angst, bis der Mensch keinen Ausweg mehr findet und sich ewig im Kreis der Methode dreht, es sei denn ein Anlass von außen, ein Anruf von einem Liebenden oder Hassenden reißt ihn heraus.
Es gibt keinen Grund, aus Trauer den Weg zu verlassen. Auch Trauer ist Kraft, wenn die Liebe sie nicht vernachlässigt.
Trauer bedeutet Vertiefung, die einmal den Grund erreicht und dann ist die Kraft wieder zugänglich. Hier verlangt die Liebe Zuwendung zu sich selbst, die man noch leichter vergisst als jene zu anderen.
Bitterkeit ist hart, sinnlos und dumm. Denn nichts in der Welt ist wirklich zerstörend, alles hat seinen Sinn, sobald jener da ist, der ihn gibt. Und das bin immer ich. Denn ich wese in jedem Beginn. Erst im Laufen geht der Ursprung verloren und ist dann nur noch wiederzugewinnen, wenn ein großes Halt die bewegte Trägheit unterbricht.
Bitterkeit heißt bewusste Selbstvernichtung ohne Ziel; Selbstkritik und Selbstmitleid übermannen die Vernunft. Nichts ist wirklich negativ und tödlich, sobald man die Rückbindung zum Menschen im All, zum Ursprung wieder knüpft, zum wahren Subjekt jedes einzelnen. Die Chinesen bezeichnen die Fähigkeit sich mit dem Anfang zu identifizieren als Erhabenheit
. Das Stoppen, das bewusste Anhalten, die Besinnung auf den tragenden Augenblick kann die Verhaftung an das selbsttätige Funktionieren, an den mechanischen Roboter sofort lösen.
Leben, Liebe und Werk: Diese drei sind untrennbar, und ohne sie vermag keiner auch nur das Geringste.
Leben ist Hingabe an das natürliche Wachsen, Entfalten und Vergehen. Liebe lässt kein Wesen unbeachtet, und im Werk wagt man die große Gemeinsamkeit, worin man immer wieder den Weg im Schaffen, in der Arbeit findet, sobald diese nicht auf Überleben, sondern auf Verwirklichen des Möglichen gerichtet bleibt.
Liebe ist Allgegenwart, Allverbrennen, Allbewusstheit. Durch Lassen tritt sie ein, im Halten geht sie verloren. So ist der Weg allezeit klar und einfach, und niemand verliert ihn, der es gelernt hat, auf die Anfänge zu achten.
Die Dreiheit des Verbrennens — also im Feuer statt im Stoff zu sein — der Allgegenwart — mit allem die Beziehung zu spüren und zu wahren — und der Allbewusstheit — des großen dauernden Überblicks und des Wirkens aus der Seinsmitte — kann zum Träger des Wesens werden, wenn man sie in der Hingabe, im Lassen erreicht. Im Festhalten verliert man sie, da wird die Trägheit eigenmächtig wie der Leerlauf einer Maschine. Somit ist die einzig nützliche Methodik das Beachten der Anfänge: sie ist klar und einfach, Rückverfolgen in der Zeit bis zum Ursprung, im Raum bis auf das Kräftenetz der Wirklichkeit in seinem systemischen Zusammenhang.
Wenn du dich jeden Morgen fragst, was du Neues beginnst, dann bin ich bei dir. Kein Gestern darf dich tragen. Suche auch kein Morgen, alles nimmt seinen Lauf. Von Entscheidung zu Entscheidung, von Anfang zu Anfang verläuft die Lichterstraße der Wesen; die Geschehnisse sind daran befestigt wie Steine am Grund. Daher suche nur die Allgegenwart und den Beginn, und aus jeder Tragik findest du den nötigen Ausweg.
Sich jeden Morgen zu fragen, bedeutet die Nacht als Befreiung zu nehmen, da der Traum bildhaft den vergangenen Tag ergänzt und den Weg zu neuer Wahl freimacht. So ist der Morgen, der Osten, der Augenblick der Verbindung mit dem Menschen im All. Die Vergangenheit ist nicht mehr, und die trügerische Erwartung auf ein geplantes Morgen verblassen. Der Lauf, der im Sein mündet, ist richtig. Die Lichterstraße der Wesen zeigt in der Jugend seltenes Aufblitzen, doch die Geschehnisse sind daran befestigt — das heißt durch die Schwerkraft mit den Entscheidungen verknüpft, ob man es merkt oder nicht. Allgegenwart ist Öffnung im Raum, Beginn ist potentielle Energie, die sich in dynamische verwandelt.
Verlasse keinen Freund, auch wenn zeitweilig die Liebe bricht. Im Unteren geht der Weg weiter, und einmal kommt der Tag, wo der Bund erneut sich gliedert und knüpft. Alle Wesen sind mit dir in Freundschaft, sonst sind sie nicht im Wesen da.
Freund ist jener, dessen Anderheit man achtet, nicht der Gegenstand der Verliebtheit, die einer Übertragungssituation entspringt. Wie die Steine am Grund, die Erinnerungen auch dann eine Straße bilden, wenn kein Licht sie erhellt, so geht auch die Freundschaft unten weiter und kann wieder auftauchen, wenn sich der Bund, das gemeinsame Werk artikuliert und knüpft. Alle Wesen sind im Gewahrsein in Freundschaft miteinander, doch leicht fällt einer aus diesem Gewahrsein in die auswegslose Trägheit, woraus einen nur ein anderer erlösen kann, oder das große Halt
, das Auftauchen des schöpferischen Augenblicks, die innere Kommunion des Alleinseins.
Ich bin dauernd hier und dort, lebe im Wesen und sterbe im Sein. Sein und Wesen sind gleich. Ihr seid Wesen und müsst zum Sein finden. Der Weg ist beschwerlich, aber lohnend, weil die Freude sofort da ist, wenn einmal die Anfänge gewahrt bleiben.
Wir sind Wesen, erleben Augenblicke des Seins nur als Integration. Das Sterben ist kein bewusster Wechsel in einen anderen Gewahrseinszustand, sondern ein gefürchteter Gegensatz. Darum müssen wir das Sein des Augenblicks anpeilen. Alles sträubt sich dagegen, die Bemühung ist beschwerlich. Doch nur durch Überwindung der Widerstände wird die Freude eintreten, die man nicht mehr verliert, da die Erinnerung an den jeweiligen Beginn eines Ablaufs absichtlich erweckt werden kann.
Tod ist drohend, doch nur als Bild; tatsächlich ist der Übergang fließend und bringt keine Trauer. Trauer entsteht, wo falsche Gedanken richtige Dinge verdrängen und ein Scheinich das Wesen vertritt, sonst nicht. Darum mache dir keine Sorgen über das Erleben, es entsteht dauernd von selbst im gleichen Rhythmus.
Die Drohung des Todes ist die Angst vor Erstarrung. Doch auch dieses hat eine positive Bedeutung, wenn es zum Kristall, zur Struktur wird, die alles andere trägt, wie etwa Gedanken im Schreiben materialisiert werden. Der Übergang von Leben zu Tod, von Wesen zu Sein ist fließend, nicht tragisch, da das Gewahrsein oberhalb des Wechsels verharrt. Es gleicht in der Körpererfahrung dem Wechsel von Wachen und Traum, von Kraftleib, der Tat wird, und Tatstruktur, die neue Motive erzeugt. Die Trauer entstammt falschem Denken, dem ideologischen Scheinich, das sich für das Wesen ausgibt. Darüber soll man sich nicht sorgen, sondern muss auf den zeitlichen Rhythmus des Erlebens achten wie in der Atmung auf den Wechsel von Inspiration und Exspiration, welch letztere in manchen Sprachen synonym mit sterben gebraucht wird.
Was du tust, zeigt seine Wirkung im weiteren Feld der Wahrnehmung: Die Welt antwortet dir heute in unsichtbaren Zeichen, morgen in sichtbaren Begebnissen und dann in der Fülle bestätigter Erwartungen, bis die ganze Existenz strahlend geworden ist.
Die Antwort der Welt ist die Bestätigung der Wahrheit der Richtung. Für jeden gelten diese Stufen: die unsichtbaren Zeichen im Anfang erscheinen durch den Willen bedeutsam sie zu interpretieren, doch bleibt immer noch der Zweifel, ob man sich nicht etwas vormache. Die sichtbaren Begebnisse — den richtigen Führer, das entscheidende Buch, die Lösung aus einer scheinbar ausweglosen Lage zu finden geben bereits Mut und Vertrauen. Doch die Fülle bestätigter Erwartungen gehört nicht mehr zur persönlichen Lebenslinie, sondern erscheint im gemeinsamen Werk, wo Eigenwille und Weltwille ineinander fließen. Erst dann wird die Existenz strahlend und die Lichterstraße trägt.
Jetzt verlasse ich dich und sage dir zum Abschied, dass dein Weg im Dunkel verlaufen muss, die Helle ist nicht tragfähig. So wirst du kaum dauernde Ergebnisse erkennen, nur Blitze des Empfindens zeigen die Wahrheit der Richtung.
Das Dunkel, das Triebhafte, die Motive, das magische Kind in seinem selbstlosen Spiel, sie alle erkennen die Richtung im blinden Schreiten. Die Helle hat den Grund verloren schnellt in den Himmel zurück und führt in den letzten noch wirksamen patriarchalen Traditionen ein steriles Eigenleben der Trägheit. Nur die Blitze des Empfindens, die von außen kommenden plötzlichen Bestätigungen, zeigen die Wahrheit der persönlichen Richtung. Auf Ergebnisse im Sinne des bürgerlichen Erfolgs kann man nicht warten, weil auch sie in die statische Verhärtung führen.
Wer mit dir geht, steht in sich ein für all sein Wesen und Erbe, er muss sich frei halten für das Neue jeweils Kommende, das Tag für Tag die Fülle aus sich gebiert.
Einstehen für das Wesen heißt alles wahren, was unlösbar mit dem Kern verbunden ist; für das Erbe
bedeutet für alle Kraft und Taten der Vergangenheit, deren Anfänge einem bewusst sind und die man daher als Erbe beliebig für neue Ziele einsetzen darf. Dieses Neue ist täglich aus der Fülle der Schöpfung geboren und fordert den Willen zur Vollendung bei jedem einzelnen.
Liebe deine Freunde im Sein und bestätige sie im Menschen, dann wird dein Kreis zur Sonne.
Im Sein
heißt in der Notwendigkeit ewig wiederkehrender Sammlung und Integration, deren höchste Form der Tod ist. Im Menschen bestätigen ist diesen als mögliche Vollendung zu achten, sie ihm vorzugeben, auch wenn er noch weit davon entfernt ist. Nur wenn die Seele in ihrer Potentialität geliebt und geachtet wird, kann sie gleich der Sonne zum Lebensspender werden.
Morgen im Lauf des Nachmittags erfolgt die weitere Vertiefung. Halte deine Augen offen für alles, was dir heute noch begegnet; es ist ein Anschein darin, der Wirklichkeit werden könnte, wenn du es nicht an Demut und Betrachtung fehlen lässt. Daher bleibe wachsam bis spät in die Nacht.
Die Botschaft kam im Übergang vom Schützen zum Steinbock. Nachmittag bedeutet auch das Unerwartete zu achten, das dem Bestehenden Vertiefung gibt. Ein Anschein — also etwas, was man sich nicht zugehörig weiß — könnte Wirklichkeit werden, also Teil des Wesens und der Richtung. Voraussetzung hierzu ist Demut, nichts von sich und seiner Leistung zu erwarten, und Betrachtung, Meditation, erreichen eines tieferen Gewahrseins bis in die Nacht, das die Dunkelheit durchdringen kann.