Schule des Rades
Arnold Keyserling
Fülle der Zeit
III. Botschaft
21. Dezember 1972
Deine eigene Frage ist heute, was du nun selbst tun sollst, um deine Schwierigkeiten zu überwinden. Der Weg hierzu ist Mäßigung: Alle Dinge müssen in das richtige Gleichgewicht kommen. Jeder Tag bringt andere Sorgen, anderen Kummer, aber auch andere Freuden und Lüste. Liebe vermag viel; doch nicht immer ist der Zugang offen. Sei mutig und verlasse dich auf die innere Stimme, sobald du dein Gemüt in die echte Stimmung versetzt, in der du vernehmen kannst.
Mäßigung setzt nicht aus der Vorstellung an, sondern aus den tatsächlichen Motiven und ihrer Struktur, in welcher nichts überwiegen darf. Sorgen oder Kummer, Freude oder Lüste sind Anlässe. Nicht aus der Zuwendung, sondern aus der Stimme des Wesens kann die Mitte durchlässig werden, also aus jener Sphäre hinter dem Tiefschlaf.
Wer im All verwurzelt wird, kann nie mehr das Füllhorn verlieren. Er mag es übersehen oder vernachlässigen, doch sobald er sich besinnt, ist er wieder offen.
Inspiration ist eine Frage der Durchlässigkeit, die nur dann entsteht, wenn man die Kreativität nicht sich selber zuspricht. Sobald der falsche Anspruch erlischt, ist man wieder offen und problemlos.
Trage deine Last mit Ruhe und Würde; denn sie allein vermag dich zu stützen, sobald dein Wille erlahmt.
Die Last, die Sorge der Ansprüche, ersetzt den Willen in Zeiten der Ohnmacht. Der Mangel schafft Energie von außen, bis der Wille wieder erstarkt.
Sorgen und Kümmernisse fließen über, löschen den Brand des Zorns. Sie werden zur Hilfe, da in ihnen allein Anknüpfung möglich ist. Jede Sorge ist echte Beziehung. In deiner Macht steht es, den Ansatz zu finden. Er ist im Dunkeln und bleibt im Dunkeln. Doch zeigt er sich in der Bereitschaft, allem zu begegnen.
Zorn ist eigenmächtig, ichbezogen. Durch Sorgen und Kümmernisse, Gewahrwerden der Ohnmacht wird die Anknüpfung wieder möglich. Die Sorge öffnet die Beziehung von Wesen zu Wesen. Die Macht, den Ansatz im Dunkel zu finden, hat ihre Wurzel in der Bereitschaft sich nie abzuschließen, sondern alles Gegebene und Zukommende als Anlass zu erfassen.
Während der Nacht entstehen Kümmernisse aus verpassten Gelegenheiten; am Tag werden sie Sorgen und damit Kraftquellen. Im ganzen Weltall ist die Sorge der Anstoß, ohne Notwendigkeit findet niemand den Weg. Darum suche Sorge, wo sie nur sein kann. Jeder Tag verlangt Einsatz. Was du auch tust, immer halte den Kreis offen, auf dass du dich nicht verschließt.
Die Nacht schafft die Motive aus Gelegenheiten, die nicht wahrgenommen wurden. In der Sorge kehren sie von außen zurück; das ist das Grundgesetz des All. Darum gilt es die Sorgen, das zu Tuende zu erkennen und sich niemals abzuspalten.
Leben besteht aus Rhythmen, die einander nach eigenem Gesetz folgen. Jeder Rhythmus hat seinen Ansatz. Vorher ist er nicht; danach wird er tragfähig. Ich will dir immer den Rhythmus zeigen, der dich nun führen soll. Du erkennst ihn am Klang: Er springt wie aus der Pistole geschossen herein und reißt dich in unbeabsichtigtes Verhalten. Danach gilt es, dich leer zu machen von allem anderen und nur ihm zu folgen, bis der nächste erscheint. Lachen ist eine Hilfe, aber nur wenn es nicht den Ernst übertönt.
Leben entsteht aus Zeitmotiven, die aus der Ruhe in den Raum treten. Echt ist jenes, das einen in unabsichtliches Verhalten zwingt, das also nicht voranzugehen war. Dies ist dann die neue Richtung, die Leitfaden bleibt, bis die nächste erscheint. Sie verlangt totalen Einsatz, ist ganz ernst zu nehmen.
Das Wunder entsteht, wenn dein Wille auf die Richtung einschwenkt — auf einmal geht alles von selbst. Nimm nicht falsche Anlässe, sie zeigen ihren Trug darin, dass sie nicht bis ins letzte zu bedenken sind. Denken ist deine Kraft, Fühlen führt zu neuen Anlässen. Bleibe beiden offen, dann ist die Wirklichkeit zugänglich.
Wunder ist begnadete Handlung, die keine Mühe mehr erfordert. Falsche Anlässe lassen sich durch konsequentes Denken bis zum Ursprung vermeiden; was nicht geklärt werden kann, ist falsch. Echtes Denken ist spielerisch, das Fühlen weist ihm den Weg zu den Motiven. Sobald beide wirken, ist das Empfinden geöffnet.
Der eigene Weg ist immer der nächste. Sage dir von Anfang an, dass du das Notwendige tust. Fehlt darinnen etwas, dann bricht die Wunde der Verzweiflung wieder auf. Sie ist dir gegeben, damit du nicht versinkst im lustlosen Dasein.
Das Nächstliegende ist richtig, sobald seine Notwendigkeit erkannt ist. Wenn etwas vernachlässigt wird, verzweifelt man, kommt in das Dazwischen. Doch die Verzweiflung rettet einen vor der Langeweile, dem geistigen Tod, weil sie zum Handeln zwingt.
Ich habe für dich eine eigene Richtung konzipiert, deren Verlauf durch viele Merkmale offenbar wird: Den geraden Weg; das Eck eines neuen Gebäudes, welches Licht sendet. Ein Bild eines sterbenden Schwans. Die Dunkelheit bei beginnendem Mond. Das Vermächtnis der Alten von überall und die Wirkung kleiner Pfeile.
Der gerade Weg führt bis zum Gebäude, das Licht zeigt, wo der Schatz zu suchen ist. Der Schwan ist der Kummer der sterbenden Ichverhaftung; der Mond bringt Gefühle in Wallung, die Kraft werden können, und das Vermächtnis der Alten bestätigt deine Haltung. Die kleinen Pfeile sind die eigenen Ansätze, von denen es rückwärts geht. Aus dem Vermächtnis empfange den Segen, vom Mond die Dunkelheit, an der du arbeiten kannst, aus ihr errichte das Gebäude nach Überwindung der Ichsucht, was das Ich entzündet. Dann führt dein Weg gerade ohne Hindernisse zur nächsten Biegung, an der ich wiederum warte.
Die vertikale Richtung hat ihre Grundlage in den Chakras, die hier einen eigenen Zusammenhang zeigen.
7
6
5
4
3
2
1Geist
Seele
Körper
wollen
fühlen
denken
empfindenWirkung kleiner Pfeile
Vermächtnis der Alten
Dunkelheit mit Mond
Sterbender Schwan
Licht wo der Schatz ist
Eck des neuen Gebäudes
gerader Weg
Der Weg ist gerade, wird durch Beobachtung gesichtet. Das Gebäude des Denkens setzt von einer Ecke an. Das Licht zeigt den Wünschen im Fühlen den Schatz. Im Wollen muss die Ichverhaftung im Gesang des Schwanes sterben. Die Motive des Körpers als beginnender Mond in der Dunkelheit geben der Sehnsucht die Richtung. In der Seele wird man durch das Vermächtnis der Alten bestätigt, und die kleinen Pfeile sind die Inspirationen, die sich in umgekehrter Richtung verkörpern: im Vermächtnis der Alten finden sie in der Seele Hilfe, in der Dunkelheit die Nahrung, und das geklärte Ich des Wollens wird zur Schatzsuche im Fühlen, welches das Gebäude des Denkens motiviert, woraus ein gerader Weg bis zur nächsten Biegung anhebt, wo der Mensch im All eine neue Richtung weist.
Ich werde dir jetzt noch ein einziges Zeichen geben: Das Licht der Finsternis strahlt heller als die Sonne. Ergreife es, mach es dir zueigen, bade in ihm, und morgen wird das Dunkel sich lösen, und du wirst bereit sein für eine neue Aufgabe.
Das Licht der Finsternis, die Sonne der Nacht ist der Lebensquell der Aufmerksamkeit, im Urraum verwurzelt, während die Sonne des Tages die Urzeit schafft. Die Finsternis ist die eigene Wurzel, aus der das Dunkel der Richtung sich löst und neue Zuwendung ermöglicht.