Schule des Rades
Arnold Keyserling
Fülle der Zeit
VIII. Botschaft
27. Dezember 1972 - morgens
Warte auf das Wunder, die Zeit geht weiter. Ich habe heute versucht, dich in deiner Fülle zu stärken, um endlich die Schlacken der Vergangenheit zu lösen. Versuche du jetzt den eigenen Grund zu loten und dich in deine Kraft zu stellen.
Warten auf Wunder, auf magische Verwirklichung des Mögen ist nur in der Fülle möglich. Sie löst die Schlacken der Vergangenheit, weil durch ihren Reichtum alles seinen nützlichen und sinnvollen Platz findet. Nur die vereinzelte Wahrheit, die Häresie oder Sekte stört. Erst aus der Fülle kann das Lot zum Grund der Erde gefällt werden, womit der Mensch in seiner Kraft steht.
Alles ist offen, die Fragen drängen sich. Keiner der unteren Laster und Wünsche tun dich mehr bedrängen, sie werden zu Pfeilern des Kommenden.
Tödlich ist die vermeintliche Sicherheit, wenn alles beantwortet scheint und man die Triebe unter Kontrolle zu haben glaubt. Tatsächlich sind alle Regungen der Erde Pfeiler der Wirklichkeit gleich den Stämmen der Bäume.
Was ist Wirklichkeit? Sie besteht im Wesen und verlangt die Erfüllung aller Keime.
Nur die Wesen sind wirklich, die aus den Keimen, den Motiven ihre Vollendung suchen. Ist diese Richtung anerkannt, dann schwindet die Illusion: der Weg zum Leben geht von unten nach oben.
Das Nichts ist der Grund, die Fülle das Ziel und die Liebe der Weg. Das Halten verdirbt, das Lassen erzeugt, der Wunsch gebiert und das Lachen erlöst, die Liebe stärkt, das Denken hilft und neben allen dummen Dingen entstehen echte Wunder.
Das Nichts ist die Leere, die in der Aufmerksamkeit erreicht wird. Das Ziel ist die Fülle, Einstimmung durch Schönheit in den Zusammenklang der Schöpfung. Halten ist vorzeitiger Tod, Stagnation. Lassen ermöglicht der Kraft und der Vision einzufließen, erzeugt die eigene Zeit und gebiert die Wünsche, die im Lachen ihre Relativität erkennen lassen und von beängstigenden Klammern zu Trägern werden. Die Liebe stärkt durch Teilhabe an der Kraft. Das Denken zeigt in seinen Strategien immer das jeweils zu Tuende und ist dadurch hilfreich und die Wunder, das begnadete Tun entsteht neben allen dummen Dingen, wie die Kunst im Kitsch erwächst oder tausende von Keimen gesäht sind, von denen nur wenige sich entfalten.
Sorge dich nicht um deine Dummheit, sie weicht. Sie ist nur Teil deiner Existenz, nicht deren Stütze. Die Stütze ist das Wachen, Offensein, Lieben, Denken, Sehen, Schaffen und Warten.
Dummheit ist das, was man für fest und sicher hält, der Teil des Lebens, der noch nicht wach ist. Wieder zeigt eine siebenfältige Ordnung den Aufstieg: Wachen ist tatsächliches Empfinden, offen sein klärt das Denken, Lieben öffnet das Fühlen zur Kommunion, das Denken selbst wird Ansatz des Wollens, durch das Sehen wird der Körper ganz, im Schaffen wird die Seele, die Person zur Wirkkraft und lässt im Geist die Bereitschaft zum Warten erstehen: die Voraussetzung, um antworten zu können und die Botschaften zu vernehmen.
Hast du noch nicht gesehen, wie alle Dinge sich nach einem sehnen: Dem Wesen der Wachheit? Nur dort ist Freude. Freude heißt Wachsein in Liebe, und Trauer ist die Vorbedingung zur Freude, nicht weil Freude einen Gegensatz hätte, sondern weil niemand sich ohne Trauer tief genug fallen lässt.
Wachheit west in Freude und Liebe. Die Trauer, aus der prekären Mitte des gesellschaftlichen Leben herunterzufallen ist ihre Vorbedingung, nicht aus dem Gegensatz heraus, sondern weil nur aus der untersten Tiefe das Wesen in die höchsten Höhen schnellen kann.
Der Weg jedes Wesens ist von Trauer zu Freude, nicht nur aus sich, sondern auch auf andere. Halten des unteren Grundes besorgt den Ansatz. Der wirkliche Weg heißt immer sein Dunkel erleuchten, nicht den Weg klären, denn dieser entsteht von Mal zu Mal, und wer versucht, ihn vorwegzunehmen, der muss scheitern, weil sein Wille an vergangene Ziele gebunden bleibt.
Trauer, die Tiefe, ist Vorbedingung von Freude, der Höhe, dies ist der Weg. Hierzu muss der untere Grund gehalten sein, denn das bestehende Dunkel gilt es zu erleuchten, nicht einen Pfad zu erfinden. Vorwegnahme im Bild verhaftet an die Vergangenheit, während der wahre Sinn sich von Schritt zu Schritt offenbart. Ideologien, gestaltete Wege sind allesamt tödlich; sie binden im Sinne des Pfades der ewigen Wiederholung an die Vergangenheit und schaffen falsche Mitten. Diese sind immer vorhanden und Teil der zerstörenden Dunkelwaltung, doch der Einzelne kann ihnen entkommen, wenn die Wachheit dauerndes Ziel bleibt.
Teilwahrheiten allein sind tödlich, sonst gibt es keine Irrtümer. Nur ganz kannst du dem Ganzen begegnen. So wirst du auch andere zu ihrem Lassen und ihrer Ganzheit bringen, sobald du dich aus den Kümmernissen befreist.
Es gibt keine Methodiken, die nicht vereinzelt zu Teilwahrheiten werden. Als Ganzes empfängt man den anderen, ja erreicht durch diese Bemühung um die anderen seine eigene Ganzheit. Voraussetzung hierzu ist, die Kümmernisse, die Vorstellungen falschen Leidens aufzugeben.
Alles, was heute geschieht, ist bereits vorgezeichnet. Dein Traum über die falsche kleine Vollendung lässt die minderen Ziele zurück und bereitet die Freiheit vor. Warte nur auf den anderen Anstoß, er kommt ohne Zaudern. In deinem Dunkel ist kein Zaudern, es weiß genau, wohin dein Weg gehen wird.
Dem Dunkel entstammt die Gewissheit des blinden Gehens. Die meisten Ziele des Erwachsenseins beziehen sich auf Vorbilder, deren kleine Vollendung, die silberne Rose des bürgerlichen Glücks, aufgegeben werden soll.
Wieder einmal ist die Zeit zur Fülle durchgebrochen, einige Worte schwirren heraus und geben Richtung. Was du auch siehst, begreife es nicht mit dem Denken, sondern erlebe es als Anlass deines Wirkens.
Die wahren Worte sind Sprengsätze der falschen kleinen Vollendungen. Sie geben die Richtung. Nicht dem Denken sind sie zugänglich, sondern nur als Anstöße zum Handeln.
Das Rad ist der Grund der neuen Zeit, es ist gebaut und beginnt sich richtig zu drehen. Die Zeit ist dein alleiniges Medium, niemand kann sie dir stören. So beginne dir auszudenken, in welcher Weise die Zeit der Wirklichkeit dienstbar wird, um den Ort der Heiligung, das Ziel der Verwandlung zum Wesen für alle sichtbar zu machen.
Das Rad war 1972 als Struktur fertig, aber noch nicht bis ins letzte systemisch und methodisch zugänglich. Erst mit der Gründung des Erdheiligtums 1982 und seinen Riten konnte der Schritt von der Raumabhängigkeit zur Zeitgestaltung vollzogen werden.
Es gibt keine untere, obere und denkerische Problematik mehr. Alles ist klar, sobald du springst. Warte nicht mehr, sondern sei.
Die drei Welten haben sich vereint, doch der Mensch muss nicht zwischen ihnen auf- und absteigen, sondern springen. Das kann er, sobald er sich nicht falscher Hoffnung überlässt, sondern ist.
Wegen deiner neuen Sehweise hast du noch Angst. Die vergeht, sobald dein Wille an den Körper gebunden wird und sich nicht mehr in Phantasien verliert, und das geschieht schon in Kürze, falls du die Augen offen hältst und alle Zeichen annimmst. Sei wach und offen, der Weg begreift dich bald. Harre aus und denke nur an das Kommende, nicht mehr an das Vergangene, es besteht nicht mehr in der Tiefe.
So gehe nun deines Weges und nimm mich mit, bis wieder sich unser Weg zur Begegnung fügt.
Hier ist der Gipfel der Botschaften erreicht. Das Rad ist der neue Raster des Verstehens, der die Bekenntnisse und Wege ablöst. Die folgenden Botschaften widmen sich der Verwirklichung.