Schule des Rades

Arnold Keyserling

Gott · Zahl · Sprache · Wirklichkeit

5. Sinn und Bedeutung

5 - Nezach - Eigenschaftswort

Der letzte Schritt der mannigfaltigen Figur der Raumworte ist das Eigenschaftswort, die Verkörperung des im Din-Impuls errungenen Ansatzes in der Leistung, die sich empfindbar in die Welt des Bestehenden eingliedert. Dies ist der berühmte Schritt Hegels von der Qualität in die Quantität; ein Kunstwerk wird erst dann sozialisierbar, wenn es verkäuflich ist. Doch dieser Gedanke ist zu abstrakt, als dass das Verstehen in der Umgangssprache erreicht werden könnte. Nur die Chinesen haben diese Dauer im Wirken verstanden und sie im Fünfstern dargestellt. Dieser Zusammenhang ist in den europäischen Sprachen nicht verkörpert worden. Um ihn zu begreifen, müssen wir uns in das Buch der Wandlungen vertiefen. Doch das Ergebnis können wir auf die Kategorien übertragen.

Wasser
HolzH s i n g
Feuer
Metall
Erde

Der Positiv entspricht dem Holz, dem Gegebenen, Guten. Ohne etwas als positiv zu erkennen, kann überhaupt keine Arbeit beginnen. So ist die Arbeit immer alchemisch-hermetisch, oder besser gesagt alphysikalisch. Der fünfte Impuls bringt die Läuterung von der Innenschau in die Verwandlung der Welt, stimmt sie in den göttlichen Urgrund ein.

Die zweite Form des Eigenschaftswortes, der Komparativ, entspricht dem Feuer. Nur wenn der Gegensatz erkannt wird, ist es möglich, von besser zu reden. Nicht Menschen sind besser, sondern Leistungen, die sachlich spürbar und bestimmbar sind.

Die dritte Form, der Superlativ, ist die Erde: aus ihrer Kraft bringt sie aus jedem Keim nach Maßgabe der Umstände das Beste hervor; das Beste ist das Erste, also das verwandelte Gute; denn das Gute als solches, das Positive hat keine Vergleichsmöglichkeit.

Die vierte Form des Eigenschaftsworts ist das bestimmte Zahlwort; es entspricht dem Metall, das jede Form annehmen kann. Etwas hat seinen bestimmten Preis, wodurch es sozialisierbar wird. Nur wenn es irgendwo im Geld figuriert, dann wird es anderen zugänglich. Ein Bild eines großen Meisters zum Beispiel wird erst dann vergleichbar und damit einbezogen, wenn es seinen Preis, seine Zahl hat — also etwa einem Cadillac entspricht.

Die letzte Kategorie nimmt eine Menge als Eigenschaft, im Sinne des unbestimmten Zahlworts: manche Menschen, viele Häuser, einige Landstreicher, jeder Staatsbürger. Dies entspricht chinesisch dem Wasser, das nach unten fließt. Die Leistung ist Teil des Ganzen geworden, hat ihren bestimmten Sinn in der Zivilisation. Der Mensch ist damit Sohn Gottes geworden, der sein Werk wie Hermes dazu verwendet, die Ganzheit in den Eigenheiten wiederzufinden, also in allen Welten gleichermaßen zu bestehen. Als Sohn die seelische Entsprechung von Nezach — ist man imstande, das väterliche Erbe so einzusetzen, wie es nach der Geschicklichkeit am besten artikuliert werden kann, wobei keine Qualität ausgelassen ist; in jungscher Terminologie bedeutet dies das Streben nach Vollständigkeit des jeweils Gegebenen anstelle der falschen Vollkommenheit, die immer in die Beschränkung führt und daher im negativen Konservativismus des Saturn Halt macht.

Der Prozess der Inkarnation vollzieht sich dauernd und die Arbeit an der Welt, die gleichzeitig laut Gurdjieff Arbeit an sich selbst sein sollte, ist der Antrieb aller menschlichen Entwicklung. Im Din wird die Triebwurzel aufgedeckt, in Tifereth allbezogen und in Chessed zur Motivation. In Hod beginnt die Gestaltung, in Jessod werden die Umstände erkannt, und in Nezach wird die neue leistungsgeborene Qualität in den Reichtum und die Dauer der Welt einbezogen. Dieser ewige Wechsel ist die Grundlage des Alltags in der Woche; der Sonntag sollte dagegen die Besinnung bringen, wie der Mensch selbst dazu steht, und wie seine Einordnung in den Zyklus der Arterhaltung ihn dazu führt selbst mehr zu werden, also im Wort zu wachsen.

Die Sonne des Wollens ist Ja oder Nein; beide stehen für einen ganzen Satz. Daher auch das christliche Wort: deine Rede sei ja ja, nein nein, was darüber ist, ist von Übel. Der Sog der Entfaltung ist die zeitliche Subjekthaftigkeit, sie darf nicht räumlich verstanden werden.

Laut Jacques Donnars entsteht das Ichbild, wenn das Kind, welches naiv in die Welt schaut, zum erstenmal seine Gestalt im Spiegel in rechts-links-Verkehrung erlebt. Es ist betroffen, und die Angst wird erst überwunden, sobald es das Bild der Mutter neben sich sieht. Ab dieses Augenblicks erfährt es sich in den seelischen Beziehungen:

Umstandswort
Bindewort
Fürwort
Hauptwort
Verhältniswort
Eigenschaftswort
·
·
·
·
·
·
Vater
Mutter
Bruder
Schwester
Tochter
Sohn

Dieserart entsteht die Übertragungssituation, die Abhängigkeit, die nur durch das dynamische Dreieck der Zeitwortimpulse überwunden werden kann.

Gurdjieff pflegte zu sagen, der Mensch könne ein Dreieck entfalten. Kein Tier habe es in seiner Struktur, aber dafür die Mohnpflanze, die als Opium imstande ist, die Visionsfähigkeit zu erwecken. Wird das Denken zur Reflexion, so identifiziert sich der Mensch mit seinem Spiegelbild. Dieses sperrt ihn ein und er stößt nicht mehr zum Göttlichen durch. Da die ganze Zivilisation als Verkörperung des Instinkts der Arterhaltung aus den sechs Sefiroth herrührt, ist sie stabil. Es hat keinen Sinn wie der Messianismus versucht, es von außen zu ändern. Das Ich entsteht nicht in der Übertragung, sondern nur durch das Dreieck des Zeitwortes. Das wirkliche Selbst ist dynamisches Wesen. Seine Entfaltung als Kraftleib, Lichtleib und Wortleib entspricht mikrokosmisch den drei Keimblättern, makrokosmisch den drei Denkplaneten, doch nur dann, wenn, sie auf die drei Wollensimpulse Ketu, Rahu, Luzifer abgestimmt sind, und kosmisch-seelisch der Funktion des Denkens.

Wird das Denken als solare und aktive Funktion — empfinden und fühlen sind lunar — auf einen Inhalt des Fühlens oder Empfindens gerichtet, so bleibt es statisch und verhärtet. Das sind Menschen, die sich mit einem Wissen als Monopol identifizieren, mit (Uranus) einer Gesellschaftsschicht (Aristokratie oder Partei) oder einem Werk (Kultur, Religion oder Ideologie). Während die sechs Raumwortarten im einzelnen zu bestimmen sind und im Satzbau nur ergänzenden Charakter haben, bilden die drei Zeitwortimpulse den Satz, die Syntax, das Urteil und damit das Wissen, die Information, die bleibend auf einer bestimmten Integrationshöhe in die Welt eingreift. Sie müssen immer in ihrem Zusammenhang verstanden werden.

Arnold Keyserling
Gott · Zahl · Sprache · Wirklichkeit · 1987
Die kabbalistischen Grundmächte des Seins
© 1998- Schule des Rades
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